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Schweinfurt
Reporter in Betrieb: Nachtschicht in der Osterbäckerei
Frischgebackenes zum Frühstück ist scheinbar selbstverständlich. Weil es keine Heinzelmännchen gibt, müssen Bäcker dafür die Nacht zum Tag machen. 
Mit einem 'Schiffchen' auf dem Kopf und einem Blech Ostergebäck vor sich, fühlt man sich schon fast wie der Osterhase. Die noch zu backenden  Eierbecher müssen so geformt werden, dass hinterher die Ostereier darin auch eine gute Figur machen. 
Foto: Anand Anders | Mit einem "Schiffchen" auf dem Kopf und einem Blech Ostergebäck vor sich, fühlt man sich schon fast wie der Osterhase.
Helmut Glauch
Helmut Glauch
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:53 Uhr

Eine Stunde nach Mitternacht, mein Wecker klingelt. Wenn der Morgen graut, ist frühes Aufstehen ja okay, aber nicht mitten in der Nacht. Doch es hilft nichts, ich bin heute angemeldet als "Reporter in Betrieb" in der Backstube von Harald Blank in der Schweinfurter Sattlerstraße. Und ein Bäcker muss früh aufstehen – sehr früh –, damit er anderen Frühaufstehern, die mit frischen Brötchen und Co. in den Tag starten wollen, etwas zu bieten hat.          

Kurz vor halb Drei komme ich in der Backstube an. Dort herrscht schon geschäftiges Treiben, auch wenn der 59-jährige Bäcker-und Konditormeister zu dieser Zeit noch allein zugange ist. Am Vortag gefertigte Teiglinge aus der Kühlung holen, Vorteig ansetzen, Sauerteig vorbereiten, den Fortschritt der Teige und ihre Temperatur überprüfen – in jeder Ecke hat er was zu tun. So ein Bäcker muss gut zu Fuß sein und Kondition haben, so mein erster Eindruck.

Dazu volle Konzentration für jeden der vielen Arbeitsschritte, denn wenn zum Beispiel ein Brotteig zu früh oder zu spät aus der Knetmaschine kommt, dann hat er nicht die richtige Spannung, um ein wirklicher Prachtlaib zu werden, werde ich später lernen. Außerdem muss immer der nächste Tag mitgedacht werden. Viele Teige, die heute entstehen,  werden am nächsten Tag verbacken, denn ein "Teig braucht Zeit", wenn er sein volles Aroma entfalten soll.     

Handwerk ist, wenn man mit den Händen werkt. Unser 'Reporter in Betrieb', Helmut Glauch, wiegt hier die Teigmasse für die künftigen Brotlaibe ab. Es wird übrigens immer rund 20 Prozent mehr  Teiggewicht gebraucht, als Brot aus dem Ofen kommt. Den Backverlust muss man beim Abwiegen berücksichtigen.  
Foto: Anand Anders | Handwerk ist, wenn man mit den Händen werkt. Unser "Reporter in Betrieb", Helmut Glauch, wiegt hier die Teigmasse für die künftigen Brotlaibe ab.

"Da sind Schiffchen, Schürze, Shirt, willst n' Kaffee?" Schnell verwandle ich mich in einen Bäckerburschen und Ja, ich will einen Kaffee. Harald Blank erklärt mir seine Back-Philosophie, während er mit der Sicherheit tausender Nächte in der Backstube Maschinen bedient, Zutaten zusammenstellt oder Formen bereitstellt.

"Handwerklich backen, das heißt natürlich backen", meint er. Das bedeutet, dass seine Brote aus eigenem Natursauerteig sind, regionale Rohstoffe rein kommen und er auf künstliche Backmittel und Fertigmischungen verzichtet. Ein "Setzkasten" mit Pappkärtchen, auf denen die traditionellen Familien-Rezepte aufgeschrieben sind, steht auf einem der Tische. "Die meisten kann ich auswendig, aber wenn wie kurz vor Ostern besondere Spezialitäten gebacken werden, dann guck ich doch lieber mal nach", so Harald Blank, der die vierte Bäcker-Generation seiner Familie ist. Schon der Urgroßvater war 1902 Dorfbäcker in Zeilitzheim. Der zog 1919 nach Schweinfurt in das damals neu erbaute Haus in der Sattlerstraße. 

Die 'Schweinfurter Hasen' werden nicht etwa mit einem Förmchen ausgestochen, sondern mit dem Messer aus kleinen Fladen herausgeschnitten.
Foto: Anand Anders | Die "Schweinfurter Hasen" werden nicht etwa mit einem Förmchen ausgestochen, sondern mit dem Messer aus kleinen Fladen herausgeschnitten.

Währenddessen eilt Harald Blank von Regal zu Regal, lässt mich an Gewürzen und Zutaten schnuppern, deren Namen ich teilweise nicht mal kenne. "Zutaten und Gewürze, das ist für mich wie die Tasten eines Klaviers", so Blank, der wie ein Musiker, der am Klavier Melodien komponiert, gerne neue Geschmacks-Kompositionen zusammenstellt und ausprobiert. Vielleicht heißt es nicht umsonst "Duftnote", denke ich mir, während ich an Töpfchen und Tiegelchen mit Maniokstärke, Brotklee, Tonkabohne und echter Vanille schnuppere.     

So sehen sie aus, die 'Schweinfurter Hasen', die Bäcker-und Konditormeister Harald Blank hier in den Ofen schiebt. Der 59-Jährige ist die vierte Generation der Bäckerfamilie. 
Foto: Anand Anders | So sehen sie aus, die "Schweinfurter Hasen", die Bäcker-und Konditormeister Harald Blank hier in den Ofen schiebt. Der 59-Jährige ist die vierte Generation der Bäckerfamilie. 

Nun ab er ran an die Arbeit. Ich soll Kaiserbrötchen "strüpfeln", was heißt, ihnen mit einem Spezialgerät die bekannte "Fächerspirale" aufs Haupt zu drücken. "Mehr Gefühl", warnt mich Harald Blank noch, aber zu spät, das erste Brötchen ist "totgestrüpfelt", was bedeutet, dass das Muster durchgedrückt ist. Aber es wird besser. Umgang mit Teig aller Art, das lerne ich in dieser Nacht, hat viel mit Gefühl zu tun, wenn man ihn knetet, formt, "streichelt" und mit Mehl bestäubt.

Harald Blank und sein Mitarbeiter Dirk Bocklet, der inzwischen zu uns gestoßen ist, scheinen die Teige förmlich zu spüren. Spannung, Konsistenz, Temperatur – alles wird mit Kennerblick und Fingerdruck geprüft und dann nach Bedarf gewalzt, geknetet, gefaltet oder geschlagen. Ja auch geschlagen, denn für die Stölli, muss der Teig fachgerecht geschlagen werden, damit er Spannung bekommt.        

Immer mehr Nachfrage nach glutenfreien und veganen Backwaren 

Viele Brote sehen schon vor dem Backen zum Anbeißen aus. Dem Bäcker helfen allerlei Spezialgeräte um Form und Oberfläche auch für das Auge schön zu gestalten.
Foto: Anand Anders | Viele Brote sehen schon vor dem Backen zum Anbeißen aus. Dem Bäcker helfen allerlei Spezialgeräte um Form und Oberfläche auch für das Auge schön zu gestalten.

Während ich mit dem Abwiegen der künftigen Brotlaibe gut zu tun habe und Dirk Bocklet virtuos beidhändig Bratwürsten ihren Schlafrock "anzieht", widmet sich Harald Blank dem Spezialangebot seiner Backstube – dem glutenfreien Sortiment. Menschen, die kein Gluten vertragen, und es werden immer mehr, müssen auf herkömmliches Brot und Gebäck verzichten. Das weiß der Bäckermeister aus eigener Erfahrung, weshalb er ein halbes Dutzend glutenfreier Brotsorten, wie Buchweizenbrot oder Vollkornreis-Hirse-Amaranth-Brot, aber auch Kuchen und Muffins entwickelt hat.

Für die glutenfreien Zutaten gibt es einen eigenen Raum, in dem herkömmliches Mehl nichts zu suchen hat. Da er sich selbst auch vegan ernährt, hat er auch auf diesem Gebiet lange getüftelt, um  vollwertige Backprodukte zu entwickeln, die ohne Milch, Eier und andere tierische Zutaten auskommen. Glutenfreie und vegane Angebote, für Blank mittlerweile ein Alleinstellungsmerkmal seines Betriebes. "Manche Kunden fahren weit für unser glutenfreies Brot."     

Die Bratwurst muss in ihren Schlafrock rein. Hier wickelt Geselle Dirk Bocklet die Würste, in ihren Teigmantel. 
Foto: Helmut Glauch | Die Bratwurst muss in ihren Schlafrock rein. Hier wickelt Geselle Dirk Bocklet die Würste, in ihren Teigmantel. 

In der Backstube laufen die Arbeitsschritte effektiv wie in einem Uhrwerk ab. Ständig signalisiert eine Maschine durch "Piep, Piep, Piep", dass ihr Arbeitsgang abgeschlossen ist, dennoch sind kaum Worte nötig um zu klären, wer was macht – so sieht Multi-Tasking aus. Bäcker arbeiten ohne viele Worte, sonst läuft ihnen nicht nur die Zeit, sondern auch der Teig davon, der nicht verzeiht, wenn man ihn zu lange warten lässt.

Ostern ist nicht mehr weit, weshalb das Sortiment in dieser Backnacht recht österlich ist. Pinsa, italienisches Osterbrot aus einem verführerisch duftenden leicht gesüßten Hefeteig, wird angesetzt. Die klassischen "Schweinfurter Hasen"  und launige "Schneckenhasen" werden aus Dinkel-Mürbeteig ausgeschnitten. Der Stift – also ich – wird Legionen von ihnen Schokoaugen und Münder verpassen. Kränzchen werden geflochten, in die man gefärbte Eier stellen kann, Bisquitmasse wird in Hasenformen gegossen und die Osterlamm-Formen werden für den nächsten Backtag vorbereitet. Der Osterhase hätte seine Freude an uns.       

Mit dem 'Schießer' werden  die Bleche in den Ofen geschoben und nach dem Backen wieder heraus geholt. Um ein Gefühl für die flache Schaufel mit dem ellenlangen Stil zu bekommen, ist es ratsam, erst einmal mit einem Brot zu üben.
Foto: Anand Anders | Mit dem "Schießer" werden  die Bleche in den Ofen geschoben und nach dem Backen wieder heraus geholt. Um ein Gefühl für die flache Schaufel mit dem ellenlangen Stil zu bekommen, ist es ratsam, erst einmal mit ...

Am Ofen herrscht inzwischen Rein-Raus-Hochbetrieb. "Der Ofen hat Vorfahrt", warnt Harald Blank. Wenn er mit dem "Schießer", der Flachschaufel mit der langen Stange, die Bleche voll duftender Backwaren aus der Hitze holt, dann vergrößert sich der ohnehin eingehaltene Abstand noch einmal enorm. Denn wenn das Gerät mit dem heißen Blech voller Brot darauf ruckartig aus dem Ofen gezogen wird, sollte man nicht müßig dahinterstehen, denn so ein Bäcker hat seine Augen zwar überall, aber nicht im Hinterkopf. So ein volles Blech hat Gewicht und will in Balance gehalten werden, und ich bin jedes Mal froh, wenn ich es unfallfrei im Regal abgestellt habe.         

Handwerk hat nicht nur goldenen, sondern mitunter auch mehligen Boden. In den traditionellen Körbchen können die Brotlaibe aufgehen, denn 'Teig braucht Zeit und gutes Backen sowieso', meint Harald Blank. 
Foto: Anand Anders | Handwerk hat nicht nur goldenen, sondern mitunter auch mehligen Boden. In den traditionellen Körbchen können die Brotlaibe aufgehen, denn "Teig braucht Zeit und gutes Backen sowieso", meint Harald Blank. 

Mit jeder Ladung, die den Ofen verlässt, wird der Duft in der Backstube intensiver. Die Teigstangen, die Stunden vorher in Lauge getaucht und mit Käse bestreut zu Laugenstangen wurden, kommen als Käselaugenstangen-Aromaorgie aus dem Ofen. "Die ersten Stunden arbeitet der Bäcker auf 140 Prozent, später wird es etwas entspannter in der Backstube", so Harald Blank, der seit 1982 den zweiten Teil seiner Nächte dort verbringt. "Backen ist eine Mischung aus Biologie, Chemie und Physik", so seine Erfahrung, die ich nach dieser Frühschicht in der Backstube gut nachvollziehen kann.      

In kulinarischer Hinsicht ist das Osterfest gerettet. Osterbrote, darunter rechts das italienische Pinsa-Brot, gebackene Eierbecher und 'Schneckenhasen' tummeln sich fertig auf dem Backblech.  
Foto: Helmut Glauch | In kulinarischer Hinsicht ist das Osterfest gerettet. Osterbrote, darunter rechts das italienische Pinsa-Brot, gebackene Eierbecher und "Schneckenhasen" tummeln sich fertig auf dem Backblech.  

Meine Frühstücksbrötchen, deren Werdegang ich sozusagen "von Kindesbeinen" an verfolgt habe, betrachte ich nach Schichtende, inzwischen ist es neun Uhr, mit neuer Wertschätzung. Habe ich doch am eigenen Leib gespürt, wie viel Planung, Arbeit und Konzentration es braucht, damit die Brötchen-Krume so locker wird, wie wir es mögen. Backen, das ist mehr als Wasser, Mehl, Eier und Gewürze zusammenrühren. Es ist "Hand"-Werk, bei dem man wahlweise zupacken oder sanft den Teig "tätscheln" muss, um zum gewünschten Ergebnis zu kommen.

Ach ja – mein "totgestrüpfeltes Erstlingsbrötchen" und dessen leidlich lebendige Nachfolger, haben es doch noch in den Ofen geschafft. Sehen halt nicht so toll aus, wären kein Hit im Regal, weshalb sie mein "Lohn" für diese Nacht in der Backstube sind. Und was soll ich sagen, sie schmecken mir genauso gut, wenn nicht noch besser, weil sie neben all den guten Sachen noch die Zutat "Hab ich selbst gemacht" enthalten.           

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Auch diese lustigen Kameraden gehören zur Osterbäckerei - die 'Schneckenhasen'.
Foto: Anand Anders | Auch diese lustigen Kameraden gehören zur Osterbäckerei - die "Schneckenhasen".

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Quelle: hg
 
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