Heuer jährt sich Friedrich Rückerts Todestag zum 150. Mal. Anlass für die Stadt Schweinfurt, zum zweiten Mal nach 1988 (200. Geburtstag) ein Rückert-Jahr auszurichten. Im Gespräch geben Oberbürgermeister Sebastian Remelé und Rudolf Kreutner, Rückert-Kustos der Stadt und Projektleiter Rückert-Jahr 2016, Einblicke in Konzept und Programm. Erklärtes Ziel: Der bronzene Herr des Denkmals auf dem Marktplatz soll für möglichst viele Menschen zu einer Persönlichkeit werden, deren Werk ihr Leben bereichert.
Rudolf Kreutner: Rückert hätte sich selbst nicht als gescheitert bezeichnet. Er hat frühzeitig die Entscheidung getroffen, Dichter zu werden, und ebenso frühzeitig die Entscheidung, sich der Philologie zu widmen. Er hatte nur eine eigene Art, mit Dichtung und mit Philologie umzugehen. Vor allem aber war er als Persönlichkeit nicht einfach, was ihm vielleicht das Scheitern beschert hat. Aber zu seiner Zeit war er sowohl als Dichter wie als Orientalist einer der berühmtesten. Zumindest bis zum Weggang aus Berlin.
Kreutner: Nein, aber Rückert war ein äußerst unsicherer Mensch, was ihn mir persönlich sehr sympathisch macht. Einerseits hat er gewusst, was er konnte, andererseits hat er auch gewusst, wo seine Schwächen sind. Er war von starken Selbstzweifeln geprägt und hat ein Leben lang hart an sich gearbeitet. Schon in jungen Jahren berichtet er in Briefen, was er alles wieder vernichtet hat, einmal zum Beispiel 100 Sonette. Er wusste, dass er was kann, aber er wusste nie, wie er auf seine Umwelt wirkt.
Remelé: Ja und nein. Ja deswegen, weil man es als Oberbürgermeister und Kulturreferent gerne mit Persönlichkeiten zu tun hätte, die von Haus aus bekannter sind. Wenn ich an Weimar oder Salzburg und Wien denke – die tun sich mit Goethe, Mozart, Beethoven ungleich leichter. Andererseits, und das habe ich jetzt in den letzten vier, fünf Jahren erleben dürfen, ist Rückert so facettenreich, so produktiv, dass er genügend Stoff bietet, um ihn immer wieder zu entdecken.
Rückert ist ein Tummelfeld, und ich glaube, wir haben Rückert längst noch nicht so bearbeitet und vorgestellt, wie er es verdient und auch hergibt. Insofern ist er dann doch wieder eine dankbare Persönlichkeit.
Remelé: Wir müssen schon ehrlich miteinander umgehen. Ich denke nicht, dass Rückert eine so populäre Figur werden wird, dass sich die Masse der Schweinfurter – gleich, woher sie kommen mag, ob sie hier aufgewachsen oder zugewandert ist – mit ihm identifiziert. Wir versuchen natürlich, mit der Ausstellung breite Teile der Bevölkerung und vor allem der Jugend zu erreichen, aber wir sollten dabei nicht zu sehr abheben. Rückert wird kein populärer Sohn der Stadt werden, mit dem jedes Kind sozusagen aufwächst. Aber gerade die derzeitige Diskussion über den Zusammenstoß von Orient und Okzident macht Rückert natürlich aktuell. Erst neulich ist seine Koran-Übersetzung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zitiert worden, beim Thema Islam und Rolle der Frau. Und in Schweinfurt ist durch die derzeitige Zuwanderung das Thema Islam besonders präsent.
Kreutner: Rückert konnte sich wohl nur im Kontext seiner Zeit dem Orient so verschreiben, das muss man zugeben. Der Orient war sonderbarerweise seit Schwächung der Türkei Gegenstand des kulturellen Lebens. Er wurde nicht mehr als Bedrohung gesehen, und so konnte Mozart seine „Alla turca“ schreiben. Fast alle Dichter haben schon gegen Ende des 18. Jahrhunderts orientalische Stoffe verarbeitet. Nur hat es Rückert neu aufgefasst. Der Orient ist bei ihm nicht eine Anwandlung wie bei Goethe, sondern er war Programm und Inhalt seines Lebens. Das ist das Wesentliche. Rückert hat die Öffnung zur anderen Kultur erst mal mit der eigenen Kultur verbunden. Durch die Zeitumstände, die Freiheitskriege etwa, war er gezwungen, zuerst eine eigene, deutsche Identität zu bilden, und von da aus hat er sich der Welt geöffnet. Und das ist es, was beispielgebend für die heutige Zeit sein könnte: Es soll jeder seine eigene Identität haben, aber gerade dadurch ist er zum Austausch gezwungen.
Kreutner: Die erste Schwierigkeit ist sicher, dass Rückert Lyriker war. Selbst Goethe und Schiller werden heute nicht mehr über ihre Gedichte rezipiert, sondern über ihre Theaterstücke. Lyrik ist zwar die schönste Form von Sprache, die verdichtetste Form des Ausdrucks – das werden Ihnen gerade die Orientalen bestätigen. Es muss aber am meisten dabei gedacht werden. Und wenn ich am meisten denken muss, um es zu Papier zu bringen, muss ich nicht wenig denken, um es lesen zu können. Der Satzbau wird geändert, die Sprache wird dem Reim und dem Metrum angepasst. Das macht Rückert natürlich schwer. Wenn die Leute beachten würden, dass man Lyrik laut lesen muss, hätten sie eine Menge Spaß mit Rückert. Das ist sozusagen verbale Musik pur.
Remelé: Hauptbeitrag ist sicher die Ausstellung in der Kunsthalle, die ab 8. April etwa drei Monate zu sehen sein wird. Sie ist bewusst so gestaltet, dass sie anschließend auf Wanderschaft geht, in die beiden weiteren fränkischen Rückert-Städte Erlangen und Coburg. Der zweite Beitrag der Stadt ist eher ein sammelnder und ordnender. Wir haben aufgerufen, sich am Rückert-Jahr zu beteiligen, ähnlich wie wir das bei der Landesausstellung „Main und Meer“ getan haben. Und auch diesmal war die Resonanz sehr gut. Wir haben unglaublich viele Angebote von Kulturschaffenden und Vereinen bekommen. Unsere Aufgabe ist es jetzt, das alles zu koordinieren und zu einem Rahmenprogramm zusammenzufassen.
Kreutner: Beides. Rückert ist zum Teil Objekt und zum Teil Subjekt. Beim Symposion im September etwa werden neue Aspekte zu Leben und Werk Rückerts aufgezeigt. Wir werden aber auch, und darüber bin ich besonders froh, den Umgang mit Rückert von denkenden Menschen erleben.
Kreutner: Im Gegensatz zum unbewussten Leben mit dem Denkmal zum Beispiel. Rückert ist hier immer präsent, was aber nicht heißt, dass die Menschen sich mit ihm auseinandersetzen. Ich bin zum Beispiel sehr gespannt auf die szenische Inszenierung von Nora Gomringer. Und auf den Poetry Slam – Rückert würde sich freuen über so etwas. Dass junge Leute wieder Lyrik entdecken und in geistreicher Form präsentieren. Thomas Bauer, einer der führenden Orientalisten Deutschlands, wird zum Thema „Der Islam und der Humor“ sprechen.
Kreutner: Derzeit ist der Islam nicht besonders von Humor geprägt. Aber es gibt eine große Tradition des Humors und des Sprachwitzes. Die Makamen des Hariri, das erste große arabische Werk, das Rückert übersetzt hat, die sind 150 Prozent Humor und Sprachwitz. Es ist Zeit, diese Tradition wiederzubeleben, das ist Bauers Anliegen.
Kreutner: Erstens die Biografie von Annemarie Schimmel. Zweitens die Reclam-Ausgabe der Gedichte, herausgegeben von Walther Schmitz – eine gelungene Zusammenstellung aus allen Werkformen und -arten. Und als dritten Schritt würde ich sagen: Lesen Sie laut, und ergötzen Sie sich an Rückert und sich selbst.
Kreutner: Annemarie Schimmel war ein Phänomen. Sie konnte stundenlange Vorträge ohne Manuskript halten. Die Biografie hat sie praktisch aus dem Kopf geschrieben. Das bedeutet allerdings, dass kein einziges Zitat stimmte. Die musste ich alle überprüfen und korrigieren. Ansonsten habe ich behutsam neue Erkenntnisse eingefügt. Etwa, dass Rückert sich schon um 1807, in der Würzburger Zeit, autodidaktisch Syrisch, Persisch und Hebräisch beigebracht hat.
Kreutner: Da werden wir auch das ganze Spektrum abfeiern – von Biedermeier-Konzerten bis zu zeitgenössischen Vertonungen. Wir machen auch Popmusik. Also E- und U-Musik der letzten 200 Jahre.
Remelé: Zunächst erwarte ich mir vom Rückert-Jahr einen Impuls. Dass wir Rückert wieder bewusster begegnen. Gerade wir Schweinfurter haben da Nachholbedarf.
Remelé: Das Rückert-Zimmer wird wiederhergestellt, aber ob es so aussehen wird wie früher, das halte ich für fraglich. Das pädagogische Konzept ist in die Jahre gekommen. Aber ich bin zuversichtlich, dass uns bei der baulichen und inhaltlichen Neugestaltung des Museums etwas Pfiffigeres, Moderneres, vielleicht auch Kindgerechteres gelingen wird. So, dass Rückert nicht mehr nur der ehrwürdige Mann auf dem Marktplatz ist, sondern eine Person, mit der man etwas verbindet.
Kreutner: Das Rückert-Zimmer wurde ja 1890 eingerichtet. Es ist, gelinde gesagt, etwas verstaubt.
Remelé: Die Ausstellung wird ein spannender und humorvoller Gang durch Rückerts Leben werden und kann uns damit sicher auch Anhaltspunkte geben, wie wir später mit ihm museal umgehen.
Die Biografie „Friedrich Rückert – Lebensbild und Einführung in sein Werk“ von Annemarie Schimmel, aktualisiert von Rudolf Kreutner, ist im Wallstein-Verlag erschienen und kostet 16,90 Euro.
Das Programm des Schweinfurter Rückert-Jahrs ist ab 1. Februar online unter www.rueckert-weltpoet.de
f
sdf