Pfingstsonntag, 24. Mai 2015. Die braune Präsenz in dem sonst so beschaulichen Winzerdorf Stammheim (Lkr. Schweinfurt) hat ihren Höhepunkt erreicht. Rund 60 Anhänger der rechtsextremen Kleinstpartei „Die Rechte“ ziehen unter dumpfem Trommelwirbel und ebenso dumpfe Parolen grölend durch den Ort. Doch: Von den Straßenrändern schlägt den Neonazis blanke Ablehnung entgegen.
Mitte April hatte die Partei angekündigt, in Stammheim ihre Landesparteizentrale einrichten zu wollen. Dazu hatten die Rechten ein Anwesen mitten im Ort angemietet. Heute ist in Stammheim nichts mehr zu sehen und zu hören vom braunen Spuk. Das Anwesen steht wieder leer. Das Landratsamt Schweinfurt untersagte die Nutzung des Hauses als Parteizentrale. Dagegen klagten die Neonazis erfolglos vor dem Verwaltungsgericht. Die Frage hinterher: War es nun ein Gerichtsentscheid oder doch eher die Initiative „Stammheim ist bunt“, die dafür sorgte, dass sich die Rechten nicht im Winzerort festsetzen konnten?
Am Anfang zu leise
„Die Nutzungsuntersagung durch das Landratsamt hat die Angelegenheit abgekürzt. Wir hatten uns auf einen längeren Widerstand eingestellt“, sagt Gerd Völk, einer der Initiatoren. Diplomatisch gibt sich Burkhard Krapf, Koordinator des Bündnisses: „Unser Einsatz hat mitgewirkt, die Rechten wussten, dass sie bei uns nicht willkommen waren.“
Schon wenige Tage nach der Ankündigung der Rechten, ihre Parteizentrale in Stammheim etablieren zu wollen, formierte sich am 21. April 2015 erstmals der „Runde Tisch“. Man verstand sich als „Gruppe von Menschen, die Rechtsextremismus friedlich Widerstand leistet und für Menschlichkeit, Toleranz und Frieden einsteht“. Das Bündnis lebte von Kreativität. So schafften es die Stammheimer, binnen weniger Stunden, einen „Lehrpfad für Rechte“ einzurichten, bei dem sie die ersten 19 Artikel des Grundgesetzes auf Papier druckten und damit Straßenlaternen und Bäume am Marschweg der Neonazis plakatierten.
„Diese Idee ist uns am Pfingstsonntag früh um 4 Uhr gekommen“, sagt Krapf. Und: Hinter dem Polizeikordon, der Neonazis und Demonstranten trennte, zogen die Stammheimer mit Besen und Mülltonnen bewehrt, um den „braunen Dreck“ aufzukehren. Von Anfang an standen die Leute des Bündnissees im Spagat zwischen zu viel und zu wenig. „Wegen der paar Nazis macht ihr einen solchen Aufstand“, sagten die einen. Andere meinten, dass die Aktionen gegen Rechts viel zu wenig seien. Bedenkenträger befürchteten, alles könne in Gewalt eskalieren. Um die Differenzen auszugleichen, war wichtig, dass die Spitzen des Widerstands angesehener Leute aus der Mitte der Stammheimer Bevölkerung waren. Mit Widerstand hatten sie indes wenig Erfahrung. „Am Anfang waren wir still, da schrien nur die Leute von der Antifa“, erinnert sich Burkhard Krapf. Bei der zweiten größeren Veranstaltung, als die Stammheimer Musikkapelle den Rechten „den Marsch blies“, haben die Organisatoren des Widerstands dann kräftig mitgebrüllt.
Unterstützung der Polizei
Ohne selbst einer politischen Richtung anzugehören, wollte „Stammheim ist bunt“ alle gesellschaftlichen Gruppen in den Widerstand einbinden. Das ist fast gelungen. Von den Kirchen über die Gewerkschaften bis hin zu allen demokratischen Parteien gab es Unterstützung für die Stammheimer. Nur eine große gesellschaftliche Kraft fehlte: die Arbeitgeberseite. Gerd Völk kann sich bis heute nicht erklären, warum Institutionen wie Industrie- und Handelskammer oder Handwerkskammer nicht mitzogen.
Angst durften die namentlich bekannten Frontleute des Bündnisses nicht haben. Neben Krapf und Völk zählen dazu auch Sebastian Neubauer, Ann-Kristin Sump und Krapfs Stellvertreter Fabian Flederer. Zur direkten Konfrontation mit den Neonazis kam es aber nie. Es gab auch keine persönlichen Drohungen.
Angst hatten im Gegensatz zu den Hauptakteuren etliche Stammheimer. Sie wagten es nicht mehr, an der von den Nazis angemieteten Immobilie vorbeizugehen. Für gut unterstützt halten sich die Stammheimer in der Nachbetrachtung durch ihren Bürgermeister Horst Herbert. „Er hat getan, was er konnte“, lobt Gerd Völk. Gleiches gilt für Landrat Florian Töpper und die Polizei. „Mit der Polizeiinspektion Gerolzhofen war alles gut abgesprochen; Dienststellenleiterin Margit Endres kam sogar in ihrer Freizeit zu uns, um uns zu beraten“, sagt Krapf. Trotzdem wollte sich „Stammheim ist bunt“ nicht alleine auf den Staat verlassen, sondern Zivilcourage zeigen.
Dass sie dafür jüngst in Berlin vom Bündnis für Demokratie und Toleranz ausgezeichnet worden sind, werten die Stammheimer schon als hohe Anerkennung ihres Tuns. Und „Stammheim ist bunt“ will weiter wachsam sein. Burkhard Krapf: „Wir können noch nicht aufhören.“ Geplant ist demnächst vielleicht eine Info-Veranstaltung zur AfD. Ansonsten wollen die Stammheimer allen, die im Kampf gegen Rechts Hilfe brauchen, mit Erfahrung helfen.