Eines ist an jenem Donnerstagabend schnell klar: Eine Zoom-Konferenz wie jede andere in Corona-Pandemie-Zeiten ist das nicht. Das liegt nicht nur daran, dass sich hinter den rund 20 Bildschirmen meist ältere Herrschaften befinden, sondern vor allem daran, dass die Schweinfurter Schlaraffen ein Treffen veranstalten. Eine so genannte Online-Krystalline in ihrem schlaraffischen Reych, um genau zu sein.
Es gibt Musik-Videos mit Schlagern von Adriano Celentano, kurze schräge, aber durchaus lustige YouTube-Beiträge, ein paar Gedichte und Vorträge der Teilnehmer, ein Liedbeitrag aus dem Rheinland mit der schönen Zeile: "Nimm es hin, es ist nur, weil ich Schlaraffe bin". Die Stimmung ist gut, der Umgang freundschaftlich, Ritter Pionikles alias Martin Scheele als Versammlungsleiter routiniert. Es ist ja nicht die erste Zoom-Konferenz, die die Schlaraffen in der Wälzlagerstadt organisieren.
„Schlaraffe zu sein, ist ein Anker im Meer der Tollheiten der profanen Welt“, hat mal ein Schlaraffe den Männerbund beschrieben. Das ist eine sehr schöne Beschreibung dessen, was diesen Verein ausmacht. Gerade diese Gruppe war von der Corona-Pandemie seit März 2020 betroffen – es sind zumeist ältere Männer, die in der Risikogruppe sind, sich deshalb nicht mehr treffen konnten wie sonst in ihren Räumen im Obergeschoss in der Spinnmühle an der Gutermann-Promenade. Was also tun? Das "Meyenburger Impfprogramm" erfinden, wie es Martin Scheele nennt.
"Für viele von uns ist die Schlaraffia eine zweite Heimat", erklärt Horst Fischer, seit Jahrzehnten als Ritter Mammodore dabei. Und durch Corona ist in dieser zweiten Heimat viel weggebrochen, die wöchentlichen Treffen im Winterhalbjahr waren nicht mehr möglich. Doch die Freundschaften wollen gepflegt werden, zumal es Ehrensache ist, sich umeinander zu kümmern. Also entschlossen sich die Schlaraffen, es online mit Zoom-Konferenzen zu versuchen. Anfangs mit noch wenigen Teilnehmern, doch mittlerweile hat sich ein fester Kern von über 20 Personen gefunden, viele auch aus anderen schlaraffischen Reychen in der Region.
Auch technische Hilfe wurde natürlich gegeben, so dass nun jeder nicht nur den Computer einschalten, das Mikro und die Kamera finden kann, sondern routiniert mit Zoom umgeht. Einige nutzten sogar schon die Möglichkeit, sich bei weltweiten Zoom-Konferenzen in schlaraffischen Reychen in den USA einzuwählen. Die Welt ist durch Corona gefühlt zumindest auch ein bisschen kleiner geworden.
Das schlaraffische Rollenspiel ist auf den ersten Blick nicht leicht zu verstehen
Reych? Ritter? Sippung? Schlaraffen? Die dicken Fragezeichen in den Gesichtern von Fremden kennen die Schweinfurter Schlaraffen nur zu gut. Sie versuchen sie mit einem Schmunzeln zu vertreiben, das es braucht, bis man dieses schlaraffische Treiben in der so genannten Burg des Reyches an der Meyenburg ansatzweise als das verstanden hat, was es ist: Ein (Rollen)-Spiel.
Was ist die Schlaraffia alles nicht? Bestimmt kein Karnevalsklub, auch wenn die Hüte, die die Mitglieder tragen – in Schweinfurt sind sie weiß, blau und grün – an Elferratskappen erinnern. Sicher keine Loge, keine Freimaurer und auch kein Service-Klub wie Rotary oder Lions. Die Schlaraffia ist eine weltweite Vereinigung von im Moment gut 10 000 deutschsprachigen Männern, verbunden durch ihre Maxime Freundschaft, Kunst und Humor. Der Wahlspruch „In arte voluptas“, lateinisch für „Durch Beschäftigung mit der Kunst entsteht Freude“, trifft es ziemlich gut.
Keine politischen und keine religiösen Themen bei den Vorträgen
Die profane Welt, das ist aus schlaraffischer Sicht das Hier und Jetzt, die Realität. Der eigene Beruf, die politische Einstellung oder Religion, all das sind verpönte Themen während des schlaraffischen Spiels. Sie spielen keine Rolle, wenn man sich trifft. Und mal ehrlich, wer sucht im Moment nicht nach einem Anker im Meer der Tollheiten nach einem surrealen Corona-Jahr. Da braucht man mit Donald Trump gar nicht anfangen.
Ist so ein schlaraffischer Abend Jedermanns Sache? Nein, natürlich nicht. Es wird in einer mittelalterlichen Fantasiesprache, dem Schlaraffenlatein, gesprochen. Nach strengen Regeln, die man auf den ersten Blick nicht versteht. Aber es macht Spaß, wenn man tolerant und vorurteilsfrei ein ritualisiertes Spiel beobachtet, das klar definierten Regeln folgt, bei denen Respekt, Toleranz und Freundschaft ebenso hochgehalten werden wie teils skurriler Humor.