zurück
ESSLEBEN
Schlachtfest auf dem Dorf
Das gehört dazu: Brot, Salz, Pfeffer, Most und ein gut schneidendes Messer.
Foto: Natalie Dees | Das gehört dazu: Brot, Salz, Pfeffer, Most und ein gut schneidendes Messer.
Von unserer Mitarbeiterin Natalie Dees
 |  aktualisiert: 07.12.2017 03:02 Uhr

Früher war das Schlachten eines Schweines auf dem Land bei jeder Familie gang und gäbe. Heutzutage sind Hausschlachtungen eher selten. Kein Wunder, dass eine Schlachtschüssel deshalb eine Veranstaltung mit Eventcharakter ist. Auch auf dem Land.

Im Schlachtraum des Sportvereins Essleben im Landkreis Schweinfurt herrscht reges Treiben. „Es kesselt wieder.“ Schlachtschüssel vom Brett. Bestes vom Schwein. Stimmenwirrwarr, heißer Dampf, fettiger Boden, volle Mostkrüge. An einem Samstag im November um die Mittagszeit. Draußen, rund um das eigens für den Anlass angebaute Zelt, zieht ein kalter Wind um die Ecke. Drinnen zelebriert eine lustige „Botschari“, eine Gesellschaft von 75 Personen, ein rustikales Mahl.

Lustig deshalb, weil die Teilnehmer von außen und von innen angeheizt werden. Heizpilze, Schlachtdampf, Musik und Schnaps. Nach jedem Gang gibt es einen, zur Auswahl stehen die Sorten Zwetschge oder Williams Christ Birne – je nach Vorlieben.

Gitarre, „Quetschn“ und Gesang

Doch zunächst zur Sau. Wie sie hieß, weiß man nicht. Vielleicht hatte sie gar keinen Namen. Vielleicht waren es auch mehrere. Nun liegen ihre Einzelteile vor den emsigen Männern auf wuchtigen „Briedern“ oder in „Gelden“, also auf Brettern oder in Wannen. Daneben heizt eine Gruppe von Musikanten aus dem Nachbardorf mit passenden Liedern die Stimmung an. Das fünfköpfige Ensemble der Riedener Rathausmusikanten spielt mit Gitarre, „Quetschn“ und Gesang auf.

Seit drei Jahren untermalen sie das alljährliche Schlachtfest und sorgen für gute Laune. „Gestern noch, da tat sie grunzen. Heut gaid?s Lawerwörschd und Blunzen“, singen sie aus voller Brust. Der in Burkardroth in der Rhön entstandene Wirtshausgesang gehört, wie der „Mousd“, der Apfelmost, einfach dazu. Salz, Pfeffer und „Kräea“, der Meerrettich, sind perfekte Geschmacksintensivierer.

Schlachtschüssel-Spezialisten in Aktion: Ingbert Weisenberger und Helmut Herget, der seit 20 Jahren gute Seele und Heizer der Schlachtschüssel vom Brett ist.
| Schlachtschüssel-Spezialisten in Aktion: Ingbert Weisenberger und Helmut Herget, der seit 20 Jahren gute Seele und Heizer der Schlachtschüssel vom Brett ist.

Winterzeit ist Schlachtzeit

Anton Dees, 87-jährig, erinnert sich an die Schlachtungen früher. „Das letzte Mal haben wir vor rund 30 Jahren, also Mitte der 80er Jahre geschlachtet. Es war immer ein besonderes Ereignis, das aber auch viel Arbeit mit sich brachte.“ Hausschlachtungen fanden häufig in den kalten Wintermonaten statt. Ein beliebter Tag sei der Samstag gewesen, da man nicht zur Arbeit gehen musste. „Meistens haben wir zwei Mal geschlachtet: im Herbst und im Frühjahr. Der Preis eines Schweines richtete sich nach dem Gewicht.“

Der Vater einer zehnköpfigen Familie hatte sieben Kinder, Ehefrau und seine Mutter zu ernähren. Der Ablauf sei immer ähnlich gewesen: Der Metzger schoss das Schwein im Holzkasten mit einem Bolzenapparat. Danach wurde sie gestochen. Das auslaufende Blut wurde sofort in einem Eimer aufgefangen und „gegläubert“, feste gerührt, damit es nicht gerinnt. „Damit es keine Klümpli gibt.“

Typische Frauensache. Ebenso das anschließende Spülen, Kaffeekochen und Backen: Kaseblooz und Riewelesblootz. „Nach dem vielen Fett und Deftigem war das Süße eine willkommene Abwechslung.“ Dees' Meinung nach, waren Käse- und Streuselkuchen das Wichtigste beim Schlachten. Der Abschluss eines langen, anstrengenden Tages. Und die Kinder mussten die „Grädlflääschsuppe“ austragen.

„Schwein gehabt“, heißt „Glück gehabt!“

Wer früher ein Schwein hatte, hatte reichlich zu Essen. Das galt als Glück. Als Würste gekocht oder geräuchert, in Dosen eingemacht oder eingefroren, ernährte ein Schwein eine Familie viele Monate. Schlachttag war ein Schlachtfest. Ein Fest für alle. „Wir haben uns früher selber versorgt. Es war keine Alternative da“, weiß Anton Dees noch aus Kindertagen. Dem Fleischbeschauer musste rechtzeitig Bescheid gegeben werden. „Schdücht“, Bottiche, und „Schrooche“, ein Holzlattentisch, auf dem die Sau nach dem Brühen gelegt wurde, mussten bereit stehen.

Helmut Herget, gute Seele und Heizer der Schlachtschüssel vom Brett seit 20 Jahren.
Foto: Natalie Dees | Helmut Herget, gute Seele und Heizer der Schlachtschüssel vom Brett seit 20 Jahren.

Danach folgte das großflächige Entfernen der Borsten. Entweder mit einer Kette oder einer „Schalle“. Mancherorts wurden die Haare auch abgebrannt. Anschließend säuberte man kleinflächig mit einem Messer weiter, bevor der Metzger das Schwein auseinandernahm. In Hälften zerteilt hing sie nun erst mal am „Säuhogge“ in der Garage, um auszukühlen.

Die Sau kommt schon zerlegt

Bei der heutigen Schlachtschüssel in Essleben kommt das Schwein bereits zerlegt. Bauch, Kopf, Innereien. Der Tod der Sau? An den Schlachtprozess denkt fast niemand mehr. Der fand vorschriftsmäßig beim Metzger in Werneck statt. Alle Teilnehmer des Schlachtfestes vom Brett freuen sich am Geschmack und dem Ereignis. „Es geht in erster Linie um Geselligkeit. Die ist ganz wichtig“, sagt TSV-Vorstand Georg Strobel. „Nicht nur essen, sondern auch quatschen.

Sich über die neuesten Dinge, die im Ort oder anderswo passiert sind, austauschen.“ Das war früher auch nicht anders. Häufig half die Verwandtschaft bei der Hausschlachtung mit. „Schließlich gab es viel zu tun“, weiß Anton Dees noch: „Kessel herrichten, Brennholz holen, Tisch vorbereiten. Schüsseln, Dosen und Gewürze bereitstellen.“ Und, lacht der Senior: „Etwas zum Inhalieren.“ Damit meint er den Schnaps. Schnaps scheint seit jeher ein wesentlicher Bestandteil von Schlachtfesten zu sein.

Vier bis fünf "Schdamperli" zur Verdauung

Auch bei der heutigen Schlachtschüssel des Sportvereins mangelt es nicht am klaren Verdauungshelfer. Am Nachmittag haben es einige bereits auf vier bis fünf „Schdamperli“ gebracht. Anders Helmut Herget, der bleibt nüchtern. Der 72-Jährige ist heute zum 20. Mal mit dabei, wenn eine Sau in ihren Einzelbestandteilen menüartig verspeist wird. Er ist die gute Seele des Vereins. Jahr für Jahr plant er alles, bereitet vor und nach und packt mit an. „Bei der Schlachtschüssel bin ich immer rund elf Stunden auf den Beinen“, erzählt er bescheiden. „Am Tag vorher richte ich Sachen und Raum her. Frühmorgens dann, schüre ich die Kessel an.“

Rund zwei Stunden dauere es, bis der Inhalt der beiden Behälter kocht. Jeder Kessel fasst rund 100 Liter Wasser. „Sellerie, Lauch, gelbe Rüben. Alles gemahlen und je ein Pfund“, verrät Herget das Geheimnis der wohlschmeckenden „Gräidlfläaschsuppe“. Kollege Ingbert ergänzt: „Der Helmut ist unser wichtigster Mann. Unser Schürer und Heizer. Er begleitet den gesamten Prozess von früh bis spät.“ Dass Helmut sich erst am Schluss dem Schnaps widmen dürfe, sei da doch einleuchtend.

Das Geheimnis einer guten Wurst

Inzwischen steigt die Stimmung in der Runde. Bauch, Kopf, Innereien wie Herz und Nieren wandern schwungweise auf die großen Holzbretter und werden sogleich dampfend verspeist. „Gschnipplt“ und mit den Fingern in Salz, Pfeffer oder Meerrettich getunkt. In der Rhön gibt es immer Musik dazu. Aber nicht die der Rathausmusikanten. Sondern ein Gemisch aus Zwiebeln, Essig, Wasser, Pfeffer und Salz. Eine Tunke, die nach dem Verzehr der ein- oder anderen Person einen mehr oder weniger musikalischen Laut entlockt. „Aus den Borschten macht man Bürschten, und das Fleisch, das wird zu Würschten“ trällern die Musikanten.

Zerlegt, gekocht, geschnitten: Edwin Cäsar mit einer Schüssel voll Bauchfleisch.
Foto: NATALIE DEES | Zerlegt, gekocht, geschnitten: Edwin Cäsar mit einer Schüssel voll Bauchfleisch.

„Blut- und Leberwürste müssen circa 30 Minuten im heißen Wasser ziehen“, erinnert sich Anton Dees noch. Das seien die typischen Klassiker gewesen. Was darin ist? „Pfeffer, Salz, Muskat, Blut“, ist er sich sicher. „Und auch noch andere Gewürze. Das Abschmecken war das Wichtigste“, fügt er schnell hinzu. „Wenn als auch mal eine Wurscht geplatzt ist, hat die Suppe noch besser geschmeckt. Aber für jeden war das nichts.

“ Für die Mettwürste wurde ein besonderes Gewürz in Schweinfurt gekauft. Ein Teil wurde geräuchert, der andere gekocht. Speziell diese Sorte wanderte in einen gekauften Plastikdarm. Andere Wurstsorten kamen in Naturdärme. Diese wurden vorher „gelüet“, also mit klarem Wasser nachgespült und von Fäkalien gereinigt. „Einmal hat meine Schwester den Eimer mit Därmen versehentlich ins Klo geschüttet“, erinnert sich der Senior, „da mussten wir schnell beim Metzger welche nachkaufen.“

Erinnerungen – ans Ringelschwänzle

Selbstverständlich wurden zur damaligen Zeit, neben den Nachbarn, auch Pfarrer und Lehrer bedacht. Vielleicht zur Aufbesserung des Seelenheils? Vielleicht, um die Noten der Kinder zu begünstigen? Unfreiwillige, im Nachhinein aber durchaus amüsante Begebenheiten, kennen auch viele der Schlachtschüssel-Teilnehmer. Siggi Weiß aus Essleben wurde als Zehnjähriger mit einer besonderen Aufgabe betraut: „Hol a mal die Bratwurschtpress!“ Die Erwachsenen schickten ihn zu einer befreundeten Familie im Dorf. Diese drückten ihm dann einen „Grumbernsog“, einen Jutesack gefüllt mit allerhand unnützem Zeug aus Metall und Steinen, in die Hand.

Zu Hause angekommen, mit dem schweren Gepäck im Schlepptau, wurde er mit schallendem Gelächter begrüßt.

Beliebt war auch die „Bendlabschneidmaschin“. „Wer beim Schlachtfest nicht aufgepasst hat und kurz unaufmerksam war, dem wurde das Ringelschwänzle verpasst“, erinnert sich Siggi an den Jux mit der Schere. Es soll schon vorgekommen sein, dass Personen den ganzen Tag lang mit dem tierischen Anhängsel herumliefen. Unwissend dem spöttischen Gelächter ihrer Mitmenschen, die sich einen Spaß erlaubt hatten.

Strenge Vorschriften – ganz nach EU

Ganz und gar kein Spaß sind die Vorschriften einer privaten Schlachtung. Die erzeugten Produkte dürfen nicht weiterverkauft werden. Außerdem gilt es, strenge hygienische Vorgaben einzuhalten. Plastikbretter sind nach EU-Anordnungen auch tabu. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Dennoch, und das kann man anhand des aktuellen Verbrauchertrends ablesen, besinnen sich viele, auch junge Menschen, wieder auf traditionelle Herstellungsverfahren. Qualität ist sehr gefragt. „Bei der eigenen Herstellung von Fleisch und Würsten weiß man, was drin ist“, sind sich die Teilnehmer der Schlachtschüssel einig.

Egal ob jung oder alt. „Anders als im Supermarkt, in der das fertig portionierte Fleisch vakuumverpackt in der Kühltheke wartet.“

Auch Senior Anton Dees sieht das so. Früher brauchte man das Fleisch zum Überleben. Heute haben wir ein Überangebot an Nahrungsmitteln. Deshalb sei es kaum verwunderlich, dass sich zunehmend auch die jüngere Generation wieder auf traditionelle, urbane Herstellungsverfahren besinnt und sie pflegt. So auch die jungen Sportverein-Vorstandskollegen von Georg Strobel: „Bei der Schlachtschüssel vom Brett sprechen wir mit dem traditionellen Essen und deren Zubereitung alle Altersgruppen an. Mit keiner anderen Veranstaltung gelingt uns das so gut“, wissen Oliver Graf und Adrian Löber aus Erfahrung.

2018 soll's wieder eine Schlachtschüssel geben, denn: „Gemeinsam schmeckt?s doppelt so gut.“ Aber, wie gesagt: „Erschd s'Flääsch, dann d'r Schnaps!“

Schlacht-ABC auf Esslumer-/Riednerisch

Blunzen = Blutwurst

Bois = Eber

Erschd s? Flääsch = Erst das Fleisch

Griefawurschd = Griebenwurst

Gröas Flääsch = ungeräuchertes Fleisch

Ingeräusch = Innereien

Kneudle = kleine, dicke Wurst

Lawerwörschd = Leberwürste

Löffer = junges Schwein

Räudeli = kleine Schnitte, Stückchen

Schmarläb = Kranzfett beim Schlachten

Schprös Flääsch = mageres Fleisch

Schwaddemoche = Schweinemagen gefüllt mit weißer Hausmacherwurst

Schwarz Flääsch = geräuchertes, eingelegtes Fleisch

Wöaschtzüpfl = Wurstende

Zitter = Sülze

(Quelle: Hans-Georg Rüth, „Riedener Baurisch“, Heimat- und Kulturverein Rieden 2016)

 
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Eßleben
Fertigungsverfahren
Innereien
Meerrettich
Pfeffer
Schlachtfeste
Williams Christ Birne
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • eboehrer@gmx.de
    Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich einmal im Jahr "den Schuss" gehört habe, als das Schwein getötet wurde. Und das bei uns zu Hause - leider bleibt es für mich eine "bleibende" Erinnerung, an die ich nicht gerne denke.
    Die EU-Vorschriften haben niemanden in die Pleite getrieben.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • waldtom1
    Ein gelungenes und sehr gut beschriebenes Schlachtfest! Nur schade dass das Schwein nicht vor Ort geschlachtet werden darf.
    Diese ganzen übertriebenen Eu Vorschriften haben die meisten kleinen Dorfmetzger entweder in die Pleite getrieben oder nur zu weiterverarbeitenden Zerlegebetrieben gemacht, die von Großschlachthöfen abhängig sind.
    Die Tiere werden aus der Massentierhaltung einige 100 km gekarrt und dann im Akkord geschlachtet.
    Wie ruhig läuft dagegen eine Hausschlachtung ab: Das Schwein wird ohne Hast aus dem Stall geführt und dann sofort stressfrei betäubt und getötet. Das merkt man auf jeden Fall bei der Fleischqualität.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • grafer.andy@t-online.de
    dem kann ich nur zustimmen.
    ein schöner bericht, der viele erinnerungen hervorgerufen hat an die gute alte zeit.
    eine hausschlachtung war auch für mich ein richtiger festtag, bis anfang der 90er noch zuhause, dann bei einem perfekt ausgestatteten metzger der dann leider im laufe der jahre durch die immer größeren auflagen die hausschlachtungen einstellte.
    es ist auf jeden fall ein besonderes erlebnis wenn man von a bis z dabei ist.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten