Schweinfurt ist die einzige kreisfreie Stadt in Bayern, die vor 40 Jahren bei der Gebietsreform von 1972 keinen Quadratmeter besiedeltes Gebiet dazubekam. Das einzige Trostpflaster war die „Umgemarkung“ von 2,4 Quadratkilometern Grafenrheinfelder Grund, – der heutige Industriepark Maintal. Wie kam es dazu? Recherchen führen immer wieder zu dem ehemaligen Staatssekretär Erwin Lauerbach. Ein Macher und ein Machtmensch; so schätzen ihn Wegbegleiter – auch aus der eigenen Partei – ein. Dass das rote Schweinfurt von den Schwarzen in München nichts zu erwarten gehabt hätte, stimmt jedoch auch nicht. Ganz so einfach ist selbst die Politik hinter den Kulissen nicht gestrickt.
Die Spurensuche führte die Redaktion zu ehemaligen und noch aktiven Stadträten und Landtagsabgeordneten. Gespräche wurden zudem mit Altoberbürgermeister Kurt Petzold und dem früheren Kämmerer Paul Eichhorn oder etwa mit Edgar Lösch, damals Leiter des städtischen Bauverwaltungsamtes, geführt. Trotzdem: Es bleiben nur Spekulationen. Bescheide, Dokumente, die die Stadt hätte anfechten können, gab es nie. Rückblick: In den 60er Jahren hatte sich die CSU an die Neuorganisation der Kommunen herangewagt, weil die wachsenden Verwaltungsaufgaben ehrenamtliche Bürgermeister und Gemeinderäte überforderten. Gebraucht wurden Fachkräfte in den Rathäusern, die die Kommunen allerdings auch bezahlen können mussten. Die Antwort darauf war die Gemeindegebietsreform, die der Landkreisreform vorausging. Dabei setzte Bayern zuerst auf die Einheitsgemeinden, später auf Verwaltungsgemeinschaften.
Dies war die Situation 1972, in der die Landkreisgebietsreform – also eine Reform der nächsten Ebene – anstand. Schweinfurt-Land war ein „Kragenlandkreis“, also das Umland einer kreisfreien Stadt. Über die Zukunft der Kragenlandkreise wurde heftig diskutiert, waren doch viele Einrichtungen dort nicht vorhanden, beispielsweise die weiterführenden Schulen, die es auch im Fall Schweinfurt nur in der Stadt gab. Eine Lösung wäre die Zerschlagung des Schweinfurter Landkreises gewesen. Gewachsen wären die Stadt und die benachbarten Landkreise.
Dieser Weg wurde nicht eingeschlagen. Schweinfurt-Land sollte bestehen, wäre indes ohne Dittelbrunn, Niederwerrn und Sennfeld in die Bedeutungslosigkeit abgerutscht. Schweinfurt-Land mit Maßbach, Rannungen und Poppenlauer zu entschädigen, hätte den Kreis Kissingen geschwächt, dem als Ausgleich keine Gemeinden aus dem Bereich Neustadt zuzuordnen waren, weil die Politik am Zonenrand überlebensfähige Kreise wollte. Ob Schweinfurt deshalb die einzige kreisfreie Stadt in Bayern blieb, die keinerlei bewohntes Gebiet dazu gewann?
Schweinfurt wuchs auf jeden Fall nicht auf 80 000 Einwohner, musste auf einkommenssteuerstarke Zuwächse wie Dittelbrunn verzichten und blieb in den engen Stadtgrenzen stecken.
Kurt Petzold (1972 Kämmerer, von 1974 bis 1992 OB) hatte für ein größeres Schweinfurt gekämpft und schon 1970 im Auftrag von OB Georg Wichtermann die Eingliederung von Dittelbrunn, Niederwerrn und Sennfeld vorbereitet. In Würzburg und München sei der Gedanke auf offene Ohren gestoßen, erst in letzter Minute zurückgezogen worden, erinnert sich Petzold. Vereitelt habe dies möglicherweise Erwin Lauerbach, so Petzold.
Rechtskundiger Stadtrat war damals Paul Eichhorn. Er ist sich ganz sicher, dass Regierungspräsident Robert Meixner im Falle von Niederwerrn und Dittelbrunn mit Veränderungen gerechnet habe. Auf einmal sei das Thema jedoch vom Tisch gewesen. Herumgegangen sei ein Gerücht, in dessen Mittelpunkt Lauerbach stand. Danach soll der Staatssekretär einen Handel mit Landtagsabgeordneten aus dem Schwäbischen geschlossen haben, um Stimmen gegen ein größeres Schweinfurt zu sammeln. Eichhorn räumt aber auch ein, dass Sennfeld, Dittelbrunn und Niederwerrn finanzstark genug gewesen seien, um eine funktionierende Kommunalverwaltung zu unterhalten.
Auch bei einer weiteren Vermutung spielt Lauerbach die Hauptrolle. In Zell, wo er wohnte, formierte sich 1975 eine Bürgerinitiative, die den Anschluss an Schweinfurt suchte. Die von der CSU dominierte Gemeinde habe die SPD in der Stadt nicht eingliedern wollen, besagt jene These, die zumindest dem langjährigen CSU-Vorsitzenden Hans Gerhard Stockinger so gesagt wurde. Hat daraufhin Lauerbach jede weitere Eingemeindung abgeblockt?
Fakt ist, dass anschließend kaum noch darüber gesprochen wurde, die Landkreise am Main und in der Rhön um einen zu verringern, der Stadt die Umlandgemeinden zu geben und trotzdem Schweinfurt-Land zu stärken, etwa mit Arnstein, Volkach und/oder Thundorf, meint heute Stockinger.
Interessant ist hier eine Fehleinschätzung von Erwin Lauerbach, die er Jahre nach der Gebietsreform einräumte. Er hatte geglaubt, dass die CSU das Schweinfurter Rathaus nach OB Wichtermann ganz ohne Unterstützung der Umlandgemeinden erobern und den Oberbürgermeister stellen werde.
„Wer schuld war, weiß ich nicht“, sagt Bruno Wawrzik, der 1972 für die CSU im Stadtrat saß. Zur gleichen Zeit war Edgar Lösch Leiter des Bauverwaltungsamtes. „Weder die Orte noch die Stadt wollten so richtig, der Landkreis schon gar nicht.“ So sei alles geblieben, wie es war. Der frühere Landtagsabgeordnete Werner Hollwich von der SPD sieht die CSU als Verhinderer. Durch die Eingliederung von Sennfeld, Niederwerrn und Dittelbrunn hätte Schweinfurt neu wählen müssen. Gegen den 63-jährigen Georg Wichtermann wäre ein CSU-Kandidat chancenlos gewesen, so Hollwich. Deshalb habe die CSU blockiert. Karl-Heinz Nätscher, von 1978 bis 1998 für die CSU-im Landtag, meint, dass ohne Dittelbrunn die Großgemeinde mit Hambach, Pfänd- und Holzhausen gescheitert wäre, Niederwerrn und Oberwerrn zusammengehörten und Sennfeld auf eigenen Beinen stand.