Wussten Sie, dass eine einzige Karotte mehrere tausend Samen produziert? Dass in den letzten hundert Jahren weltweit 75 Prozent der Kulturpflanzenvielfalt verloren ging? Dass fünf Konzerne 95 Prozent des EU-Gemüsesaatgutmarktes kontrollieren? Solche Zahlen ließen aufhorchen beim landkreisweit ersten Info- und Saatgutmarkt in Greßthal. Aber statt Resignation machte der Nachmittag mit der Autorin und Aktivistin Anja Banzhaf Mut, mit eigenem, samenfesten Saatgut aus dem Garten praktischen Widerstand gegen solche Entwicklungen zu leisten.
Mit gut 200 Besuchern war das Greßthaler Pfarrheim proppenvoll, als sich dort etliche Aussteller mit ihrem samenfesten Saatgut präsentierten. Initiativen wie "open house", der Veranstalter des Saatgut-Festivals in Volkach, oder die Arche SAM, ein soziales Agrarprojekt an der Mainschleife, informierten. Ein Pflanzen-Quiz hatte Brigitte Goss, Kreisfachberaterin für Gartenkultur und Landespflege, mitgebracht, bei dem auch Landrat Florian Töpper und Wasserlosens Bürgermeister Anton Gößmann punkten konnten.
Das Publikum war kundig, schließlich hatten der Kreisverband für Gartenbau und Landespflege gemeinsam mit dem rührigen Obst- und Gartenbauverein Greßthal ihre Mitglieder eingeladen. Es wollte vor allem die Buchautorin von "Wer die Saat hat, hat das Sagen" hören. Und Anja Banzhaf, die Aktivistin für eine vielfältige, umweltverträgliche und soziale Landwirtschaft, verstand es, die Besucher mitzunehmen. Es ging um Grundsätzliches und um Spezielles. Darum, dass Saatgut immer mit Essen zu tun hat, dass Saatgut die Grundlage des Lebens ist. Und dass Pflanzen Samen im Überfluss schenken, beispielsweise eben die anfangs erwähnte Karotte.
Dass wenige Unternehmen den Saatgutmarkt beherrschen, sei einem breiten Publikum erst bewusst geworden, als der Chemiekonzern Bayer 2016 den US-Konzern Monsanto kaufte, erinnerte Banzhaf. Warum Konzerne mit – eigentlich als Allgemeingut vorhandenen – Samen Gewinne machen können, liege zum einen an rechtlichen Mechanismen, weltweit, aber auch in der EU. Auf juristischem Weg werde zertifiziertes Saatgut vorgeschrieben. Als krasses Beispiel nannte sie Kolumbien, wo durch ein Freihandelsabkommen mit den USA die Nutzung des vielfältigen bäuerlichen Saatguts verboten wurde.
Wie sich mit Einwegpflanzen Geschäfte machen lassen
Auch mit biologischen Maßnahmen werde die Macht der Konzerne gestärkt: Die Fortpflanzungsfähigkeit der Pflanze wird eingeschränkt. Ziel sind Hybridzüchtungen mit einheitlichen, ertragreichen Sorten. Allerdings verlieren diese Samen bei einer Weitervermehrung ihre herangezüchteten Eigenschaften wieder. Hybridsaatgut ist also nicht sortenecht, sondern produziert quasi Einwegpflanzen. Weil aber jeder Landwirt und Gärtner jedes Jahr Saatgut braucht, muss er das jedes Jahr teuer kaufen.
Fünf Konzerne verkaufen 95 Prozent des Gemüsesaatguts
Innerhalb von ein paar Jahrzehnten hat eine extreme Konzentration von Saatgutunternehmen stattgefunden, führte Banzhaf an: Bei Mais werden 75 Prozent des Saatguts von fünf Konzernen produziert und verkauft, bei Gemüse 95 Prozent. Global sind es nur drei Hauptakteure, die den Markt beherrschen. Und die gleichen Unternehmen verkaufen auch die passenden Dünge- und Pflanzenschutzmittel.
"Vielfalt statt einheitlicher Sorten ist aber nötig", unterstrich Banzhaf: als Grundlage für die Züchtung, um sich viele Optionen offen zu halten, auch hinsichtlich des Klimawandels, als Immunsystem für die Landwirtschaft, in der kleine Systeme mit Vielfalt resistenter als Monokulturen sind.
Eine industrialisierte Landwirtschaft, wie sie immer stärker forciert worden sei, brauche einheitliche Sorten und brauche Agrarchemie. Die Agrarpolitik erschwere es, bäuerliche Landwirtschaft zu pflegen. Das Argument, man brauche industrialisierte Landwirtschaft, um die Weltbevölkerung zu ernähren, ziehe nicht, so Banzhaf. Denn weltweit liege die durchschnittliche Hofgröße bei 72 Prozent unter einem Hektar. 70 Prozent der Lebensmittel kommen also aus bäuerlicher Landwirtschaft. "Man muss die globale Perspektive betrachten", sagte die Referentin, "wir müssen dafür sorgen, dass Boden und Saatgut in deren Händen bleiben."
Was jeder Einzelne tun kann
Um wieder Kompetenz beim Gewinnen von samenfesten Sorten zu erhalten, um "widerständig gegen die Entwicklungen" zu sein, sei das praktische Samengärtnern ein Weg. Ganz konkrete Tipps gab die Expertin den Zuhörern: Für den Anfang sei es leichter, für den Gewinn von Saatgut selbstbefruchtete Pflanzen, etwa Tomaten, zu wählen und besser ein- als zweijähriges Gemüse, also besser Radieschen statt Karotten.
Ihr Rat an das Publikum lautete: "Nur Mut!". Was eingangs die Greßthaler OGV-Vorstandsmitglieder Georg Hofmann und Martina Vierengel, Initiatoren der Veranstaltung, so ausdrückten: "Nicht sagen, man müsste da was machen, sondern tatsächlich machen!"