
Radfahren wird immer interessanter, es ist umweltfreundlich und spart Geld." So beginnt Privatdozent Dr. Johann Romstöck, Chefarzt der Neurochirurgischen Klinik im Leopoldina und begeisterter Fahrradfahrer, sein Referat beim Leo-Online-Seminar. Sein Thema "Fahrrad fahren hält jung und fit – aber sicher!" Denn Radeln biete ein perfektes Ausdauertraining für Jung und Alt. Es stärke Herz, Lunge, Kreislauf, Stoffwechsel, Gelenke und Muskulatur. Es trainiere Gehirn und Rückenmark (Gleichgewicht, Reflexe und Sinnesorgane). Und der Seele beschere es Spaß und Freude durch Bewegung an der frischen Luft.
Romstöck verschweigt nicht die negativen Aspekte. Die Zahl der tödlichen Fahrradunfälle sei in den vergangenen 40 Jahren zwar deutlich gesunken, allerdings seit etwa zehn Jahren konstant geblieben. Dafür gäbe es jedoch deutlich mehr tödlich verunfallte Radfahrer über 65 Jahre. Dabei sei der Anteil an schweren Kopfverletzungen mit 80 Prozent besonders hoch – immer fahren noch etwa 80 Prozent aller Radfahrer ohne Helm, bedauert Romstöck
Romstöck rät zur individuellen Auswahl beim Kauf des Fahrrads nach Typ und Größe, für Alltag oder Sport, für Asphalt oder Gelände, mit oder ohne Gepäck und zum Probefahren. Entscheidend sei das Anpassen des Rades und seiner Komponenten an die individuelle Körpergröße. Dieses "Bike-Fitting" sei wichtig für ein entspanntes, schmerzfreies Fahrradfahren, denn eine verkrampfte Körperhaltung könne schon mal zu Rückenschmerzen führen. Vorsicht beim E-Bike, besonders für ältere Anfänger oder Wiedereinsteiger mit wenig Fahrpraxis: Mit etwa 25 Kilo ungewohnt schwer, vor allem ungewohnt schnell mit 25 bis 40 km/h. Also sanfter Umstieg auf das E-Bike.
Ist der Helm wirklich so wichtig?
Es sei immens wichtig, dass der Kopf und damit das Gehirn mit dem Helm vor schweren Verletzungen geschützt werden, betont Romstöck. Bekannte Ausreden gegen einen Helm seien "die Frisur", über "wohin damit" bis "uncool". Doch jeder vierte Fahrradunfall führe zu schwersten Kopfverletzungen wie Schädel-Hirn-Trauma, die im Vergleich am häufigsten tödlich enden.
Warum ist das Gehirn besonders gefährdet?
Bei Stürzen ab etwa 1,5 Meter Höhe bei Geschwindigkeiten bis 90 km/h (Passabfahrten) auf harten Untergrund wirken starke Kräfte auf den gesamten Körper und führen zu schweren Verletzungen. Besonders gefährlich für das Gehirn: Der Aufprall des Kopfes auf dem Boden führt zu einer Beschleunigung und einer plötzlichen Abbremsung des Gehirns im Inneren des Schädels. Das bewirkt im schlimmsten Fall Zerreißblutungen im Schädelinnern. Die Blutungen kommen meist nicht zum Stillstand, sie drücken gegen das Gehirn und verursachen neurologische Ausfallserscheinungen. Hier muss sofort eine neurochirurgische Behandlung erfolgen.
Wie wirkt sich eine Schädel-Hirn-Verletzung aus?
Romstöck: "Wenn man Glück hat, bleibt es bei einer Schramme, einer Beule, einem blauen Auge." Daneben tritt oft Benommenheit, Schwindel oder Erbrechen auf. Patienten schildern: "Kurz weggetreten", "Sternchen gesehen". Daneben Arm- oder Beinlähmungen, epileptische Krampfanfälle. "Diese Beschwerden sind meistens harmlos, können aber erst verzögert auftreten", betont Romstöck. Ernst zu nehmen seien ein- oder zweiseitige Pupillenerweiterungen. Notwendig sind engmaschige Beobachtungen, beim geringsten Zweifel Arzt oder Notaufnahme. Bei deutlichen oder zunehmenden Beschwerden keine Zeit verlieren.
Was tun am Unfallort?
Ein schwer Verunfallter, der leblos am Boden liegt, ist auf Erste Hilfe angewiesen: Unfallstelle sichern, Notruf wählen (Tel. 112), lebensrettende Sofortmaßnahmen einleiten, Blutungen stillen, stabile Seitenlage anwenden. Ein Fahrradhelm sei dem Verletzten in der Regel vorsichtig abzunehmen Hier empfiehlt der Chefarzt Erste-Hilfe- Auffrischungskurse. Bei Schädel-Hirn-Verletzungen gilt ein besonderes Bewertungsschema für Bewusstseins- und Hirnfunktionsstörungen (Glasgow Coma Score).
Was passiert im Leopoldina mit Schädel-Hirn-Verletzten?
Nach einem solch schweren Unfall muss der Verletzte in eine Klinik mit einer Neurochirurgie eingeliefert werden. Im Leopoldina kommt der Notarzt mit dem Verletzten in den Schockraum der Zentralen Notaufnahme. Dort steht nach der Alarmierung vom Unfallort bereits ein Trauma-Team bereit, das für eine sofortige vitale Stabilisierung und Diagnostik sorgt. Wenn nötig, erfolgt eine sofortige neurochirurgische Operation mit anschließender, oft längerer Intensiv-Überwachung. "Schnell agieren und reagieren ist lebensrettend."
Wie wird eine Wirbelsäulen-Verletzung behandelt?
Bei einem schweren Unfall sind Brüche der Wirbelsäule und Rückenmarksverletzungen nicht auszuschließen, im schlimmsten Fall droht eine Querschnittslähmung. Deshalb wird der Rettungsdienst schon am Unfallort dem Verletzten eine Halsstütze ("Stiff neck") anlegen, danach erfolgt der Transport in die Klinik. Bei solchen Verletzungen seien Chefarzt Shadi Shararah und sein Team von der Abteilung für spezielle Wirbelsäulenchirurgie gefordert, erklärt Romstöck. Instabile Wirbelkörperbrüche werden in der Regel mit Schrauben- und Stabsystemen versorgt, bei einem Trümmerbruch werde der betreffende Wirbelkörper über einen minimalinvasiven vorderen Zugang durch einen Titan-Wirbelkörper ersetzt.
Radfahren auch bei Rückenproblemen?
An und für sich ist Radfahren ein idealer Sport für das Rückentraining, wenn man einige Bedingungen erfüllt: Regelmäßig, eher mit weniger Krafteinsatz, höhere Trittfrequenz, leicht nach vorne geneigt, lockere Arme, entspannte Sitzposition, "mit dem ganzen Körper". Romstöck empfiehlt seinen Patienten mit Rückenproblemen während einer konservativen Therapie begleitendes Radfahren, Patienten nach einer Rückenoperation empfiehlt er Radfahren nach vier bis sechs Wochen. Aber: "Langsam rantasten."