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Schweinfurt
PV-Reinigungsunternehmen: Franchise-Nehmer fühlen sich betrogen
Aldi, Lidl, Edeka, Tesla als Kunden? Ein Photovoltaikanlagen-Reiniger soll seine "Partner" um Hunderttausende Euro betrogen haben.
Landgericht und Amtsgericht Schweinfurt
Foto: Anand Anders | Landgericht und Amtsgericht Schweinfurt
Stefan Sauer
Stefan Sauer
 |  aktualisiert: 08.02.2024 13:43 Uhr

Zwei Mercedes-Sprinter mit Firmenaufschrift stehen, gewagt geparkt, in der Theresienstraße. Ein Mann im orangefarbenen Firmen-T-Shirt und zwei Bedienstete schleppen Boxen voller Ordner, Bücher, Prospekte, Unterlagen in den Raum, dann noch ein Firmenschild. Wird das ein Messestand? Nicht direkt. Davor nehmen ein Anwalt und der 62-Jährige im orangefarbenen Hemd Platz und schließlich davor, etwas erhöht, das Schweinfurter Schöffengericht.

Der Mann in Orange ist der Angeklagte und hält die Materialsammlung wohl für Beweismittel. Er stammt aus dem Landkreis Schweinfurt und soll sechs Männer mit Versprechungen über traumhafte Verdienstchancen dazu gebracht haben, für 100 000 Euro Franchisenehmer seines Unternehmens für die Reinigung von Photovoltaikanlagen (PV) zu werden und weitere tausende Euro in Servicegebühren und Ausstattung (Fahrzeug, Anhänger, Reinigungsgeräte) zu investieren.

Gelockt haben soll der Angeklagte die Interessenten mit falschen Zahlen und Angaben über das "größte und erfolgreichste Photovoltaikanlagen-Reinigungsunternehmen weltweit mit mehr als 11 Standorten in Europa", wie es in der Anklage heißt. Es sei auch in Kanada und USA vertreten, habe über 40 festangestellte Mitarbeiter, Großkunden wie Wiesenhof, Aldi, Lidl, Edeka sowie einen Großauftrag von Tesla für Reinigungsarbeiten in Nevada (USA). Deshalb könne ein Franchisenehmer monatlich mindestens einen Umsatz von 13 000 Euro erzielen, wovon 6000 Euro Gewinn blieben.

Statt 40 Angestellte nur zwei

Tatsächlich sei laut Anklage nichts davon wahr. Weder habe es die riesige Nachfrage gegeben (über 1000 Anfragen im Monat), noch die Großkunden, noch elf Standorte in Europa oder Vertretungen in Übersee, auch nicht den Riesenauftrag von Tesla. Und statt 40 Mitarbeiter seien 2019, als vier der sechs Franchisenehmer geworben wurden, nur zwei Personen fest angestellt gewesen. Im Vertrauen auf die falschen Angaben des 62-Jährigen hätten sich die vier "Geschädigten" zur Zahlung einer Eintrittsgebühr von 100 000 Euro, 9,25 Prozent des Nettoumsatzes und einer monatlichen Servicegebühr von 2033 Euro verpflichtet.

Drei seiner Franchise-Nehmer rekrutierte der Angeklagte aus einer Familie: den Vater und seine beiden Söhne. Einer von ihnen hatte für die angeblich so lukrative Selbstständigkeit im PV-Anlagen-Reinigen eigens seinen Job bei einem öffentlichen Arbeitgeber gekündigt. Alle drei nahmen dafür sechsstellige Darlehen auf. Aus dem Versprechen des Angeklagten, in der sechs- bis zwölfmonatigen Anlernzeit das vorherige Gehalt plus zehn Prozent zu zahlen, sei nichts geworden. "Bestandskunden", die man übernehmen könne, habe es auch nicht gegeben.

"Nur raus aus dem Vertrag"

Ein weiterer Geschädigter aus dem Allgäu hatte für die Franchise-Partnerschaft eine Grundschuld auf das vermietete Haus der Eltern aufgenommen. Bestandskunden und die große Nachfrage gebe es nicht, sagt er, und die Konkurrenz sei billiger. Er will möglichst schnell seine Schulden loswerden und raus aus dem Vertrag. Ein sechster geworbener "Partner" unterschrieb dem Angeklagten ein Schuldanerkenntnis über 120 000 Euro, als die Bank die Eintrittsgebühr nicht finanzieren wollte.

Was sagt der Angeklagte zu dem Vorwurf, seine Franchisenehmer mit falschen, aufgeblähten Geschäftszahlen getäuscht und somit betrogen zu haben? Seine Aussagen seien "verdreht" dargestellt. 1000 Anfragen von Interessenten pro Monat seien nur eine "geschätzte Hochrechnung", der Tesla-Auftrag in Nevada "Wunschdenken" gewesen und 13 000 Euro Mindestumsatz im Monat kein Versprechen, sondern eine Zielmarke bei entsprechender Anstrengung. Von 40 angestellten Mitarbeitern habe er nie gesprochen.

Seine "Partner", die nun als Zeugen vor Gericht auftreten, haben das anders in Erinnerung – so wie es in der Anklage steht. Am 24. Februar wird das Verfahren fortgesetzt und das Urteil gesprochen werden.

 
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  • A. H.
    Das nennt man Unternehmerisiko!
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  • R. A.
    Diese Franscheissmodelle waren schon immer nur für die Erfinder lukrativ. Als Betroffener habe ich gerade auch so mal den Absprung von einem derartigen Sklaventum hingebracht.
    Alle hier gemachten Luftschlösser hätten nur mal angestochen werden müssen, sprich eine offizielle Anfrage an die versprochenen Kunden stellen lassen und einen Anwalt einschalten. Bei 6 Stellen auf dem Vertrag kommts auf 100o Euro Anwaltsprüfkosten auch nicht mehr an.
    Selbst schuld, wenn man so blauäugig Verträge unterschreibt.
    Nicht umsonst haben Firmen einen Firmenanwalt oder Rechtsbeistand. Wir mittlerweile auch...
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  • J. B.
    "Gier frisst Hirn", sehr empfehlenswertes Buch.
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