
Für die meisten Menschen sind es maximal Stolperfallen oder ein Grund, sich zu ärgern. Für Menschen mit Handicap können es dagegen fast unüberwindbare Hindernisse sein. Über die ganze Stadt verteilt sind in Gerolzhofen auf öffentlichen Wegen und Verkehrsflächen Stellen zu finden, die nicht behindertengerecht ausgeführt sind. Während eines Rundgangs am Dienstagabend machte die Stadtratsfraktion von Geo-net auf diesen Missstand aufmerksam. Wer wollte, konnte selbst als Rollator- oder als Rollstuhlfahrer am eigenen Leib erfahren, an welche Grenzen diese in ihrem Alltag stoßen.
Laut Vorsitzendem Thomas Vizl gehe es Geo-net zuvorderst darum, zusammen mit der von seiner Fraktion ins Leben gerufenen Arbeitsgruppe (AG) "Barrierefreiheit und Inklusion" auf bauliche Fehler hinzuweisen, um solche in Zukunft zu vermeiden. Selbst im jüngsten Neubaugebiet "Nützelbach I" gebe es Bereiche, wo Wege nicht behindertengerecht erstellt wurden – ganz zu schweigen von den früheren Siedlungen, wo hohe Bordsteine Standard waren, und noch immer sind.
Rundgang soll nicht der letzte gewesen sein
Es sei ihnen klar, so Vizl, dass nicht alle kritischen Stellen sofort entschärft und alle Mängel gleich behoben werden könnten. Deshalb sollten Prioritäten gesetzt werden. Stadtbauamt und Stadtrat soll hierfür eine Handreichung übergeben werden, die vor allem auf den Anregungen und Ansichten der Betroffenen beruht. Der Rundgang am Dienstag war nur als erster Aufschlag hierfür gedacht und soll wiederholt werden.
Eingeladen hatte Geo-net den Bürgermeister, alle Stadtratskolleginnen und -kollegen sowie Mitarbeiter der Verwaltung. SPD- und Freie-Wähler-Fraktion waren immerhin mit je einem Vertreter dabei, von der CSU ist keiner erschienen, dasselbe gilt für die Stadtverwaltung. Bürgermeister Thorsten Wozniak und Zweiter Bürgermeister Erich Servatius hatten sich wegen anderer Termine entschuldigt: Zeitgleich fand die Sitzung des Zweckverbands "Gemeinsamer Bürgerwald Gerolzhofen-Dingolshausen" statt.

Die etwa 25 Teilnehmer des Rundgangs mussten vom Treffpunkt gegenüber der Erlöserkirche nur wenige Meter gehen, um auf das erste Problem zu stoßen: Der Bordstein am Ampel-Übergang über die Nördliche Allee an der Kirche ist für Rollatorfahrer zu hoch und die Grünphase der Fußgängerampel zu knapp bemessen, um sicher über die Fahrbahn zu kommen. Zudem fehlen an der Ampel – wie an weiteren Ampeln in der Stadt – Signaleinrichtungen für Blinde (Signalton, Vibration). An dieser Stelle wäre eine getrennte Querung für Geh- und Sehbehinderte angebracht, erklärte Christine Thaler als Vertreterin des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbunds (BBSB). Denn ein komplett auf das Niveau der Straße abgesenkter Belag des Gehwegs ist für Blinde unmöglich zu erkennen, sagte die Blinden-Beraterin.
Zugang zur Bushaltestelle ist nicht behindertengerecht
Dass es vielerorts auf Fingerspitzengefühl und Fachwissen ankommt, um Gehwege und Verkehrsflächen so anzupassen, dass er den Bedürfnissen aller Menschen mit Handicaps gerecht wird, zeigte sich unter anderem an der Bushaltestelle in der Nördlichen Allee. Diese ist von der Allee her nur über eine Treppe zu erreichen. An der Straße gibt es zwar einen abgesenkten Bordstein, doch mündet dieser in einer Grünfläche und nicht im befestigten Bereich der Haltestelle.
Im Zuge der Neugestaltung des benachbarten Spielplatzes soll um die Kurve ein Gehweg auf dem jetzigen Grünstreifen hin zur Haltestelle entstehen. Dieser sollte allerdings nicht asphaltiert, sondern mit feinem Pflaster belegt sein, erklärte Rollstuhlfahrerin Anja Burzynski. Der Grund: Asphaltierte Wege müssten zur Seite leicht schräg verlaufen, damit Wasser ablaufen kann, was es Rollstuhlfahrern unnötig schwer macht.
Laut Thaler vom BBSB müssten die allgemeinen Vorgaben der Deutschen Industrienorm (DIN) für alle Baumaßnahmen der Maßstab sein. Denn diese berücksichtigten die Belange aller Menschen mit Handicap. Doch bis heute sei es nicht selbstverständlich, dass Planer und Bauherren alle DIN-Normen einhalten.
Hecken versperren das Sichtfeld
Anja Burzynski und Herbert Kimmel hatten für die AG "Barrierefreiheit" im Vorfeld des Rundgangs eine umfangreiche Liste mit Punkten zusammengestellt, wo ihrer Ansicht nach die Situation verbessert werden muss. Eine Kritik, die sich an etlichen Stellen zeigte, ist die etwa durch Hecken oder parkende Autos eingeschränkte Sicht auf den fließenden Verkehr, die Rollstuhlfahrer, aber auch Kinder, an Straßenüberquerungen haben. Dies ist etwa am Haupteingang des Friedhofs, am Übergang der Östlichen Allee, der Fall.

Was beim Rundgang deutlich wurde: Die aufgezeigten Einschränkungen treffen nicht nur Rollstuhlfahrer und Rollatorfahrer. Wer mit Kinderwagen oder Fahrrad mit Anhänger unterwegs ist, für den wird's an vielen Stellen eng. Manchmal geht's auch gar nicht weiter, etwa an der Brücke über die Volkach ("Seufzerbrücke") am Pulverturm, in der Nähe des Geomaris. Schon allein der Buckel der Bogenbrücke ist nur mit Mühe zu befahren. Doch an der zu eng stehenden Barriere (Umlaufsperre) und am Anstieg hin zur Steigerwaldstraße ist dann für die meisten endgültig Schluss.
Dabei sei dieser Fußweg bei vielen Eltern beliebt, weil ihnen der Weg entlang der Schallfelder Straße zu gefährlich ist; die Gehsteige dort sind einfach zu schmal, um sich – womöglich mit Kindern an der Hand – in ausreichendem Sicherheitsabstand zur stark befahrenen Straße zu bewegen.
Bedürfnisse der Schwächsten sollten an erste Stelle stehen
Die beiden Geo-net Stadträtinnen Kerstin Krammer-Kneissl und Stefanie Döpfner waren beim Rundgang selbst mit Rollstuhl und Rollator unterwegs. "Grundsätzlich habe ich mich im Rollstuhl ziemlich ausgeliefert gefühlt", beschreibt Krammer-Kneissl ihren Eindruck. Döpfner war sich wegen des fehlenden Überblicks an Hecken unsicher. Beide fordern, bauliche Maßnahmen grundsätzlich nach den Bedürfnissen der Schwächsten auszurichten.

Bastian Greim, der Leiter der Einrichtung Dr. Loew Soziale Dienstleistungen, in der Menschen mit vielfältigen Handicaps leben, bemängelte einen fehlenden sicheren, direkten Zugang von ihrem Standort am nördlichen Stadtrand zur Stadtmitte. Der Weg stelle die Bewohner vor Probleme. Manche trauten sich etwa nicht mehr alleine vom Einkaufen heim, wenn sie hierzu die Alitzheimer Straße überqueren müssen. Mitarbeiter müssen diese dann abholen.
Geo-net möchte Behindertenbeauftragten der Stadt
Vizl warb dafür, dass die Stadt wieder einen Behindertenbeauftragten einsetzt, nicht als Ehrenamt, sondern als geringfügig Beschäftigten (450-Euro-Job). Dessen Aufgabe wäre es dann, im besten Fall als selbst Betroffener, die Interessen von Menschen mit Handicap bei sämtlichen öffentlichen Vorhaben in der Stadt zu vertreten, also etwa bei der Planung von Baumaßnahmen.
Blinden-Beraterin Thaler ergänzte hierzu, dass Barrierefreiheit nicht nur für Bauten verpflichtend sei. Seit Juni müssten beispielsweise auch Webseiten von Behörden oder Unternehmen für Menschen mit Einschränkungen problemlos zugänglich sein, etwa indem Blinden die Inhalte vorgelesen werden. Auch hier gebe es noch viel Nachholbedarf.