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Kreis Schweinfurt
Schweinfurter Landwirte lassen bei Bauernprotest Dampf ab: "Unser Fass war die ganze Zeit schon voll"
Das befürchtete Verkehrschaos im Landkreis Schweinfurt ist ausgeblieben. Dennoch kam es mancherorts zu Störungen. Eindrücke vom Großprotest der Landwirtschaft.
Am Montag sorgten zahlreiche Traktoren und Lastwagen für Verkehrsstörungen. Sie alle nahmen an der bundesweiten Protestaktion der Landwirtinnen und Landwirte teil.
Foto: René Ruprecht | Am Montag sorgten zahlreiche Traktoren und Lastwagen für Verkehrsstörungen. Sie alle nahmen an der bundesweiten Protestaktion der Landwirtinnen und Landwirte teil.
Désirée Schneider
,  Irene Spiegel
,  Lisa Marie Waschbusch
,  Marcel Dinkel
 und  Stefan Pfister
 |  aktualisiert: 15.07.2024 18:42 Uhr

Um 5.30 Uhr haben sie sich aufgestellt. Die Musik läuft und der Kaffee in den Tassen dampft, als sich die Männer in dem Anhänger neben dem Kreisel an der B19 bei Werneck an diesem eisigen Morgen versammeln. Während ihre Traktoren eine Spur blockieren, regelt die Polizei den Verkehr. Doch anders als erwartet, ist gar nicht so viel zu regeln. "Wir wollen hier auch keinen Superstau oder sowas", sagt Landwirt Tobias Göbel, der die Versammlung angemeldet hat, "wir wollen einfach sagen: Hört doch mal auf uns."

Göbel hat ein paar Leute zusammengetrommelt, "zwischen 20 und 50" sollen es werden, eine Whatsapp-Gruppe eröffnet, jeder brachte etwas mit. Die Landwirte machen mit bei der bundesweiten Protestwoche. Die Motivation: "Unser Fass war die ganze Zeit schon voll, die letzten beiden Sachen haben es zum Überlaufen gebracht." Was er meint: die Abschaffung der Subventionen für Agrardiesel und das Ende der Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge.

Das Entgegenkommen der Ampel-Koalition Ende vergangener Woche änderte nichts mehr an den Protestplänen. "Wir haben in keiner Weise daran gedacht, einen Schritt zurückzugehen."

Junglandwirte sind wegen ihrer Zukunft verunsichert

Die Stimmung ist gut, doch in den Gesprächen mit den Männern wird deren Frust schnell deutlich. Unter ihnen sind einige Junglandwirte, wie etwa Adrian Reuß aus Ettleben. "Man ist sich als Junglandwirt nicht sicher, ob man den Betrieb in Zukunft weiterführen kann", sagt der 29-Jährige. Sein Betrieb, ein Ackerbaubetrieb mit 150 Hektar, einer Biogasanlage und einer Ölmühle, bestehe seit neun Generationen. "Wenn das so weitergeht und die mir die Branche plattmachen, muss ich schauen." Mit "die" meint er die Bundesregierung.

Was ihn besonders wütend macht: Reuß fährt mit seinem Schlepper klimaneutral, wie er sagt. "Ich baue mein Raps selbst an, stelle meinen Sprit selbst her, aber für jeden Liter, den ich in den Tank kippe, muss ich Steuern abführen." Was früher noch ein "aufkommendes Ding" gewesen sei, habe keiner weiter gefördert. Er sagt: "Die Bundesregierung will es nicht. Strom haben wir nicht, Wasser haben wir nicht. Wo soll der Sprit herkommen?"

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Behinderungen an der Auffahrt zur A71

Auch in Euerbach haben sich Landwirte neben dem Kreisverkehr postiert. Weil immer mehr auch aus anderen Regionen angefahren kommen, wird der Verkehr zwischen der A71-Autobahnauffahrt und dem Kreisverkehr abgebremst. Auf der Ortsdurchfahrt bildet sich ein Rückstau. Nur im Schneckentempo geht es voran. 

Nichts los ist unterdessen an der Autobahnauffahrt der A7 bei Wasserlosen/Rütschenhausen. Ein einziger Traktor hat sich am frühen Morgen hierher verirrt. Auf einer Verkehrsinsel brennt ein Lagerfeuer. Verantwortliche sind nicht zu sehen. Lediglich ein Campingstuhl steht daneben.

Oberndorf war für einige Stunden dicht

Es ist etwa halb 9, und in Oberndorf steht der große Traktor von Landwirt Sven May quer zur Fahrbahn, hier kann keiner mehr durch. Nur Rettungsfahrzeuge dürfen passieren. Bauern haben mit rund 50 Traktoren ab 6 Uhr die Hauptstraße zwischen dem "Schwarzen Adler" und dem Parkplatz am Weiher dichtgemacht. In der Protestwoche will May jeden Tag von 6 bis 22 Uhr mit seinem Traktor die Durchfahrt blockieren. Das sei genehmigt, sagt er.

Matthias Hollmach aus Gerolzhofen, Sven May, Kathrin May und Rudolf May (von links) bei dem Protest in Oberndorf.
Foto: René Ruprecht | Matthias Hollmach aus Gerolzhofen, Sven May, Kathrin May und Rudolf May (von links) bei dem Protest in Oberndorf.

Hauptsächlich Landwirte aus dem südlichen Landkreis haben sich an diesem Morgen schon um 5 Uhr auf den Weg nach Oberndorf gemacht. So wie Christian Pretscher. Er lobt die gute Zusammenarbeit mit der Polizei. Auch aus den Autos komme Unterstützung. "Viele zeigen im Vorbeifahren den Daumen hoch", freut sich der junge Landwirt, dass die Bevölkerung hinter den Bauernprotesten steht.

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In den Korso haben sich auch andere Branchen eingereiht. Speditionsfirmen, Zimmereien, eine Mineralölgesellschaft, der Forst. Sogar ein Kleinwagen mit Pflegekräften steht protestierend mit in der Schlange. Distanz halten die Landwirte allerdings zu einer Gruppe aus der Querdenkerszene, die sich mit Lautsprechern und lauter Musik auf dem Parkplatz breit gemacht hat. Sie will den Bauernprotest für ihre Interessen nutzen. "Mit denen haben wir nichts zu tun", betont ein Landwirt.

Demonstrierende bilden eine Rettungsgasse

Auf der Staatsstraße von Kolitzheim nach Unterspiesheim ist kurz vor 9 Uhr ein Meer aus gelben Warn- und Blinklichtern zu sehen. Gut 40 Landwirte, Winzer und weitere Teilnehmer sind mit ihren Traktoren in Stammheim gestartet und sorgen für zähfließenden Verkehr auf mehreren Kilometern Länge. Ihr Ziel: die B286, wo die Protest-Kolonne ihre Fahrt in Richtung Schweinfurt im Schritttempo fortsetzt.

Als ein aus Gerolzhofen kommender Rettungswagen mit Blaulicht vorbeifahren will, bilden die entgegenkommenden Fahrer eine Rettungsgasse. Das Einsatzfahrzeug kann zügig passieren.

Ursprünglich wollten Bauern aus Unterspiesheim und Gernach mit ihren Traktoren die Auffahrt zur B286 ab 6 Uhr komplett blockieren. Eine Sperrung tolerierte das Landratsamt jedoch nicht. Die Antragsteller zogen ihren Antrag zurück, wie die Kreisbehörde auf Anfrage mitteilt. Bislang seien keine Versammlungen abgelehnt worden. Mit allen Antragstellern habe es Gespräche zum Ablauf und den Auflagen gegeben. 

Gut 40 Landwirte, Winzer und weitere Protestteilnehmer sorgten am Montag für kilometerlangen, zähfließenden Verkehr entlang der Staatsstraße 2271 bis nach Unterspiesheim und anschließend auf der B286.
Foto: Stefan Pfister | Gut 40 Landwirte, Winzer und weitere Protestteilnehmer sorgten am Montag für kilometerlangen, zähfließenden Verkehr entlang der Staatsstraße 2271 bis nach Unterspiesheim und anschließend auf der B286.

Es war nicht der einzige derartige Fall im Landkreis Schweinfurt. Einem Unterspiesheimer Antragsteller zufolge hatte ein zweiter Antrag, die Blockade der Kreisverkehre an der B286-Auffahrt nahe Schwebheim sowie zwischen Gochsheim und Grafenrheinfeld, ebenfalls keine Chance auf Genehmigung. Das bestätigt die Behörde. Stattdessen machten sich die gut 30 Landwirte aus den beiden Kolitzheimer Ortsteilen auf den Weg zur Auffahrt an der A70 zwischen Sennfeld und Gochsheim. 

Junglandwirte fürchten um ihre Zukunft

Um die beißende Kälte an diesem Morgen etwas besser zu ertragen, haben Juliane Schmitt und ihre Kollegen aus den umliegenden Dörfern einige Holzöfen zur Bundesstraße am Autohof in Werneck mitgebracht. Die 20-jährige Nachwuchslandwirtin aus Retzstadt fürchtet aufgrund der Agrarkürzungen und der insgesamt hohen Auflagen um ihre Zukunft.

Handwerker Frank Thun unterstützt die Protestaktion der Landwirtinnen und Landwirte am Autohof in Werneck.
Foto: Lisa Marie Waschbusch | Handwerker Frank Thun unterstützt die Protestaktion der Landwirtinnen und Landwirte am Autohof in Werneck.

Auch außerhalb der Branche ist die Solidarität mit den Bäuerinnen und Bauern hoch. Unter den Demonstrierenden an der Auffahrt zur A70 ist auch Frank Thun, 55, aus Werneck. Der selbstständige Handwerker zeigt sich solidarisch mit den Forderungen der Landwirtinnen und Landwirte. Er selbst spürt die Auswirkungen der Inflation am eigenen Leib. "Die Leute haben kein Geld", sagt er.

Etwa eine Stunde später und sechs Kilometer weiter östlich beißt Erich Wahler gerade in seine Bratwurst. An der Autobahnanschlussstelle Bergrheinfeld/Oberndorf haben es sich einige Landwirte mit Öfen und Verpflegung etwas erträglicher eingerichtet. Der Verkehr aus Bergrheinfeld nach Oberndorf hinein, gerät gelegentlich ins Stocken. Lediglich zwei Traktoren versperren jeweils die Zufahrt auf die A70. Gegenwind seitens der Autofahrer spüren die Landwirte an diesem Tag aber kaum.

"Die psychische Belastung von einem Bauern ist brutal."
Erich Wahler, ehemaliger Landwirt aus Bergrheinfeld

Wahler hat jahrelang einen landwirtschaftlichen Hof im Nebenerwerb geführt. Steigende Kosten, wachsende Auflagen und die hohe Belastung im Beruf haben dazu geführt, dass der ehemalige Landwirt seinen Betrieb bereits vor fünf Jahren einstellen musste. "Die psychische Belastung von einem Bauern ist brutal", verdeutlicht er. Viele Betriebe würden finanziell mit dem Rücken zur Wand stehen. Und weil er nicht wolle, dass es anderen ähnlich ergehe, setze er sich für die Landwirte ein. In Bergrheinfeld haben die Landwirte bereits angekündigt, die restliche Woche über protestieren zu wollen.

Notfalleinsätze weitestgehend problemlos

Die Integrierte Leitstelle Schweinfurt (ILS) registriert angesichts der Verkehrsbehinderungen im Bereich Main-Rhön eine insgesamt "angespannte Situation" bei Einsätzen der Rettungsdienste, sagt deren Leiter Klaus Wörner am Vormittag. Schichtführer Ivo Hauer meldet nachmittags ein Abflauen der Einschränkungen. Bei Krankentransporten, die ohne Blaulicht unterwegs sind, gab es tagsüber ein paar Verzögerungen. Bei Notfalleinsätzen mit Notarzt und Rettungswagen wurde es "nie wirklich eng", so Hauer. 

An den Schulen in Stadt und Landkreis waren die Bedenken vor den Auswirkungen der Protestaktion zum Teil groß. Letztlich blieben die Auswirkungen jedoch überschaubar, gaben einige Schulen gegenüber dieser Redaktion an. "Wir hatten im Vorfeld große Sorge, aber zum Glück verlief der Schultag sehr ruhig", sagt Sina Höfer, Schulleiterin des Alexander-von-Humboldt-Gymnasiums in Schweinfurt. Lediglich ein Bus aus Zeuzleben habe zeitweise im Verkehr festgesteckt. Michael Kobosil, Schulleiter der Schweinfurter Frieden-Mittelschule bestätigt ebenfalls, keine Auswirkungen gespürt zu haben.

Polizei zieht positive Bilanz

13.30 Uhr, Treffpunkt zur Sternfahrt nach Biebelried. Mehr als 50 Schlepper und Lastwagen haben sich im Gewerbegebiet in Werneck versammelt. Vor Ort ist auch Michael Reck, Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbands im Landkreis Schweinfurt, und er zeigt sich zufrieden. Die von politischen Beobachtern geäußerte Befürchtung einer radikalen Unterwanderung der Proteste sei ausgeblieben. "Es ist nicht unser Ansinnen, dass unsere Aktionen unterlaufen werden", sagt Reck und distanziert sich deutlich von extremen Protesten. "Wir wollen eine saubere politische Lösung."

Als der Konvoi nach 14 Uhr am Kreisel bei der B19 in Werneck ankommt, gibt es dann zwar doch Verkehrsbehinderungen, Polizei-Einsatzleiter Mario Schiller bescheinigt dennoch: Die Landwirte hätten vorbildlich und kooperativ mit den Behörden zusammengearbeitet.

 
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