Der erfolgreiche Roman-Schriftsteller Roman Rausch arbeitet bereits seit Jahren mit dem Kleinen Stadttheater Gerolzhofen zusammen. Das Stück "Fräulein Schmitt und der Aufstand der Frauen", das vor Jahren auf dem Marktplatz aufgeführt wurde, stammt aus seiner Feder. Auch am Drehbuch für das umjubelte Wandeltheater "Du musst dran glauben" war der gebürtige Gerolzhöfer beteiligt. Sein neuestes Auftragswerk ist die Revue" Wunderland", die auf dem Marktplatz hätte aufgeführt werden sollen, aber dem Coronavirus zum Opfer fiel.
Roman Rausch hat in seinem Wohnort Berlin nun ein "Plädoyer für das Theaterhaus Gerolzhofen" verfasst und der Main-Post zur Verfügung gestellt. Rausch schreibt: "Das Recht auf eine ungestörte Nachtruhe ist essenziell. Wer morgens die Augen nicht aufbringt, weil er sie abends zuvor nicht zu gekriegt hat, schleppt sich als Schatten seiner selbst durch einen gebrauchten Tag.
Seit Jahren lebe ich mit rund zwanzig Parteien in einem Berliner Mietshaus mit karreeförmigem Hinterhof und einem Gartenhaus. Ein Ort der Ruhe und der Einkehr möchte man meinen. Doch wenn um Mitternacht Gehämmer widerhallt, dann hat den Bildhauer Rashid die Muse geküsst. Um sieben Uhr beginnt der spanische Musikstudent Jorge mit dem Üben auf der Violine, dazu rückt der Bautrupp an, um eine Wohnung nach der anderen zu renovieren. Ab zehn Uhr füllen sich die Büros mit Fotografen, Werbeleuten, Designern und Architekten. Alle finden sich bis in die späten Abendstunden unter meinem Fenster ein, um in Ruhe zu telefonieren, was nicht selten in spontane Partys übergeht.
Dass ich seit Wochen versuche, einen klaren Gedanken zu fassen, um ein neues Theaterstück für Gerolzhofen fertigzustellen, trifft erst bei der zweiten Ansage auf Verständnis und man nimmt sich zurück. Schließlich ist meine Zufriedenheit auch die ihre. Man findet für alles eine Lösung, wenn man sich zusammensetzt.
Dann kam Corona. Rashid hämmert nicht mehr, Jorge hat die Violine zur Seite gelegt, die Bauarbeiter und Büroleute sind auf Kurzarbeit oder im Homeoffice und niemand telefoniert mehr unter meinem Fenster. Was für eine himmlische Ruhe, endlich Schluss mit dem Theater, endlich ungestört schlafen und arbeiten können.
Doch mit der Zeit wandelte sich die Stille zur Friedhofsruhe, aus der illustren Hinterhof-Gesellschaft wurden abgeschottete Wohneinheiten. Jeder für sich auf dem Sofa vor der Glotze, in Computer und Handy verloren, keine Begegnungen und Gespräche, auch keinen spielenden Kinder mehr auf dem Hof, und von handgemachter Kunst nicht ein Jauchzen. Dafür Netflix und Ego Shooter-Geballer satt, Gezeter hinter jedem zweiten Fenster bis tief in die Nacht.
Vielen Dank, Corona! Du hast mir vor Augen geführt, wie essenziell Gesellschaft, Begegnung und gegenseitiges Verständnis im Mikrokosmos einer Nachbarschaft sind. Sicher ist das Zusammenleben nicht immer ungestört, manchmal ist es regelrecht nervig und schlafraubend. Doch wenn ich beides aufwiege, ziehe ich das Theater des Lebens gelegentlichen Nachtstörungen vor.
Sollte ein engagiertes Projekt professioneller Theatermacher wirklich an der 22 Uhr-Auflage scheitern, um die sich ohnehin kaum ein Schoppenfetzer schert, wäre das für Stadt und Umland ein Trauerspiel.
Theater ist Leben und ein Theaterhaus eine Begegnungsstätte für alle. Selbst für Schlafmützen."