Noch immer locken Zeichnungen weit weniger Besucher an als Gemälde. Sie erscheinen vielen als optisch weniger reizvoll, als sperriger oder werden als Nebenprodukt der Malerei abgetan, das in Form von Skizzen und Studien der Vorbereitung diente, aber keine eigenständige Kraft entfalte. Liebhaber der Zeichnung werden hier mit Recht lautstark protestieren, denn die Zeichnung vermittelt oft in direktester Weise Ideen und Fähigkeiten des Künstlers, sie kann ebenso begeistern, den Betrachter gefangennehmen, ästhetisch entzücken und höchste Vollendung erreichen. Wie sehr Zeichnungen heute wieder geschätzt werden, zeigt der Verkauf der „Welken Ahornblätter“ des Romantikers Friedrich Olivier Ende 2014 für die unglaubliche Summe von 2,6 Millionen Euro.
Johann Wilhelm Schirmer, dessen großer erzählerischer und stimmungsvoller Biblischer Zyklus derzeit im Museum Georg Schäfer zu sehen ist, schuf diesen zuerst in Form von 26 Kohlezeichnungen. Erst danach malte er ihn mit einigen Veränderungen in Öl. Die großformatigen Zeichnungen, die fast die gleiche Größe haben wie die Gemälde, sind – das muss man betonen – keine Studien, kein Arbeitsmaterial, sondern galten dem Künstler als finale Fassungen. Er begann seine Arbeit an ihnen 1855. In dieser Zeit hatte er mit dem Aufbau der Karlsruher Kunstschule, zu deren Gründungsdirektor man ihn ernannt hatte, alle Hände voll zu tun. Die etwas leichter umsetzbare Technik der Zeichnung kam ihm da vermutlich zustatten. Kurz zuvor hatte er in Paris ein neues Verfahren zum Fixieren von Kohle kennengelernt, das er nun anwandte.
Anfang 1856 waren die 26 Kohle-Bilder vollendet und gingen sofort auf eine Ausstellungstournee, zu deren Stationen Berlin, Kiel, Kassel, Weimar, Dresden, Leipzig, Stuttgart und München gehörten. Sieben Jahre lang reisten sie und fanden ein breites Publikum. Noch in den letzten Lebensjahren Schirmers entstanden die ersten fotografischen Aufnahmen von ihnen – nicht von den Gemälden!
Schirmer wünschte sich, dass sie eines Tages in einem öffentlichen Museum ausgestellt sein sollten. Heute gehören sie der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Sie waren lange nicht komplett ausgestellt und sind nun im Vergleich zu den Gemälden im Museum Georg Schäfer zu sehen. Der Zyklus der Kohlezeichnungen unterscheidet sich von demjenigen der Ölbilder. Schirmer veränderte einige Details, manchmal auch größere Teile der Komposition und ersetzte bei den Ölbildern eine der Paradiesszenen durch die Auffindung der Leiche Abels. Einige Abweichungen waren sicher der Umsetzung in Farbe geschuldet, in einigen Fällen veränderte er jedoch auch Aussage oder Stimmung der Szene. Vergleicht man Gemälde und Kohlezeichnungen, dann fällt auf, dass die monochromen Arbeiten den farbigen in der Vermittlung von Atmosphäre, Wärme und Stimmung absolut nicht nachstehen. 1851 schrieb das Deutsche Kunstblatt über die Zeichnungen, sie seien „von ganz wunderbarer Wirkung und zeigen eine so genaue Kenntniss [sic] der Naturformen, ein so inniges Verwobensein mit ihren Stimmungen, dass man vor Gemälden zu stehen glaubt.“
Die Gemälde und Zeichnungen sowie weitere Werke Schirmers, seiner Vorbilder und Schüler sind noch bis zum 25. Mai (die Ausstellung ist noch am Pfingstmontag geöffnet) zu sehen. Am 17. Mai finden im Rahmen des Internationalen Museumstages zwei Sonderführungen durch die Ständige Sammlung und durch die Sonderausstellung statt: Um 14 Uhr führt Colleen Reuss in englischer Sprache zum Thema „Stones“, um 15 Uhr gibt es Geschichten aus der Bibel – eine Familienführung mit Rebecca Mönch.
Öffnungszeiten: Di. bis So., 10 bis 17 Uhr, Do. bis 21 Uhr, geöffnet am 1. Mai, Christi Himmelfahrt und Pfingsten.