Los ging es am 12. März 1993. Eine kleine Gruppe Senioren aus der Schweinfurter Großindustrie wollte verhindern, dass beim Abriss der Sand- und Kiesbaggerei Blum an der Mainlände auch der dort eingesetzte Elektro-Greifer-Drehkran, Baujahr 1926, verschrottet wird. Unter der Regie des städtischen Kulturamt-Mitarbeiters Rolf Schamberger, später Direktor des Deutschen Feuerwehrmuseums in Fulda, gründete sich der „Arbeitskreis Handwerks- und Industriekultur Schweinfurt“, kurz AKI. Die gewieften Techniker und Ingenieure und einige Siemens-Azubis sanierten und restaurierten den Kran der Firma Noell. Er ist heute die Attraktion an der Mainlände.
Das Engagement zählt
Noch in den 1970er und 1980er Jahren wurde der große Wert ausgemusterter Maschinen und Geräte eher nicht gesehen. Den Druck, Alt-Bewährtes zu erhalten, gab es keinen – auch in Schweinfurt fehlte trotz seiner reichen Erfinder- und daraus resultierenden Industriegeschichte eine Institution, die sich systematisch dem Erhalt beispielsweise historischer Maschinen annahm. „Es wurde so viel vernichtet, weggeworfen, vergessen“, bedauert Wolfgang Rücknagel und nennt die AKI-Gründung „einen Glücksfall für Schweinfurt und die Nachwelt“.
Rücknagel ist Elektro-Ingenieur. Der Spezialist für Mess- und Regeltechnik arbeitete bis zu seiner Pensionierung 2008 bei SKF und fand auch wegen des frühen Todes seiner Frau 2010 zum Arbeitskreis. Kaum angekommen wurde er Geschäftsführer, „Mädchen für alles“, wie er den Job augenzwinkernd umschreibt. Rücknagel kennt beim AKI jede Maschine, kann ihre Arbeitsweise verständlich erklären, sie bedienen und wunderbar Geschichten und Geschichte erzählen, die beim AKI so weiterging.
Nach der Greiferdrehkran-Rettung machte die noch lose Gruppe einfach weiter. 1995: Beim Teil-Abriss der SKF-Fabrik setzte man sich für den Erhalt der historischen Tore ein. Eines steht heute als Industriedenkmal am alten Fabrikstandort in der Gunnar-Wester-Straße, das andere im Maintal. Oder 2000: Die AKI-Akteure kümmerten sich um das Walzenwehr am Main und restaurierten einen historischen Möbelwagen der Firma Bandel, der in den Jahren danach als „Museum auf Rädern“ dienen sollte. Im gleichen Jahr 2000 überließ die Stadt der nun schon bekannten Gruppe die nicht mehr benötigte Hausmeisterwohnung in der Ludwig-Erhard-Berufsschule als Stützpunkt.
Längst waren weitere Pensionäre von SKF, Kugelfischer, Fichtel & Sachs, anderen Branchen, der FH, der Mercedes-Niederlassung oder den Stadtwerken zum AKI gestoßen. Und es wurde deutlich, dass eine Struktur nötig ist.
Wohin mit der Sammlung?
2009 wurde dann aus dem Arbeitskreis der „AKI-Förderkreis Industrie-, Handwerks- und Gewerbekultur Schweinfurt e. V.“. Sein Zweck: Sammeln, Restaurieren, Aufbewahren bedeutsamer Dokumente und Gegenstände aus allen Bereichen mit dem Fernziel Museum.
Die immer gestellte Frage lautete aber weiterhin: wohin mit dem all den Exponaten? Die Berufsschulräume waren ja bereits gefüllt. Beispielsweise ist dort der Damen- und Herrensalon Eisend von 1900 aufgebaut. Emil-Josef Linke, der selbst den letzten Friseur-Salon im Bahnhof betrieb, hat den Salon – ehemals im Eisenbahnerblock – vor der Verschrottung bewahrt. Im gleichen Raum befindet sich eine ebenso historische Schusterwerkstatt aufgebaut. Den nächsten Raum füllt das riesige FAG-Werksmodell aus Messing, Maßstab 1:160, aufgebaut von Azubis im Auftrag der Eigentümer-Familie Schäfer unter Leitung von Heinz Ludwig.
Die Rettung hieß Kunstmühle am Main. Die Stadtwerke stellten dort 2011 Räume zur Verfügung, schwer heruntergekommen, aber von den AKI-Mannen in zig Stunden ehrenamtlich auf Vordermann gebracht. Möglich wurde nun, sich an der von der Stadt 2013 veranstalteten Landesausstellung „Main und Meer“ zu beteiligen. Der Verein tat das sehr erfolgreich mit der Sonderausstellung „Verkehr auf und am Main mit Muskelkraft oder Motorkraft“.
AKI hatte nun Lunte gerochen. Warum nicht weiter Ausstellungen anbieten? Die Museums-Idee war geboren.
Die Räume am Main wurden umgestaltet, 2015 das Kleine Industriemuseum am Main eröffnet. Der Name ist Anspielung auf irgendwann mal ein Großes Museum. Neuerdings in einem Depot im Goethebunker, in der Berufsschule und im Kleinen Museum am Main wären dafür schon heute ausreichend Anschauungsobjekte vorhanden.
Blicken wir nur mal kurz ins Kleine Industriemuseum: Im Vor- und Medienraum beeindruckt die Kugelschleifmaschine, wie sie um1930 bei FAG gebaut wurde. Ausgestellt ist das Nachfolgemodell des von Friedrich Fischer 1883 entwickelten Typs, mit dem es zum ersten Mal gelang, Qualitäts-Stahlkugeln in großer Stückzahl herzustellen. Im Kugelraum nebenan zeigt Rücknagel die Funktion der Sortiermaschine für Präzisionskugeln. An der Nieteinfädelmaschine demonstriert er, wie ein kleines Kugellager montiert wird. Der neue Sachs-Raum befindet sich in einem kürzlich hinzugekommenen vierten Raum. Ausgestellt sind dort die Torpedo-Freilaufnabe, Zweitakt- und Wankelmotore, darunter der Sachs-Wankelmotor KC27, wegen der Form des Kühlluftgebläses auch „Staubsauger“ genannt. Wir sehen ein Göricke-Motorfahrrad mit dem Sachs Motor 74 von 1931 und ein Motorrad von 1937 mit dem 98er Motor, dem legendären „Sachser“. Das Faltboot mit dem wassergekühlten Zweitakter erzählt die Geschichte der Schweinfurter Georg Wolfschmitt und Hermann Rauschert, die 1933 an die Nordspitze Norwegens aufbrechen. Erstmals benutzten die Abenteurer Sachs-Seitenbordmotoren. Der mittlerweile verstorbene Ehrenvorsitzende Emil Ankenbauer, früher Ingenieur bei SKF, hat eine Schrift mit Biografien der beiden Abenteurer verfasst.
Ein Dutzend Aktive
Im Kleinen Industriemuseum sind Geschichte, Wissen und Know-how der Vergangenheit nicht nur in Form von Gegenständen versammelt. Rund 50 Mitglieder zählt der derzeit vom FH-Professor August Georg Ruß geführte Verein. Ein gutes Dutzend ist aktiv. Sie alle bringen die Erfahrung aus ihrem Arbeitsleben direkt ein. Die Besucherzahlen im Museum, das zweimal im Monat samstags und zu besonderen Ereignissen geöffnet hat, steigen stetig. Fast 2400 waren es 2019. Corona hat die Eröffnung der schon komplett aufgebauten Ausstellung „Als Schweinfurt das Fliegen lernte“ bisher verhindert. Wolfgang Rücknagel hofft auf den Herbst. Dem Autor gab er eine Exklusivführung. So viel sei verraten: Die Ausstellung ist grandios, die Besucher können sich auf viel Schweinfurter Luft- und Raumfahrt und einen Flugplatz gefasst machen, der tatsächlich nur ein Jahr existierte.
Meines Wissens sind das dann keine Betriebsangehörige einer Firma.