Ungeachtet der Empfehlungen von Unfallforschern lehnt Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer nach wie vor verpflichtende Tests für ältere Autofahrer kategorisch ab. Diese werde es mit ihm nicht geben, hat der weiter auf Eigenverantwortung setzende CSU-Politiker wiederholt erklärt und dies damit begründet, dass sich aus der Unfallstatistik keine Auffälligkeiten für diese Personengruppe ergeben würden. Auch die Verkehrsunfallstatistik der Polizeiinspektion Gerolzhofen spricht in diesem Zusammenhang allerdings eine andere Sprache. Dazu Dienststellenleiterin Margit Endres: „Das sind die nackten Zahlen, die wir haben.“
Der Zuständigkeitsbereich der Polizeiinspektion Gerolzhofen erstreckt sich von Schönaich als dem äußersten Zipfel des Landkreises Schweinfurt im Süden bis Obereuerheim als nördliche Grenze und von Gernach im Westen bis Michelau im Steigerwald im Osten. Der Unfallstatistik zufolge ist in diesem Gebiet im Zeitraum von 2014 bis 2018 sowohl die Zahl der Verkehrsunfälle insgesamt als auch der unter Beteiligung von Senioren angestiegen.
Waren 2014 noch in 40 Fällen Senioren an den insgesamt 540 Unfällen beteiligt, was einem prozentualen Anteil von rund 7,5 Prozent entsprach, so ist die Zahl 2018 auf 61 von 630 Fällen angewachsen. Dieser Wert nähert sich schon stark der Zehn-Prozent-Marke.
Deutliche Tendenz bei den Unfallverursachern
Noch deutlicher ist die Steigerung bei den Verkehrsunfällen, an denen nicht nur Senioren beteiligt waren, sondern die letztendlich auch von dieser Altersgruppe verursacht worden sind. Hier ist die Zahl von 22 im Jahr 2014 (gleich vier Prozent) auf deren 47 im Jahr 2018 nach oben gegangen (gleich knapp 7,5 Prozent). Dementsprechend ist auch die Zahl der verletzten Senioren und Seniorinnen von noch sieben im Jahr 2014 auf bereits 17 im Jahr 2018 nach oben geschnellt.
Stark zugenommen haben ebenfalls die der Polizei in Gerolzhofen gemeldeten Unfälle mit E-Bikes, an denen Senioren beteiligt waren. Fanden hier 2017 zwei Fälle Eingang in die Statistik, so waren es ein Jahr später 2018 bereits deren sieben an der Zahl, in die Senioren mit auch Pedelecs genannten Fahrrädern mit elektrischer Unterstützung verwickelt waren, so die Auskunft von Polizeichefin Margit Endres.
Wenn statistische Vergleiche hinken
Ähnlich wie Verkehrsminister Scheuer argumentiert der ADAC. In einem Artikel, der unlängst auch in dieser Zeitung auf der Titelseite unter der Überschrift: „Autonomes Fahren für Senioren/Verkehrsminister lehnt verpflichtende Tests ab“ veröffentlicht worden war, haben laut Mitteilung des Automobilclubs Menschen ab 65 Jahren etwa 16 Prozent der Unfälle mit Verletzten verursacht, obwohl sie 21 Prozent der Bevölkerung ausmachten. Dass dieser Vergleich unpräzise ist und mehr als hinkt, hatte auf den Hinweis einer Leserin der Leseranwalt dieser Zeitung, Anton Sahlender, in seiner wöchentlichen Kolumne deutlich gemacht. Die Frau hatte zu Recht gefragt: Ist die Gesamtbevölkerung die richtige Bezugsgröße, wenn es doch nur um die geht, die tatsächlich Auto fahren. Anton Sahlender pflichtete der Frau bei, indem er betonte: „Nicht nur in diesem Fall ist es wichtig, Prozent-Zahlen aus Nachrichten nachzugehen. Sind Bezugsgrößen falsch, täuschen Statistiken.“
Der Leseranwalt der Main-Post hatte deshalb versucht herauszufinden, wie viel Prozent der deutschen Autofahrer (also nicht der Gesamtbevölkerung) über 65 Jahre alt sind. Im Internet wurde er auf der Homepage des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) fündig. Dort wurden zum 1. Januar 2018 als Gesamtzahl aller in Deutschland ausgegebener Fahrerlaubnisse 38,8 Millionen genannt. Setze man dazu die Fahrerlaubnisse der über 65-Jährigen (7,556 Millionen) ins Verhältnis, seien es demnach rund 19,5 Prozent, die 16 Prozent der Unfälle mit Verletzten verursachen, so Anton Sahlender.
Auch Unfallforscher widersprechen Andreas Scheuer
Auch die Unfallforscher des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft haben der Aussage von Andreas Scheuer widersprochen, wonach sich aus der Unfallstatistik keine Auffälligkeiten für ältere Fahrer ergeben würden. Es sei richtig, dass Senioren in der Gesamtzahl weniger Unfälle als Fahranfänger verursachten, sagte der Leiter der Unfallforschung der Versicherer, Siegfried Brockmann, so der Deutschen Presseagentur dpa. Das liege aber daran, dass Frauen über 75 Jahren deutlich seltener einen Führerschein gemacht hätten als in der Generation der jetzigen Fahranfänger – und dass Senioren im Schnitt schlicht weniger Auto fahren.
Auf die Verhältnismäßigkeit kommt es an
Ein vollständiges Bild ergibt sich nach Brockmanns Angaben erst dann, wenn man sich neben den absoluten Zahlen auch die Zahl der Unfälle im Verhältnis zur Fahrleistung anschaut. Brockmann bezieht sich auf die sogenannte kilometerbezogene Unfallbelastung. Bei tödlichen Crashs liegt der Quotient von Unfällen zur Fahrleistung in der Gruppe der Senioren im Alter 75 Jahre und älter bei 5,05. Bei der Altersgruppe der als unfallträchtigen Fahranfänger bis inklusive 20 Jahre ist er mit 3,50 deutlich niedriger. Bezogen auf Crashs mit Verletzten, die nicht starben, liegt der Quotient beider Gruppen in etwa gleichauf. Bei den Fahranfängern liegt er bei 3,69, bei den Senioren im Alter von 75 Jahren und älter bei 2,98. Bei allen anderen Gruppen ist er niedriger. Brockmann fordert deshalb, dass alle Senioren ab 75 Jahren verpflichtend eine Fahrt mit einem Begleiter machen, der den Senior oder die Seniorin anschließend auf mögliche Defizite hinweist.
Anton Sahlender, Leseranwalt
Ich würde regelmäßige Tests für ALLE Führerscheininhaber verpflichtend machen.
Hör-, Seh- und Reaktionsvermögen sind nicht nur vom Alter abhängig...