Was will uns Jan Neumann eigentlich sagen? Seine Inszenierung von Shakespeares "Romeo und Julia" für das Nationaltheater Weimar lässt einerseits die moderne Übersetzung Thomas Braschs schön wirken, schlägt dann aber immer wieder in Klamauk um. Das ist zuweilen irritierend, hält aber die Spannung über die gesamten drei Stunden.
Schon der Beginn fordert. Capulet und Montague, die Häupter der beiden bis aus Blut verfeindeten Familien aus Verona, begegnen sich. "Arschloch", sagt der eine, "Arschloch" erwidert der andere. Es beginnt ganz leise. Der Ton schwillt an, andere treten hinzu, es wird immer lauter, "Arschloch", immer wieder "Arschloch", der Streit schaukelt sich hoch, mündet in Gewalt. Dieses sich gegenseitig Reizen bis Blut fließt steht der Liebe entgegen.
Oliver Helf hat dafür einen bedrückenden Raum geschaffen. Gespielt wird zwischen meterhohen Wänden, um die ein Metallgitter läuft. Ein Gefängnis und gleichzeitig Kampfarena. Cary Gayler hat die Truppe in Kostüme gesteckt, die aus der Zeit gefallen sind, teure Stoffe, folkloristische Röcke, die Männer tragen Bauchtäschchen mit Hundeköpfen. Das Geschlecht spielt keine Rolle. Die Amme Julias ist ein Mann mit Vollbart. Glänzend Lutz Salzmann in seiner Rolle als scheiternder Vermittler. Die Akteure sind multikulti. Romeos Freund Bonvolio (Tahera Hashemi) hat unverkennbar Migrationshintergrund, ist eine Frau, die zwei mit Tritten angetriebenen Diener der Capulets haben irre Frisuren, sprechen nur gebrochen Deutsch, können nicht lesen. Soviel zum aktuellen Bezug.
Mönche in Pink bitten das Publikum um Hilfe
Pater Lorenzo (Christoph Heckel) erscheint gleich in mehrfacher Gestalt. Die pinkfarben gekleideten tuntigen Mönche liefern sich beim Pflanzen von Geranien einen mitreißend witzigen, völlig unsinnigen Streit. Einer tritt später an die Rampe, spricht zum amüsierten Publikum, bittet um Hilfe bei der Suche ("schauen sie mal in ihre Taschen") nach dem Brief, der die Katastrophe schließlich auslöst.
Tybalt (wortgewaltig Janus Torp) und Mercutio (Krunoslav Sebrek) führen sich einen heftigen, athletisch geführten Kampf mit dem Schwert. Blut fließt, gestorben wird langanhaltend. Ja, geliebt wird auch. Nach dem Fest im Hause Capulet – urkomisch, wie die Gäste von langen Perücken durch die Szenerie ziehen – kommen sich Julia und Romeo näher. Der berühmte Balkon wird, da es Häuser nicht gibt, per Hebebühne gebracht. Romeo (sehr präsent Nahuel Häfliger) darf ein "O Sole mio" schmettern und sich von Gefühlen übermannt ins Publikum stürzen, in der ersten Reihe Küsschen verteilen. Der Liebesakt auf dem Laken unter Stroboskoplicht ist heftig. Die Julia Rosa Falkenhagens wirkt zunächst eher unterkühlt, um schließlich zum ganz großen Gefühl zu kommen.
Ganz stark die Szene, wenn der autoritäre Herr des Hauses Capulet (Bernd Lange) aus der Haut fährt, die Tochter unter wüsten Drohungen zur Ehe zwingt und dabei seine Frau vor der Tochter demütigt. Anna Windmüller ist eine Gemahlin mit strenger Frisur und einem niedlichen lebendigen Hündchen an der Brust. Die Amme geht entsetzt auf die weitest mögliche Distanz.
Die Liebe Romeos und Julias muss scheitern. Nicht wie vorgesehen durch den Dolch. Das Paar steht auf einen Sockel, engumschlungen, tanzend. Dann geht das Licht aus.
Schon zur Pause löst Neumanns Inszenierung im Publikum kontroverse Diskussionen aus. Strikte Ablehnung und begeisterte Zustimmung scheinen sich die Waage zu halten. Gut so, wenn Theater die Menschen miteinander ins Gespräch bringt.