Eine Stunde nach Mitternacht, mein Wecker klingelt. Wenn der Morgen graut, ist frühes Aufstehen ja okay, aber nicht mitten in der Nacht. Doch es hilft nichts, ich bin heute angemeldet als "Reporter in Betrieb" in der Backstube von Harald Blank in der Schweinfurter Sattlerstraße. Und ein Bäcker muss früh aufstehen – sehr früh –, damit er anderen Frühaufstehern, die mit frischen Brötchen und Co. in den Tag starten wollen, etwas zu bieten hat.
Kurz vor halb Drei komme ich in der Backstube an. Dort herrscht schon geschäftiges Treiben, auch wenn der 59-jährige Bäcker-und Konditormeister zu dieser Zeit noch allein zugange ist. Am Vortag gefertigte Teiglinge aus der Kühlung holen, Vorteig ansetzen, Sauerteig vorbereiten, den Fortschritt der Teige und ihre Temperatur überprüfen – in jeder Ecke hat er was zu tun. So ein Bäcker muss gut zu Fuß sein und Kondition haben, so mein erster Eindruck.
Dazu volle Konzentration für jeden der vielen Arbeitsschritte, denn wenn zum Beispiel ein Brotteig zu früh oder zu spät aus der Knetmaschine kommt, dann hat er nicht die richtige Spannung, um ein wirklicher Prachtlaib zu werden, werde ich später lernen. Außerdem muss immer der nächste Tag mitgedacht werden. Viele Teige, die heute entstehen, werden am nächsten Tag verbacken, denn ein "Teig braucht Zeit", wenn er sein volles Aroma entfalten soll.
"Da sind Schiffchen, Schürze, Shirt, willst n' Kaffee?" Schnell verwandle ich mich in einen Bäckerburschen und Ja, ich will einen Kaffee. Harald Blank erklärt mir seine Back-Philosophie, während er mit der Sicherheit tausender Nächte in der Backstube Maschinen bedient, Zutaten zusammenstellt oder Formen bereitstellt.
"Handwerklich backen, das heißt natürlich backen", meint er. Das bedeutet, dass seine Brote aus eigenem Natursauerteig sind, regionale Rohstoffe rein kommen und er auf künstliche Backmittel und Fertigmischungen verzichtet. Ein "Setzkasten" mit Pappkärtchen, auf denen die traditionellen Familien-Rezepte aufgeschrieben sind, steht auf einem der Tische. "Die meisten kann ich auswendig, aber wenn wie kurz vor Ostern besondere Spezialitäten gebacken werden, dann guck ich doch lieber mal nach", so Harald Blank, der die vierte Bäcker-Generation seiner Familie ist. Schon der Urgroßvater war 1902 Dorfbäcker in Zeilitzheim. Der zog 1919 nach Schweinfurt in das damals neu erbaute Haus in der Sattlerstraße.
Währenddessen eilt Harald Blank von Regal zu Regal, lässt mich an Gewürzen und Zutaten schnuppern, deren Namen ich teilweise nicht mal kenne. "Zutaten und Gewürze, das ist für mich wie die Tasten eines Klaviers", so Blank, der wie ein Musiker, der am Klavier Melodien komponiert, gerne neue Geschmacks-Kompositionen zusammenstellt und ausprobiert. Vielleicht heißt es nicht umsonst "Duftnote", denke ich mir, während ich an Töpfchen und Tiegelchen mit Maniokstärke, Brotklee, Tonkabohne und echter Vanille schnuppere.
Nun ab er ran an die Arbeit. Ich soll Kaiserbrötchen "strüpfeln", was heißt, ihnen mit einem Spezialgerät die bekannte "Fächerspirale" aufs Haupt zu drücken. "Mehr Gefühl", warnt mich Harald Blank noch, aber zu spät, das erste Brötchen ist "totgestrüpfelt", was bedeutet, dass das Muster durchgedrückt ist. Aber es wird besser. Umgang mit Teig aller Art, das lerne ich in dieser Nacht, hat viel mit Gefühl zu tun, wenn man ihn knetet, formt, "streichelt" und mit Mehl bestäubt.
Harald Blank und sein Mitarbeiter Dirk Bocklet, der inzwischen zu uns gestoßen ist, scheinen die Teige förmlich zu spüren. Spannung, Konsistenz, Temperatur – alles wird mit Kennerblick und Fingerdruck geprüft und dann nach Bedarf gewalzt, geknetet, gefaltet oder geschlagen. Ja auch geschlagen, denn für die Stölli, muss der Teig fachgerecht geschlagen werden, damit er Spannung bekommt.
Immer mehr Nachfrage nach glutenfreien und veganen Backwaren
Während ich mit dem Abwiegen der künftigen Brotlaibe gut zu tun habe und Dirk Bocklet virtuos beidhändig Bratwürsten ihren Schlafrock "anzieht", widmet sich Harald Blank dem Spezialangebot seiner Backstube – dem glutenfreien Sortiment. Menschen, die kein Gluten vertragen, und es werden immer mehr, müssen auf herkömmliches Brot und Gebäck verzichten. Das weiß der Bäckermeister aus eigener Erfahrung, weshalb er ein halbes Dutzend glutenfreier Brotsorten, wie Buchweizenbrot oder Vollkornreis-Hirse-Amaranth-Brot, aber auch Kuchen und Muffins entwickelt hat.
Für die glutenfreien Zutaten gibt es einen eigenen Raum, in dem herkömmliches Mehl nichts zu suchen hat. Da er sich selbst auch vegan ernährt, hat er auch auf diesem Gebiet lange getüftelt, um vollwertige Backprodukte zu entwickeln, die ohne Milch, Eier und andere tierische Zutaten auskommen. Glutenfreie und vegane Angebote, für Blank mittlerweile ein Alleinstellungsmerkmal seines Betriebes. "Manche Kunden fahren weit für unser glutenfreies Brot."
In der Backstube laufen die Arbeitsschritte effektiv wie in einem Uhrwerk ab. Ständig signalisiert eine Maschine durch "Piep, Piep, Piep", dass ihr Arbeitsgang abgeschlossen ist, dennoch sind kaum Worte nötig um zu klären, wer was macht – so sieht Multi-Tasking aus. Bäcker arbeiten ohne viele Worte, sonst läuft ihnen nicht nur die Zeit, sondern auch der Teig davon, der nicht verzeiht, wenn man ihn zu lange warten lässt.
Ostern ist nicht mehr weit, weshalb das Sortiment in dieser Backnacht recht österlich ist. Pinsa, italienisches Osterbrot aus einem verführerisch duftenden leicht gesüßten Hefeteig, wird angesetzt. Die klassischen "Schweinfurter Hasen" und launige "Schneckenhasen" werden aus Dinkel-Mürbeteig ausgeschnitten. Der Stift – also ich – wird Legionen von ihnen Schokoaugen und Münder verpassen. Kränzchen werden geflochten, in die man gefärbte Eier stellen kann, Bisquitmasse wird in Hasenformen gegossen und die Osterlamm-Formen werden für den nächsten Backtag vorbereitet. Der Osterhase hätte seine Freude an uns.
Am Ofen herrscht inzwischen Rein-Raus-Hochbetrieb. "Der Ofen hat Vorfahrt", warnt Harald Blank. Wenn er mit dem "Schießer", der Flachschaufel mit der langen Stange, die Bleche voll duftender Backwaren aus der Hitze holt, dann vergrößert sich der ohnehin eingehaltene Abstand noch einmal enorm. Denn wenn das Gerät mit dem heißen Blech voller Brot darauf ruckartig aus dem Ofen gezogen wird, sollte man nicht müßig dahinterstehen, denn so ein Bäcker hat seine Augen zwar überall, aber nicht im Hinterkopf. So ein volles Blech hat Gewicht und will in Balance gehalten werden, und ich bin jedes Mal froh, wenn ich es unfallfrei im Regal abgestellt habe.
Mit jeder Ladung, die den Ofen verlässt, wird der Duft in der Backstube intensiver. Die Teigstangen, die Stunden vorher in Lauge getaucht und mit Käse bestreut zu Laugenstangen wurden, kommen als Käselaugenstangen-Aromaorgie aus dem Ofen. "Die ersten Stunden arbeitet der Bäcker auf 140 Prozent, später wird es etwas entspannter in der Backstube", so Harald Blank, der seit 1982 den zweiten Teil seiner Nächte dort verbringt. "Backen ist eine Mischung aus Biologie, Chemie und Physik", so seine Erfahrung, die ich nach dieser Frühschicht in der Backstube gut nachvollziehen kann.
Meine Frühstücksbrötchen, deren Werdegang ich sozusagen "von Kindesbeinen" an verfolgt habe, betrachte ich nach Schichtende, inzwischen ist es neun Uhr, mit neuer Wertschätzung. Habe ich doch am eigenen Leib gespürt, wie viel Planung, Arbeit und Konzentration es braucht, damit die Brötchen-Krume so locker wird, wie wir es mögen. Backen, das ist mehr als Wasser, Mehl, Eier und Gewürze zusammenrühren. Es ist "Hand"-Werk, bei dem man wahlweise zupacken oder sanft den Teig "tätscheln" muss, um zum gewünschten Ergebnis zu kommen.
Ach ja – mein "totgestrüpfeltes Erstlingsbrötchen" und dessen leidlich lebendige Nachfolger, haben es doch noch in den Ofen geschafft. Sehen halt nicht so toll aus, wären kein Hit im Regal, weshalb sie mein "Lohn" für diese Nacht in der Backstube sind. Und was soll ich sagen, sie schmecken mir genauso gut, wenn nicht noch besser, weil sie neben all den guten Sachen noch die Zutat "Hab ich selbst gemacht" enthalten.