Ein bisschen Resonanz auf die Terroranschläge von Paris ist auch in Gerolzhofen zu spüren. Vor der Polizeiinspektion wehen die Fahnen auf Halbmast; die Streifenwagen fahren mit Trauerflor, im Gedenken an die getöteten französischen Kollegen. Christen und Muslime treffen sich zum Versöhnungsgebet, auch in der Schule wird das Thema behandelt (siehe gesonderte Berichte).
Ungleich stärker wirken sich naturgemäß die Anschläge in Gerolzhofens französischer Partnerstadt Mamers aus. Sie liegt etwa 150 Kilometer von Paris entfernt. Hier lebt die Familie Ory, die sich stark in der Partnerschaft engagiert. Tochter Margaux hat schon mehrere Praktika in Gerolzhofen absolviert und studiert jetzt Germanistik an der Universität Paderborn.
Vater Philippe ist Polizist. Schon bei seinem letzten Aufenthalt in Gerolzhofen, beim Adventsmarkt, sprach er davon, dass den Franzosen bald Schlimmes bevorstehen könnte. Dafür gebe es ernste Anzeichen.
Und so ist es gekommen. Philippes Frau Nathalie berichtet auf Bitten dieser Zeitung ausführlich und durchaus emotional von der Lage und der Stimmung in Mamers. Am vergangenen Samstag gab es zur Mittagszeit eine große Gedenkveranstaltung vor dem Rathaus. 800 bis 1000 Leute waren gekommen, bei der Größe von Mamers mit etwa 5500 Einwohnern eine ungeheure Zahl. Nathalie trug wie viele andere ein Plakat mit der Aufschrift „Je Suis Charlie“. Einige bekundeten ihre Trauer auch mit „Je suis policier“ (Ich bin Polizist).
In der Menge war alles zu sehen, vom Kleinkind bis zum Senior. Auch Nathalies Vater mit seinen 80 Jahren war da, mit einem großen Schreibstift in der Hand. Sogar einige Muslime bekundeten ihre Solidarität.
So müsste Frankreich immer sein
Die Gesichter der Menschen waren ernst und angespannt, Stille lag über dem Platz. „Man spürte, dass es den Menschen genügte, einfach da zu sein, um die Opfer dieser Barbarei zu unterstützen und auch zu zeigen, dass wir keine Angst haben“, interpretiert Nathalie die Stimmung.
Die landesweite Solidarität in diesen „schrecklichen Tagen“ macht die Mamerserin stolz. „So müsste Frankreich immer sein“, sagt sie im Hinblick auf die oft zu erkennende Zerrissenheit in ihrem Land.
Was Nathalie noch über alle Maßen freut: „Wir sind nicht alleine mit unserem Malheur.“ Sie hofft jetzt nur, dass die Solidarität der internationalen Gemeinschaft keine Eintagsfliege ist. Das sei nämlich ein starkes Mittel, um Gesicht zu zeigen gegenüber dem Terrorismus. Sehr wohl habe man auch in Frankreich registriert, dass in Deutschland die Gefahr ebenso groß ist. Der Brandanschlag auf die „Hamburger Morgenpost“ sei dafür ein Zeugnis.
Philippe, der Polizist, stand während der schlimmen Tage von Paris in stetiger Einsatzbereitschaft. Seine Einheit musste sich jederzeit abrufbereit halten. „Das waren zwei harte Tage, ständig darauf zu warten, ob wir nun an der Terroristenjagd beteiligt werden oder nicht.“
Während der ersten Tage nach dem Attentat kamen Nathalie Ory oft die Tränen, als sie im Fernsehen die kriegsartigen Zustände in Paris und dann in Dammartin-en-Goële verfolgte, wo die Attentäter in einer Druckerei von der Polizei erschossen wurden.
Besonders weh tut Nathalie der Tod des Zeichners Jean Cabut. Ihn hat sie schon in ihrer Kindheit in ihr Herz geschlossen. Nathalie gehört zu den Millionen Franzosen, die in den 80er Jahren die Kindersendung RécréA2 (PauseA2) genossen. „Es ist ein Stück meiner Kindheit, das die Terroristen getötet haben“, sagt Nathalie. Auch deswegen hat sie kein Mitleid mit den erschossenen Terroristen. „Keine Religion erlaubt es, den Nächsten zu töten“, hält sie die Motivation der Täter für aberwitzig.
Und schließlich: Dass es in der Welt auch anders als mit Terror, Mord und Krieg gehen kann, habe die beispielhafte Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich nach so vielen Kriegen gezeigt. „Das muss die Zukunft sein.“ Um das auch persönlich noch besser zu realisieren, hat sich Nathalie ein Programm gekauft, um Deutsch zu lernen. „Ich glaube, das wird schwer.“ Aber Nathalie nimmt es auf sich. Dass sie das jetzt ernsthaft angeht, ist im Grunde auch eine Folge der aktuellen Ereignisse. Ihre Mail beschließt sie schon mal auf Deutsch. „Ich bin Charlie.“
Thomas Vizl