Eine Therapiestunde. Ein Patient berichtet von seinen Schuldgefühlen, er sucht Trost. Der Therapeut bietet ihm Nähe an und nimmt ihn – wie eine Mutter ihr Kind – auf den Schoß. Abwechselnd singen beide Zeile für Zeile aus Gretchens Klagegesang: „Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer“. Das tut gut. Zum Schluss hält der Psychiater noch einen Rat parat: „Versuchen Sie es doch mal mit einer Achselhöhlen-Aromatherapie“. - Wo sind wir hin geraten?
In die schwarze Komödie „Requiem für einen Spion“ des großen Autors, Schauspielers und Spielmachers George Tabori (1914-2007), serviert von „Les Théâtres de la Ville de Luxembourg“ im Schweinfurter Theater. Die Zuschauer erleben schräges 80-Minuten-Kabarett, eine intelligente Mischung zwischen absurdem Humor und Kalauer, zwischen Elegie und Klage. Regisseur Johannes Zametzer hat das Stück zwar beträchtlich gekürzt, trotzdem sorgte ein hervorragendes Darsteller-Trio für einen anregenden Abend.
In einer Londoner Tiefgarage treffen sich nach Jahrzehnten drei ehemalige Geheimdienstler aus dem zweiten Weltkrieg. Dem neurotischen, von Erinnerungen verfolgten Juden Heinrich Zucker, Codename Sweet, gibt der auch aus Film und Fernsehen bekannte Luc Feit überzeugend Stimme und Gestalt. Seinen damaligen Führungsoffizier Brian Murdoch, der jetzt als Psychiater arbeitet, spielt Steve Karier voll überlegener Autorität. Beide Schauspieler stürzen sich mit Verve in das irritierende Geschehen, glänzen besonders in ihren Rollenspielen. Josiane Pfeiffer als Maggie, Codename Weiße Rose, steht zwischen den beiden Männern, kühl und beherrscht.
Zucker will seine Biografie schreiben, möchte dazu noch einige Ungereimtheiten der gemeinsamen Vergangenheit aufklären. Warum hat Murdoch Zucker nie ernsthaft eingesetzt? Wer hat Maggie, die von beiden geliebt wird, an die Nazis verraten, die der tapfer Schweigenden die Zunge abschnitten?
Diesen ganzen Geheimnis-Betrieb persifliert Tabori mit einem verschwörerischen „Pst, pst“, das die Ruhestands-Spione vor jedes Substantiv setzen.
Ein wüstes Pst-Spiel mit grotesk-komischen Pst-Sketchen beginnt. Zunächst schwadronieren Murdoch und Zucker von ihren Arbeiten im Untergrund: Bordell in Bombay, gefährlicher Auftrag in Istanbul, Einsätze per Fallschirm oder U-Boot – immer im „guten Kampf gegen die dunklen Mächte. Doch da die Lüge, die Intrige und der Verrat zum Geschäft gehören – was ist hier Wahrheit, was ist hier Täuschung?
So geht es nonstop weiter. Als Psychiater animiert Murdoch den verunsicherten Zucker immer wieder zu Rollenspielen: Einmal gegen dessen Schuldgefühle wegen eines lange zurückliegenden miesen Verrats an einem Mitschüler. In einem anderen muss Zucker seinen eigenen Penis spielen, der sich durch liebevolles Zureden aufrichten soll. Und noch ein Medikus taucht auf. Kurz vor seinem Tod erzählt Zucker von seinem Besuch bei Dr. Mabuse, dem „schnellsten Finger Europas“, der seine kranke Prostata und damit sein Gesäß mit einer obskuren Dauer-Vereisung behandelte.
Gibt es zum Schluss eine Antwort auf die Frage nach Wahrheit oder Lüge, nach Schuld oder Vergebung? Wohl kaum.
Doch das brillante Komödianten-Trio aus Luxemburg bescherte einen außergewöhnlichen und diskussionswürdigen Theaterabend – zugleich eine Hommage an den skeptisch-zynischen Menschenfreund George Tabori.