Jetzt, im Oktober, packt den kühnen Tiefseetaucher wieder das Fernweh: Im Herbst begibt sich mancher Aal auf eine strapaziöse, gefährliche Reise, aus seinem kleinen Süßwassersee hinaus Richtung Atlantik. Vor allem bei Dämmerung, bei Regen und Hochwasser schlängeln die Wanderfische sich über feuchte Wiesen, hinein in die Flüsse und von dort ins offene Meer, in die Tiefe. In den Tangwäldern der Sargasso-See angekommen, paaren die Aale sich, laichen ab und sterben. Die Larven kehren wieder zu den europäischen Flussmündungen zurück. Ein uraltes Instinkt-Verhalten, das bis heute Rätsel aufgibt. Selbst an den Rafelder Seen haben Angler Aale gesehen, die sich zum Main vorgekämpft haben. Auch der Landkreis scheint mit dem endlosen Blau der Ozeane verbunden zu sein.
Nein, es müssen nicht unbedingt Korallenriffe im Roten Meer oder die Atolle der Malediven sein: Der Bergrheinfelder Tauchlehrer Walter Knorr weiß die hiesige Unterwasserwelt zu schätzen. Auf hoher See rechnet jeder nervöse Tauchanfänger mit Besuch von etwas Großem – im verkannten heimischen Tümpel gibt es viele kleine Überraschungen, gerade für abgeklärte Wassersportler. „In Baggerseen stößt man auf ganz besondere Dinge“ – nicht nur Boots- oder Autowracks. Im Ellertshäuser See hat er auf dem Seegrund einmal unzählige matschige Chitinhüllen entdeckt. Keine Alien-Biopanzer: Hier hatten sich Krebse gehäutet und dann mit ihrer neuen Rüstung vor Freßfeinden versteckt.
Auch der seerosengrüne Glöckle-See, wo Knorr an diesem Tag mit seinen Schülern Sabrina und Bastian abtaucht, hat sein eigenes Flair. 1975 richtete hier die Baufirma Glöckle auf dem Gelände eines ehemaligen Kieswerks ein Erholungsareal ein. Exklusiv für Mitarbeiter, so dass sich der etwa vier Meter tiefe Baggersee einen natürlichen Charme erhalten hat, und sehr sauber daherkommt. Knorr taucht hier nur mit Sondergenehmigung. Die Gewässer rund um Berch und Rafeld – wie Glöckle-See, Leonhard-See, Lutz-See oder Tasch-See – erinnern ohnehin an eine romantische finnische Seenlandschaft, teilweise sind sie Überbleibsel des Altmains. Und voller Leben: „Neunzig Prozent der Leute würden nicht mehr in heimischen Seen baden, wenn sie wüssten, was unter ihnen alles herumschwimmt“, schmunzelt der Bergrheinfelder. Einen riesigen Waller, über zwei Meter lang, soll es in einem der Fischteiche geben, er soll sich schon legendäre Kämpfe mit Anglern geliefert haben. Auch Zander wachsen schnell über die Einmeter-Marke. Wer stadtnah tauchen will, sollte sich zumindest mit den Besitzern oder den Pächtern der Anglervereine einigen: „Wir kommen uns entgegen.“
Gleich ob Ägypten oder Ostasien: Knorr ist auf dem blauen Planeten herumgekommen, zusammen mit Ehefrau Gabi. Ist tagsüber neben Delfinen und Manta-Rochen, nachts in einem Schwarm aufgeregter Haie geschwommen. Vor der Dominikanischen Republik wanderte mal eine ganze Walschule singend unter den Flossen vorbei: Da kommt der Ellertshäuser See dann doch nicht mehr mit. Der ehemalige Sachs-Mitarbeiter, Jahrgang 1950, hat einiges ausprobiert, war Skilehrer und bei der Bundeswehr in Hammelburg. Zum Flossensport kam er durch einen Kumpel. Richtig los ging es in Hurghada, Anfang der Neunziger ein Fischerdorf und Insider-Tipp.
Seit über zwanzig Jahren gibt es die Bercher Tauchschule von Gabi und Walter Knorr nun schon. Auch wenn es zur Ausbildung meist an den Kulkwitzer See bei Leipzig geht: Das nasse Zuhause hat ebenfalls noch seinen Reiz.
Im magischen Schummerlicht, unter den Seerosen des Glöckle-Sees, wallt das Grün, das von Graskarpfen abgeweidet wird, eine fleißig mampfende „See-Kuh“, die ursprünglich aus China stammt. Für Barsche und Weißfische ist am Nachmittag ebenfalls Rush Hour. Hier ragt irgendwo der Betonsockel einer alten Flakstellung aus dem Zweiten Weltkrieg auf, über den jetzt Krebse paradieren. Amerikanischen Ursprungs vermutlich, die einheimischen Edelkrebse wurden durch die aus Übersee eingeschleppte Krebspest dezimiert.
Alle paar Jahre erheben die Medusen ihren Glibberkopf am Main: Sehr seltene Süßwasserquallen, die im Glöckle-See zuletzt 2002 gesichtet wurden und für den Menschen harmlos sind. Bei sonnigem Wetter steigt „Craspedacusta sowerbii“ zum Licht auf: Als lebendes Wasser sozusagen – kein anderes Tier ist so „flüssig“, mit über 99 Prozent Wassergehalt. Verbreitet wird ihr Nachwuchs durch Vögel, ursprünglich sollen sie vom Yangtsekiang kommen. Wie überhaupt viele Arten in den Schweinfurter Seen ausgesetzte Exoten sind, vom farbenfrohen Sonnenbarsch (der aus den Staaten stammt, aber auch in Afrika flösselt) bis hin zu Rotwangen- und Gelbbauch-Schildkröten. Die Schlangen, die im Schilf auf Froschjagd gehen, sind heimische Arten, Kreuzottern und Ringelnattern.
Selbst ein erfahrener Taucher wie Walter Knorr freut sich noch, als ihm an diesem Tag der König des Glöckle-Sees vor die Kamera schwimmt: Ein Hecht späht trotzig aus dem Dickicht, die Winzlingsform eines Weißen Hais in fränkischen Gewässern, der sich gerne mal Entenküken schnappt, in Spielberg-Manier. Pudel und Dackel werden entgegen der Legende verschont – und bislang ist auch noch nichts von Angriffen auf zweibeinige Badegäste bekannt.