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SCHWEINFURT
Stadtbus: Mit dem eTicket aus der Steinzeit in die Neuzeit
Harald Mendrock zeigt den alten „Bauchladen“, Christoph Jaskula, Auszubildender im Fahrbetrieb, den Bildschirm des Bordcomputers, der dem Fahrer auch anzeigt, ob das eTicket des Fahrgasts gültig ist.
Foto: Gerd Landgraf | Harald Mendrock zeigt den alten „Bauchladen“, Christoph Jaskula, Auszubildender im Fahrbetrieb, den Bildschirm des Bordcomputers, der dem Fahrer auch anzeigt, ob das eTicket des Fahrgasts gültig ist.
Gerd Landgraf
Gerd Landgraf
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:09 Uhr

Das an der Deutschhof-Haltestelle wartende Dutzend ist sich einig: Die Busfahrer sind entspannter als früher, weil es jetzt das eTicket gibt. Lange Warteschlangen vor dem zentralen Fahrkartenschalter unter dem gläsernen Roßmarkt-Dach gibt es nicht mehr. Das Einsteigen in die Busse geht flotter, denn der Kartenkauf beim Busfahrer ist zur Ausnahme geworden und nervt nicht mehr.

11 000 eTicket-Kunden

Seit 1. August ist das gesamte Tarifsystem des Stadtbusses auf das eTicket umgestellt. Die Resonanz ist „überraschend positiv“. „Damit haben wir nicht gerechnet“, sagt Thomas Kästner, Geschäftsführer der Stadtwerke, im Gespräch mit der Redaktion dieser Zeitung. „Erhofft“ war der Verkauf von 8000 eTickets bis zum Jahresende. Im November wurde jedoch schon die 10 000. eTicket-Kundin begrüßt. Am Jahresende werden es wohl über 11 000 an die Frau und den Mann ausgegebene eTickets sein.

Charme der 1970er Jahre

Die Planungen für das neue Tarifsystem begannen im Oktober 2015. Rat holte sich der Verkehrsbetrieb der Stadtwerke auch bei Externen sowie durch Kundenbefragungen, doch die Umsetzung leistete man aus eigener Kraft. Anlass war nicht die seit Jahren ausstehende Vereinfachung im Tarifsystem und eine höhere Kundenfreundlichkeit, sondern der veraltete Bordcomputer in den Stadtbussen. Die Technik aus der ersten Hälfte der 1990er Jahre hatte ausgedient. Mit der Installation des neuen Bordcomputers in den 40 eigenen und elf angemieteten Bussen sollte der „Bauchladen“ mit den Papiertickets und damit der „Charme der 1970er Jahre verschwinden“, so Harald Mendrock, stellvertretender Leiter des Verkehrsbetriebs.

Wlan kostenfrei

Der neue Copilot hat GPS, notiert alle Fahrten, jeden einsteigenden Fahrgast, sagt dem Fahrer die Touren und dem Fahrgast die Haltestellen an, er kündigt Verspätungen in Echtzeit an den Haltestellen (bislang nur Roßmarkt und Marktplatz, künftig alle) an, beeinflusst die Ampelschaltungen und sorgt dafür, dass man daheim am Computer oder auf dem Smartphone per App sehen kann, wo ein Bus gerade ist und wann er welche Haltestelle erreichen wird.

Schweinfurt ist bislang die einzige Stadt in der Bundesrepublik, die komplett auf das eTicket umgestellt hat. Ansonsten ist das eTicket zwar weit verbreitet, jedoch nur ein Nischenangebot. Der Verkehrsbetrieb der Kugellagerstadt bietet so als erster die Voraussetzung für ein Abbuchungssystem, das über Stadt-, Kreis- und Landesgrenzen hinausreicht – etwa für die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Kiel bis Garmisch-Patenkirchen. Bereits umgesetzt wird WLAN in allen Stadtbussen, womit die Stadtwerke nochmals bundesweit eine Vorreiterrolle besetzen.

Übersichtlich

Für die Wochen nach dem 1. August hatte sich Eva Schüler, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit der Stadtwerke, auf viele Fragen und auf Kritik am neuen Tarifsystem eingestellt, denn wir „haben den Sprung von der Steinzeit in die Neuzeit gewagt“. Ärger blieb aus. Allenthalben habe man Zustimmung geerntet, auch und gerade von Senioren, die schnell die Vorteile erkannt hätten.

Der „Bauchladen“ sei ausgeufert, nur noch von Insidern durchschaubar und ein Fall für begeisterte Optimierer geworden, ergänzt Kästner, der über die Einstiegszahlen eine Zunahme bei den Fahrgästen sieht, die nicht allein auf das Weihnachtsgeschäft zurückzuführen sei. Erwartet werden so über acht Millionen Fahrgäste im Jahr 2017 (7,9 Millionen in 2016).

Das Angebot

Mit dem eTicket gibt es Wochen-, Monats- und Jahreskarten, bezahlbar monatlich per Lastschrift oder im Voraus auch in bar (Aufladen eines Kontingents auf die Chipkarte). Neu sind der Gruppentarif und der Aufpreis bei Überschreitung der Tarifzonen (beides ist beim Fahrer anzugeben). Während die Zeitkarten von Dauernutzern bevorzugt werden, wendet sich der Flexi-Tarif an die Gelegenheitsfahrer – wie der frühere Acht-Fahrten-Schein.

Alle Angebote gibt es für die unveränderten drei Tarifzonen, wobei die Flexicard gedeckelt ist. Wer in einem Monat besonders häufig mit dem Stadtbus unterwegs ist, zahlt höchstens einen festgelegten Aufpreis zur Monatskarte (in Tarifzone I 4,20 Euro). Weitere Fahrten in der gewählten Zone sind kostenfrei.

Prüfung dauert zwei Sekunden

Eine Wertguthabenkarte, die es in vielen Großstädten gibt, bietet das Schweinfurter eTicket nicht. Dafür reiche das Fahrgastaufkommen nicht, sagt Harald Mendrock, der auf die hohen Kosten für die vielen Automaten (pro Stück um oder über 50 000 Euro), auf die Kosten bei Instandhaltung sowie Reparatur, für Überwachungskameras und den Sicherheitsdienst (Leerung der Geldspeicher) verweist. Die gefundene Lösung sei aber auch kundenfreundlicher, meint Kästner, denn die Bearbeitung der Wertguthabenchips dauere am Lese- und Rechengerät bis zu zwölf Sekunden, während der Scanner im Stadtbus den Einstieg nach nur zwei Sekunden frei mache.

Als weiteren Pluspunkt gibt der Geschäftsführer den Kontakt zum Busfahrer statt zum seelenlosen Automaten an. Und der Fahrer, der kaum noch kassiere (nur Einzelfahrten und Aufpreise) und somit weniger Stress habe, helfe gerne bei allen Fragen, so Christoph Jaskula, Auszubildender Fachkraft im Fahrbetrieb, der in dem schnelleren Zustieg auch einen Pluspunkt beim Einhalten der Fahrpläne sieht und als Busfahrer den Zeitgewinn bestätigt.

Zeitgewinn beim Umsteigen

Ein Plus für den Fahrgast ist das Umsteigen mit dem eTicket. Dafür hat man in Zone I jetzt 60 Minuten, in den Zonen II und III sogar 90 Minuten Zeit, in denen sich auch kurze Besorgungen vor einer dann kostenfreien Rückfahrt erledigen lassen.

Das eTicket mit dem verschlüsselt auf der Karte abgespeicherten Datensatz gibt es im Kundencenter am Roßmarkt (Wolfsgasse). Ein Foto vom Nutzer ist mitzubringen, kann aber auch an Ort und Stelle per Kamera gemacht und eingelesen werden. Personenbezogene Daten sind auf dem Chip nicht gespeichert. Ohne Bild gibt es das eTicket nur beim übertragbaren und deshalb um 20 Prozent teureren Jahresabo.

Aufgeräumt präsentiert sich der Arbeitsplatz des Busfahrers. Statt einer Unzahl von Papierfahrscheinen steht neben dem lenkrad nur noch der schirm des Bordcomputers.
Foto: Gerd Landgraf | Aufgeräumt präsentiert sich der Arbeitsplatz des Busfahrers. Statt einer Unzahl von Papierfahrscheinen steht neben dem lenkrad nur noch der schirm des Bordcomputers.
Der alte „Bauchladen“ für den Fahrer, der vor dem 1. August auch der Fahrkartenverkäufer war.
Foto: Gerd Landgraf | Der alte „Bauchladen“ für den Fahrer, der vor dem 1. August auch der Fahrkartenverkäufer war.
 
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