Diese Empfehlung gab Nora Gomringer den Sprachfreunden mit auf den Heimweg. Nach einem ununterbrochenen Feuerwerk von Lauten und Worten hatte sie ein „Ahh“ und „Ohh“ ausgelöst. Als Sprechtexterin, Sprachschöpferin und Sprachgestalterin im Programm angekündigt, war es gerade ihr unkonventioneller Umgang mit Sprache und Klang, der die vielen begeisterten Anhänger ihrer Kunst in das obere Foyer im Schweinfurter Theater gelockt hatte.
Im lautmalerischen Umgang mit Buchstaben, Silben und Worten besteht Gomringers besondere Kunst. Man möchte sich vorstellen, wie sie bereits beim Schreiben der Texte an die spätere Performance denkt, wie sie sich leise murmelnd oder laut auflachend die Worte über die Lippen plätschern und aus der Kehle quellen lässt. Jetzt jault und tremoliert sie, rattert und knarz. Zerlegt die Worte in ihre Einzelteile und setzt sie neu klingend wieder zusammen. Kocht eine Buchstabensuppe, die wohlig warm die Kehle hinunterrinnt.
Leise Töne zur Wortakrobatik
Seit geraumer Zeit ist sie mit dem Jazzmusiker Philipp Scholz unterwegs, der es vermag, die Akrobatin mit leisen Tönen zu begleiten und ihre Wortsalti mit leisen Trommelwirbeln anzukündigen. Ein unverhofftes „Pling“ am Glockenspiel, ein „Klock“ mit dem Klangholz und ein sirrendes Flimmern der mit dem Streicherbogen zum Schwingen gebrachten Klangschalen eröffnet Räume, zieht Vorhänge auf und wieder zu, schafft Atmosphären.
Gomringer steht mitten im Leben, ihr Blick ist detailgenau und ihre Phantasie grenzenlos. Eine Wanderung in der Schweiz gebiert den „Gang mit Hermelin“, das Tierchen, das nun lispelnd listig höchst lebendig in der Performance mit dabei ist. Das Leben birgt Stoff genug, wie die Anekdote der Abiturientin aus Hamburg zeigt. Diese hatte in der Abiturprüfung das Transplantationsgedicht „Herz“ interpretiert, sich darüber mit der Autorin ausgetauscht und promoviert mittlerweile über deren Werk. Überraschende Wendungen vollzieht die „Kindergeschichte“, alles gerät aus seiner Ordnung, wenn nichts mehr so ist wie es immer war.
Worte fügen sich zu skurrilen Situationen
Nicht nur eigene Gedichte bringt das Energiebündel zum Klingen. Worte fügen sich zu skurrilen Situationen. Maud Vanhauwaerts „Mikrofonanlage“ mit ihren halben Sätzen lässt Platz für fortfliegende Gedanken. Da ist das „Schlaflied für die Sehnsucht“ der im Zwangsarbeiterlager in der Ukraine verstorbenen jüdischen Lyrikerin Selma Meerbaum-Eisinger. Gomringer singt das Lied mit verträumter Stimme, haucht das Ende aus. Was bleibt ist ein langer Nachklang. Oder die konkrete Poesie ihres Vaters Eugen Gomringer. Mit „Die Häuser des I-Ging“ geht man an den Charakteren deren Erbauer vorüber, dem Haus des Schöpferischen oder des grummelnden Sanften. Es bleibt nicht aus, dass die unrühmliche Geschichte von der Übermalung des Gedichts „Avenidas“ ihres Vaters durch den Raum weht. Avenidas.. mujeres.. flores.. Die mitgebrachten „rückstandslos zu entfernenden“ Sticker mit dem Text sind in Sekundenschnelle vergriffen.
Was werden das für Liebesbriefe, wenn Gomringers Lust am spielerischen Fabulieren nur ein bisschen auf die Zuhörer abfärbt!