Erzählen. Das ist die Leidenschaft von Rafik Schami. Er schreibt Bücher voller Poesie. Sprache ist etwas, dass er zärtlich liebt, pflegt und hegt.
Deswegen liest er nicht einfach aus einem Buch, wenn er wie in Schweinfurt auf Einladung der Buchhandlung Vogel zu einer Lesung in die Celtis-Aula kommt. Er erzählt lieber Geschichten über die Menschen, die in dem Buch leben. In „Sophia oder der Anfang aller Geschichten“ zum Beispiel.
Ein Thriller, zwei leidenschaftliche Liebesgeschichten
Es ist eine einfache Geschichte. Man kann sie innerhalb einer Minute erzählen, sagt er. „Ein Thriller, zwei leidenschaftliche Liebesgeschichten. Das war's.“ Aber es gibt keine einfachen Geschichten. Vor allem nicht, wenn es um Liebe, Erwachsenwerden, Religion, Diktatur, Krieg, Geheimdienste, Mutterliebe, Heimweh und Sehnsucht geht. In Syrien zumal.
Wenn Rafik Schami von Sophia erzählt („Sie hat ein großes Herz und eine noch größere Vernunft“), von Karim, Salman, Elias, Tante Amalia, hat man das Gefühl, die Leute zu kennen. Das liegt an seiner temperamentvollen Art zu reden, den Gesten, dem Humor, der Wärme, dem Gefühl von Nähe.
1946 in Damaskus geboren, seit 1971 in Deutschland
Gern lässt er den roten Faden mal bei einer Figur, wird aktuell, politisch. Schami, „Katholik und Weintrinker“, wurde 1946 in Damaskus geboren. Seit 1971 lebt er in Deutschland. Seine Bücher sind in 29 Sprachen erschienen, er bekam zahlreiche Preise.
Was in seiner Heimat Syrien passiert, schmerzt ihn. Und macht ihn wütend. Homs, die Stadt, aus der Sophia kommt, lag einmal an einem Fluss, sagt er. „Jetzt liegt sie in Trümmern“. Die Verbrechen der IS-Terroristen, die Gewalt: „Wir erleben eine historische Katastrophe“. Trotzdem gibt er die Hoffnung nicht auf: „Wir werden zusammenleben.“
Sophia und Karim konnten nicht zusammenleben. Beider Familien hätten nicht toleriert, dass eine Christin und ein Muslim heiraten. Trotzdem bleibt die Liebe mit ihnen. Und sie werden es schaffen, ein Leben zu retten.
Man erfährt viel, wenn Rafik Schami erzählt. Was es heißt, in einer Demokratie zu leben, zum Beispiel. Wenn man einen Pass will, beantragt man einen, holt ihn sich. Man hat ein recht darauf. In der Diktatur geht man auch aufs Amt, sucht sich einen netten Beamten – „der gerade ein Haus gebaut hat und Schulden hat“ – und dann kommt der Pass. In Karims Fall für 10 000 Dollar.
Warum nehmen korrupte Beamte eigentlich nur Dollar?
Warum nehmen korrupte Beamte Dollar, nicht Landeswährung, hat sich Schami gefragt. Antwort eines Beamten: „Ich will den USA schaden.“ Auch beim Bestechen kann es also humorvoll zugehen.
Schami erzählt von Gefängnissen, von Geheimdiensten, von eleganter, in Ausbildungszentren gelernter Folter, die gekonnt die eine Schwäche sucht, die jemanden zerbrechen lässt. Er erzählt von klugen, mutigen Frauen, die ihr Leben in die Hand nehmen, auch wenn es sie einen Preis kostet. Solchen Frauen scheint sein Herz zu gehören.
Er erzählt von jungen Männern, die in den Sog von Gewalt kommen. Von alten Rechnungen, von verletzter Eitelkeit und trotzdem immer wieder vom Glück. Es ist da. Man muss es fassen, schätzen, erkennen, genießen, fordern.
Der Schlüssel zum Herzen liegt in einem See von Trauer
Wie die Frau, die in einen See Trauer springt, in den ein Mann den Schlüssel zu seinem Herzen geworfen hat. „Die verrostete Tür musst Du jetzt selber aufschließen“, sagt sie, nicht ganz so poetisch wie es Rafik Schami vermutlich ausdrücken würde. Aber es klappt.
Wer leidenschaftlich erzählt, kommt natürlich von einem ins andere. Zur Frage, warum es in der arabischen Literatur keine Krimis gibt. „Und die Schweden machen die Welt verrückt mit ihren Krimis.“ Dafür gibt es eine einfache Erklärung, sagt Schami, und sein Humor wird bitter. Ein arabischer Roman würde auf der dritten Seite enden mit dem Satz: „Und der Kommissar verschwand.“
Leute verhören? Verbrechen aufklären? Schwierig in einem Gefüge, bei dem es darauf ankommt, wer mit wem verwandt oder gut befreundet ist. Verwandtschaft, Sippe, das ist etwas, das Schami sehr differenziert sieht. Auf der einen Seite gibt es immer Hilfe, Unterstützung, Pflege. Auf der anderen Seite: „Wir zahlen einen hohen Beitrag dafür: Wir sind nicht frei.“ In Europa sei man isoliert, aber frei von familiären Zwängen.
Es ließe sich jetzt noch viel erzählen. Von den netten Gesprächen beim Buch-Signieren, dem Zauber, den Schami mit seinen Geschichten verbreitet. Von den Erlebnissen mit Landsleuten, die an der Uni in Deutschland Philosophie lehren, Hegel fertiggemacht haben und eines Tages sagen: „Mutti hat eine Frau für mich gefunden“.
Spannung gehört zur orientalischen Erzählkunst
Stattdessen sei so viel verraten: „Sophia oder der Anfang aller Geschichten“ schließt mit einem „göttlichen, teuflischen Trick, auf den Sie nie kommen würden“. Spannung, so Rafik Schami, gehört nämlich unbedingt zur orientalischen Erzählkunst.
Buchhändlerin Franziska Bickel war verblüfft, wie groß der Ansturm auf die Karten war. „Seit Weihnachten ausverkauft“. Rafik Schami hat ihr und Celtis-Schulleiter Rainer Herzing versprochen, 2017 wieder nach Schweinfurt zu kommen und im Celtis zu lesen. „Die Atmosphäre hat ihm gut gefallen.“ Schami denkt an eine Benefizveranstaltung für seinen Verein Schams, der syrische Kinder und Jugendliche unterstützt.
Rafik Schami liest im Celtis: ein Erlebnis. Video: Josef Lamber
Posted by Schweinfurter Tagblatt on Montag, 22. Februar 2016