Es herrschten turbulente Zeiten in der Ruinenstadt, als 1945 in der Spitalstraße das Schild "Adolf-Hitler-Straße" abgeschraubt worden ist. Karl Braun hieß der Schweinfurter Kommunist, der als Verfolgter des Nazi-Regimes mit der US-Division "Rainbow" zurückgekehrt war, später KP-Stadtrat und Chef des Fürsorgeamts wurde. Der gelernte Boxer nahm die Parole "Hoch die Faust" wörtlich, als im Kampf ums tägliche Brot eine Angestellte bedroht wurde, und streckte den Randalierer persönlich nieder.
Edgar Lösch, selbst lange Jahre Leiter des Bauverwaltungsamts der Stadt, hat Braun während seiner Ausbildung noch kennen gelernt. "Schweinfurt 1945 – 1955" nennt sich das vierte Buch des fränkischen Heimatforschers. Löschs "Lesebuch mit Bildern" führt zurück in die Welt von Schuttbahn, Swing, Spruchkammer-Verfahren, Schwarzmarkt, Schulspeisung und Schlachtschüssel. In der Schweinfurter "Stunde Null" wurde abgebrochen und aufgebaut, erst gehungert, dann geschlemmt, von einem freieren, besseren Leben "made in USA" geträumt, demontiert, die Demokratie neu erlernt und (vorsichtig) entnazifiziert.
Am "Tag des Dankes" hat Autor Lösch einige treue Helfer ins Nebenzimmer des Marienstifts eingeladen, wo er sein neuestes Werk überreicht, an dem er drei Jahre lang gearbeitet hat. 500 Stück beträgt die Auflage, die nun im Buchhandel erhältlich sind. Für 24,90 Euro gibt es 164 Seiten geballte, reich bebilderte Stadtgeschichte.
Wer weiß etwa noch, dass auf dem Rossmarkt das erste "Einkaufszentrum" nach dem Krieg gestanden hat, mit kleinen, flachen Verkaufsläden? Hauptkassier Rudi Eckenweber verteilte bei der Währungsreform 1948 zig Millionen von D-Mark, in der Sparkasse. Im Hungerwinter zuvor war noch der Kohleklau umgegangen und manch Zigarette getauscht worden. Ed Sperber oder das Arko-Quartett gaben mit "Ami-Musik" den Takt der neuen Zeit vor. Bald rollten Mopeds, Straßenkreuzer und Kabinenroller an der Glaskanzel über dem Marktplatz vorbei, wo ein Verkehrspolizist die moderne Ampelanlage steuerte.
Die früheren Bücher drehten sich um die Sanierung der Altstadt, um lokale Heimatdichter oder, besonders beliebt, die alten Gasthäuser der Stadt. Eigentlich sollte es jetzt um die Zeit zwischen 1933 und 1955 gehen. Geschichten-Sammler Lösch merkte rasch: Das war zu viel Stoff für ein Buch. Also wurde erst einmal die Nachkriegszeit behandelt. Der Sohn eines Kugelfischer-Arbeiters, Jahrgang 1938, hat die letzten Kriegsmonate quasi im Spitalseebunker gelebt.
Da Vater Felix Lösch dem Werkschutz angehörte, war die Familie zuletzt im Kufi-eigenen Werksbunker in der Kreuzstraße untergebracht. Als keine Bombe mehr krachte und die Sirenen verstummten, wurde vorsichtig Kontakt mit den US-Wachposten aufgenommen. Edgar Lösch kann sich noch gut an den ersten GI erinnern, der ihn und seinen Bruder mit Hershey´s-Schokolade versorgte, im April 1945.
"Damals hatten die Amerikaner noch einen Plan", sagt das staunende Kind von einst und will nichts über seine Befreier kommen lassen. Das Miteinander sei bis zum Abzug gut gewesen, zwischen Bullriding beim deutsch-amerikanischen Volksfest oder der Bücherei des "Amerikahauses", das bis in die 50er am Ernst-Sachs-Bad untergebracht war.
Möglich wurde das Buch nicht zuletzt dank der Fotosammlung von Edgar Kolb, fleißigen Zuarbeitern wie Peter Stößel, Karl-Heinz Hennig und Udo Kröner, dem Lektorat von Freund Clemens Brandel, der fachmännischen Gestaltung durch Karl-Heinz und Nicolas Weppert oder der "Gesellschaft Harmonie" als Unterstützerin. Sohn Dirk Lösch ist zur Feierstunde eigens aus München angereist.
"Wer red', der geht", meint Pensionär Lösch zu seiner Motivation, die Feder auch im 83. Lebensjahr nicht aus der Hand zu geben, "wer schreibt, der bleibt."