Ein Familienverband französischer Roma hat sich seit letzter Woche auf einer Wiese zwischen Nieder- und Oberwerrn niedergelassen, gegenüber dem Wasserhäuschen. Ein Landwirt hat die Freifläche vermietet, mit Vertrag, für drei Wochen.
Im mobilen Quartier, zwischen den rund dreißig Wohnwägen, sind an die 80 Menschen versammelt. Frauen klopfen ihre Teppiche aus, Kinder spielen. Moise Gorgan, der Sprecher der Großfamilie, hat zum Pressegespräch eingeladen. An diesem Tag herrscht starker Wind. Eine Zimmerpflanze kippt auf dem Tisch um. Gorgan sagt, dass es öfters Besuch von der Polizei gab. Es sei ruppig zugegangen, in einer Tankstelle wären böse Worte eines Beamten gefallen.
Ein Ortstermin der übergeordneten Behörden steht an, es geht um die Hochwasserzone, Naturschutz und "Wildparken" im Trinkwasserschutzgebiet. Man rede von Campen im Außenbereich, heißt es im Rathaus Niederwerrn. "Ein Tropfen Öl reicht aus, um bis zu tausend Liter Wasser zu verschmutzen", sagt Verwaltungschef Steffen Guth-Portain. Auch Einheimischen würde ein solches Vorgehen nicht gestattet werden. Es habe Anrufe von Bürgern gegeben, die Polizei sei dabei, Personalien festzustellen.
Diskriminierung und Erinnerungen an den "Porajmos"
"Schauen Sie sich um", sagt Gorgan und weist auf die durchweg hochwertigen Autos, die sich auf der Wiese reihen. Wo solle da Öl tropfen? Die Müllcontainer wären bereits bestellt. Die Roma leben von Werkzeugreparatur und anderem Wandergewerbe, die Männer sind tagsüber unterwegs. Auch im 21. Jahrhundert prallen Welten aufeinander, sobald "Fahrendes Volk" auf weit weniger bewegliche Paragrafen und besorgte Bürger trifft.
Der freundliche Familiensprecher hat Theologie studiert und unterhält sich auf Deutsch, der Name Gorgan soll soviel wie "Straße" bedeuten. Selbstironisch wird das Lager "Gorganstraße" genannt. Die Religion dort ist evangelisch-freikirchlich, die Sprache ein Gemisch aus Spanisch, Französisch und "Romanes".
Die Roma berichten von früheren Erfahrungen. In Duisburg beschäftigt sich eine Antirassismusstelle, in München das "Madhouse", eine gemeinnützige GmbH, mit Diskriminierungsfällen. Die Erinnerung an den "Porajmos", den Völkermord an den Sinti und Roma, schwingt beim Gespräch immer mit: Hunderttausende Mitglieder der ethnischen Minderheit wurden in den Lagern der Nationalsozialisten umgebracht. Die Vorfahren hätten die deutschen Autobahnen mitgebaut, als Zwangsarbeiter, sagt Gorgan.
Gegen den allgemeinen Rechtsruck
In Frankreich würden sie oft "Nomades" genannt, erzählt der Elsässer. In Europa waren und sind "Landfahrer" gar nicht mal so selten. Die Jenischen werden erwähnt oder die irischen Tinker, deren Vorfahren aus Armutsgründen das Wandern begonnen haben. Auf der Schweinfurter Seite, am Hainig, gibt es noch immer eine "Zigeunerlandwehr", als alte Ortsbezeichnung. Gegen das Z-Wort habe er nichts, sagt Gorgan, solange es nicht von Schimpfworten wie "dreckig" begleitet werde.
Unter der Markise, wo der Familienrat tagt, ist Django Reinhardt ein Begriff, Jazzmusiker mit elsässischen Wurzeln, der dem frei umherziehenden Westernhelden seinen Sintonamen ("Ich erwache") geliehen hat. Freiheit wird auch bei den Gorgans großgeschrieben, die seit Jahrhunderten ihren Preis hat.
Nach dem Behördenbesuch an der Werrn gibt es einen Kompromiss. Die Roma sollen am Donnerstag vom Wasserschutzgebiet umziehen, auf ein passenderes Grundstück an der B303. Der Landwirt, dem beide Flächen gehören, möchte bewusst ein Zeichen gegen den allgemeinen "Rechtsruck" im Land setzen. Seine Familie hätte sich bereits um Flüchtlinge gekümmert, sagt er am Telefon, von denen manche Familienmitglieder im Krieg verloren hätten. Bürgermeisterin Bettina Bärmann, die vermittelnd eingegriffen hat, ist froh über die Einigung. Die anwesende Polizei habe um Verständnis für die Rechtslage gebeten. Moise Gorgan bedankt sich bei "den Deutschen" ebenso wie bei der Gemeinde: "Wir sind einfach nur Menschen."
Vielleicht bringt er ja tatsächlich mal den einen oder anderen besorgten Bürger dazu, über seine Vorurteile nachzudenken.