zurück
GEROLZHOFEN
Reform stellt Hausarzt ins Abseits
Von unserem Redaktionsmitglied Norbert Finster
 |  aktualisiert: 24.08.2010 17:24 Uhr

In Gerolzhofen werden am kommenden Donnerstag und Freitag alle Hausarztpraxen geschlossen bleiben. Damit beteiligen sich die Hausärzte in der Stadt und Dr. Eberhard Wütscher mit seiner Praxis in Sulzheim an einer Aktion des bayerischen Hausärzteverbands.

 Die Schließung soll ein Warnschuss gegen die Pläne von Gesundheitsminister Philipp Rösler sein, der die Vergütung in neuen Hausarztverträgen an das Niveau der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) koppeln will.

Der Gesetzesentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium für ein Finanzierungsesetz der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) bindet die hausarztzentrierte Versorgung eng an das KV-System. Danach hat ein Arzt nur ein bestimmtes Budget pro Patient im Quartal. Das darf er nicht überziehen. Jede Mehrleistung bliebe also dann ohne Honorar, auch wenn sie noch so notwendig ist. Ausnahmen für Mehrausgaben sind nur dann gestattet, wenn der Arzt Effizienzsteigerungen oder Einsparungen an anderer Stelle nachweisen kann.

Fallwert Grundlage

Auch in Einzelverträgen, die der Patient mit den Arzt abschließt, darf also nach den Vorstellungen in Berlin die Höhe der Vergütung nicht den rechnerisch durchschnittlichen Fallwert für Hausärzte in der Regelversorgung einer KV-Region übersteigen. Damit werden nach Ansicht von Dr. Weigand die Hausarztverträge revidiert, die die schwarz-rote Bundesregierung ermöglicht hatte, um die Hausärzte überleben zu lassen. „Schwarz-rot hat erkannt, dass es ohne Hausärzte noch teurer wird“, sagt der Gerolzhöfer Mediziner. Von der jetzigen Koalition könne man das nicht mehr sagen.

Die Ärzte sehen sich in ihrer Arbeit völlig vom Staat durchreguliert und auch in ihrer Tariffreiheit beschnitten. Deswegen die Praxisschließung, an der sich diesmal alle Gerolzhöfer Praxen beteiligen. „Entweder alle oder keiner“, ist das gemeinsame Motto.

„Der Protest ist eher ein Protest für den Patienten“, erklärt Dr. Weigand. Auf Sicht nämlich sieht er eine Bedrohung für die gesamte hausärztliche Versorgung. Das liegt vor allem daran, dass sich unter den Medizinern kaum mehr jemand bereit findet, unter diesen Bedingungen zu arbeiten. Der Nachwuchs entscheidet sich lieber, in der Klinik zu bleiben, Facharzt zu werden oder Deutschland gleich ganz zu verlassen.

In einem Informationsblatt des Hausärzteverbandes heißt es, bei 2000 bis 3000 Ärzten, die jährlich das Land verlassen, kosten das den Steuerzahler jährlich drei Milliarden Euro. Grund: Der Staat investiert viel in die Ausbildung der Mediziner, um sie danach durch schlechte Bedingungen aus dem Land zu befördern.

Der Nachfolgemangel in den Hausarztpraxen ist jetzt schon akut. Denn der Altersgipfel der bayerischen Hausärzte liegt bei 60 Jahren. In den kommenden vier vis fünf Jahren werden etwa 40 Prozent in Rente gehen, bei den jetzigen Bedingungen wohl überwiegend ohne Nachfolger.

Einschnitte zu befürchten

„Wir haben jetzt schon viel zu tun, verzeichnen ein überdurchschnittliches Patientenaufkommen. Mit jeder geschlossenen Praxis wird das mehr“, sagt Weigand, der nicht nur von sich, sondern auch von seinen vier Kollegen in Gerolzhofen spricht. Die Konsequenz: Irgendwann wird es Einschnitte für den Patienten geben müssen. Und der Arzt gerät in einen Konflikt zwischen dem, was er überhaupt noch leisten kann, und seinen hippokratischen Eid, den er geleistet hat. Werner Weigand hat jetzt schon einen Zwölf-Stunden-Tag.

Ganz egal, was ein Hausarzt für einen Patienten leistet, mehr als 50 Euro im Quartal stehen ihm durchschnittlich nach KV-Regelleistung nicht zu, einschließlich eventueller Hausbesuche. Bei Kollegen, die zum Beispiel nicht mit Ultraschall arbeiten, liegen die Regelsätze noch niedriger. Mit Hausarztvertrag sind es immer hin 80 Euro. „50 Euro klingt vielleicht viel für jemanden, der gesund ist und nie zum Arzt muss, auf der anderen Seite haben wir aber auch chronisch Kranke, die dreimal pro Woche in die Praxis kommen“, erklärt Weigand.

In Bayern laufen die Hausarztverträge noch zwei Jahre. Sie sollen nach den Plänen Philipp Röslers Bestandsschutz haben. Doch zwei Jahre sind schnell vorbei und in den meisten anderen Bundesländern gibt es diese Regelung gar nicht.

Noch ein Problem sieht der Mediziner: „Wenn ein Patient mit seinem Hausarzt nicht mehr zufrieden ist und wechseln will, wohin soll er dann gehen, wenn es keinen mehr gibt?“

Am Donnerstag könnten jedenfalls die Gerolzhöfer Patienten einen ersten Vorgeschmack auf kommende Zeiten bekommen. Dann nämlich vertritt Dr. Wütscher in Sulzheim die Gerolzhöfer Kollegen in Notfällen (am Freitag Dr. Holger Hermann in Gerolzhofen). Weigand: „Es könnte sein, dass die Patienten eines Tages noch viel weiter als nach Sulzheim fahren müssen.“

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top