Wer braucht als ehrenamtlicher Samariter schon Urkunden? „Das hier hat mehr Wert“, sagt Sebastian Wetzel. Der 33-jährige Rettungssanitäter des Schweinfurter ASB ist seit Weihnachten wieder daheim in Ebenhausen (Lkr. Bad Kissingen). Nun zeigt er Dankesbriefe philippinischer Kinder und Jugendlicher, nach dem Einsatz im taifunverwüsteten Palo, in ungelenkem Englisch, aber feingeschwungener Schrift: „Thank you!“ in allen Varianten, ein Dankeschön an „Dr. Sebastian“, wie ihn Laurie nennt. Ebenso wie die übrigen Retter des zehnköpfigen ASB-Teams allesamt den „Ehrendoktor“ erhalten haben. Das Mädchen erlitt infolge des Taifuns Verbrennungen, wurde durch die Notfallmediziner versorgt.
Zerstörung ist unvorstellbar
Am 8. November raste der Monster-Taifun, einer der stärksten jemals gemessenen Wirbelstürme überhaupt, mit der Geschwindigkeit eines ICE in die schmucke Provinzstadt, fünf Kilometer südlich von Tacloban City. Die Blechdächer der Kathedrale und anderer Gebäude wurden abgerissen wie Alu-Deckel von Joghurtbechern, die Hütten der Armen eingeebnet, Trümmer zu Geschossen, fliegende Wellblechteile durchtrennten Gliedmaßen oder hinterließen klaffende Wunden, die sich bei den Überlebenden in der Tropenhitze rasch infizierten. Es folgte eine sieben Meter hohe Flutwelle, bis in die Kirche hinein, die zahllose Menschen in den Tod riss.
„Die Zerstörung ist unvorstellbar, wenn man es nicht selbst gesehen hat“, sagt Wetzel, der als erster Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Ebenhauses manches gewohnt ist. Die Fernsehbilder gäben nur einen unzureichenden Eindruck. Hier war alles platt, unter den Trümmern lagen noch Tote: „Man riecht es auch“.
Anfang Dezember flog das FAST, „First Assistance Samaritan Team“ via Hongkong in den Einsatz. Mit der Fähre ging es von Cebu nach Leyte, drei Stunden durchs Katastrophengebiet, vorbei an einem Auto, das im ersten Stock einer Ruine steckte.
Emergency Room
Der mit bis zu 360 Stundenkilometern tobende Wirbelsturm fällte Kokospalmen, Existenzgrundlage der Bauern, flächig wie bei einem Atomschlag. „Ganz komische Phänomene“ hat der Helfer gesehen, entlaubte Bäume, Stümpfe, deren Spitzen einfach abrasiert wurden.
Im umzäunten, bewachten Garten der Kathedrale von Palo wurden Aufnahmezelt, „Emergency Room“ und Behandlungszelt aufgestellt, dort, wo schon im Zweiten Weltkrieg Verwundete der Kämpfe in den Hügeln versorgt worden sind: Der Ort mit weit über 60 000 Einwohnern und 1600 registrierten Sturmtoten ist berühmt für die Landung des US-Generals McArthur 1944, der hier mit Denkmal verewigt ist.
In der Crew: Einsatzleiter, Technischer Leiter, Logistiker, Ärztin und medizinische Assistenten, darunter der Ebenhäuser. Behandelt wurden 150 bis 170 Patienten täglich, von acht Uhr morgens bis 18 Uhr abends. Die Menschen hatten selbst oft Tagesreisen hinter sich, standen schon am Morgen Schlange.
Unglaublich angenehme, ruhige, tiefgläubige, vor allem dankbare Leute seien die Philippinos, sagt Wetzel, vor der Zeltambulanz wurde ein Schild mit Dankesworten gemalt. „Kein Entwicklungsland“, die Jungen sprächen oft bestes Englisch, oder Spanisch, die Älteren Landessprachen wie Tagalog oder Waray-Waray. Dolmetscherin Kim half als Tochter eines Deutschen aus dem Schwarzwald. Mitarbeiterin Santos war aus der gefluteten Kirche nur entkommen, weil sie ein Kirchenfenster eingeschlagen hatte, sie begründet ihr Überleben mit dem „heiligen“ Namen.
Der Floriansjünger besuchte die Feuerwehrkollegen, die nach dem Sturm zur Hilfe hatten eilen wollen, viele sind in der überraschenden Flut umgekommen. 40 Grad feuchte Hitze, acht Liter Wasserbedarf täglich, kein Strom, aber funktionierende Trinkwasserversorgung. Nachts Ausgangssperre und wenig Schlaf bei dröhnenden Generatoren, auf dem Gelände ein Massengrab für Hunderte, eingefriedet von Kerzen und weißen Bändern. Das Läutwerk der Kirchenglocke war zerstört, ein Junge stieg mit dem Hammer hinauf, um die Gläubigen zum Gottesdienst zu rufen.
Geleistet wurde basismedizinische Versorgung: von Wunden und frischen Verletzungen bei den Aufräumarbeiten (in Flip-Flops), von Amputationsstümpfen, „Super-Infektionen“, Tierbissen, Tollwut, Erkältungen im Dauerregen, provisorische Unterkünfte, Krätze, Durchfall, Hauterkrankungen. Am Herdfeuer verbrannte oder vergiftete Kinder: Aus der Not heraus wurde Petroleum oft in Colaflaschen abgefüllt.
Die deutsche Hilfsorganisation ISAR war mit vor Ort, belgisches Militär, zwischendurch das Fernsehen. In postapokalyptischer Umgebung: „Es brennt den ganzen Tag“ – das herumliegende Holz wird verschürt.
Sebastian Wetzel hat bereits 2012 im kurdischen Nordirak geholfen, in einem Flüchtlingslager. Die Arbeit beim ASB begann mit Katastrophenschutz statt Bundeswehr, der Weihnachts-Tsunami 2004 weckte Interesse am „schnellen“ humanitären Auslandseinsatz. Nach Basislehrgang in Köln und Fortbildung wurde er Teil der deutschlandweit eingeschworenen ASB-Helfergemeinschaft, rund 60 Leute. Man kennt, erträgt sich gut auf tausend Quadratmetern Enge, eine simple Schlauchdusche war einziger Komfort.
Vom kulanten Arbeitgeber, die Firma Gulich aus Eltingshausen, erhielt der Bürokaufmann Sonderurlaub für den Irak, für Palo wurde Resturlaub fällig.
Auch seine Kinder hätten Verständnis gezeigt, als er ihnen die Philippinen auf der Weltkarte zeigte. „Es muss das Paradies gewesen sein“, sagt der Ersthelfer, mit Blick auf die Fotos einer jetzte verwüsteten Landschaft.
Spenden sind weiterhin möglich, an den ASB, Stichwort Taifun Haiyan, Konto Nummer 1888 bei der Bank für Sozialwirtschaft Köln, BLZ 370 205 00.