Japan ist das Land der Maskottchen: Kibitan nennt sich die putzig-harmlose Symbolfigur, die als Wappenvogel der Präfektur Fukushima Kinder über die Folgen des Super-Gau im März 2011 aufklären sollte, in Deutschland als „Narzissen“- oder „Goldschnäpper“ bekannt. Akiko Yoshida, Aktivistin der Umweltorganisation „Friends of the Earth“, hat ihr eigenes, satirisch gemeintes Maskottchen dabei: den kleinen, grünen „Zerokuma“, den „Nullbär“, in Anspielung auf die Aktion „Zero Nuclear“, ein Aufruf für ein kernkraftfreies Japan bis 2030.
Die „Freunde der Erde“ sind zugleich Dachverband des Bund Naturschutz, der zum Pressegespräch vor das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld geladen hat und schnell noch einen Protest am Schweinfurter Hauptbahnhof nachschiebt, nachdem Yoshida Anschlussprobleme mit dem Zug aus Düsseldorf hatte. Bleibt man in der naiven Bildsprache der Mangas und Trickfilme, kämpft das Null-Bärchen weniger gegen Kibitan als das Riesenmonster Godzilla: Sowohl, was die Folgen der Havarie im AKW Fukushima-Daiichii als auch die Macht von Stromgiganten wie Tepco angeht. Dem Betreiber sagt man schon mal nach, Obdachlose als „Wegwerfarbeiter“ zur Beseitigung strahlender Trümmer einzusetzen.
Aus den Ruinen läuft noch immer radioaktives Wasser hinaus in den Pazifik. Zwar wurden nach der Havarie alle 56 Atommeiler Nippons abgeschaltet, das Land sei mit Solarenergie und Windkraft recht gut gefahren, doch Yoshida befürchtet mit dem Energieplan der neuen Regierung Abe eine Rückkehr zur Kernkraft – auch wenn sich zuletzt mehr als die Hälfte der Bevölkerung dagegen ausgesprochen habe. Die ersten zwei Reaktoren wurden schon wieder hochgefahren.
Japan, das sei früher das „Atomdorf“ gewesen, sagt die junge Frau aus dem Großraum Tokio, mit kurzen Wegen zwischen Politik und Atomwirtschaft. Wo eine geduldige Bevölkerung alle Risiken hinnahm, um die Abhängigkeit von Öl- und Gas-Importen zu senken.
Zuvor haben sich Richard Mergner, Landesbeauftragter des Bund Naturschutz, Edo Günther als Vorsitzender der BN-Kreisgruppe sowie Babs Günther als Sprecherin des Aktionsbündnisses gegen Atomkraft vor dem KKG-Tor getroffen. Das Wetter ist windig. Fukushima hatte vor drei Jahren noch Glück im Gau: Der Wind trieb die radioaktiven Wolken meist hinaus auf den Ozean. Nur einmal blies es die Giftpartikel weit ins Landesinnere, in Richtung Großstadt Fukushima. 130 000 Menschen sind bis heute evakuiert. Die Metropole ist es nicht, die zulässigen Grenzwerte für Radioaktivität wurden angehoben, auf das Zwanzigfache der deutschen Belastungsgrenze, sagen die Umweltschützer. Dennoch musste noch in bis zu 50 Kilometer Entfernung geräumt werden.
„Der Staat verhält sich wie eine Diktatur“, kritisiert Mergner ein simples Krisenmanagement. Bereits die Jodversorgung der Verstrahlten sei mangelhaft gewesen, es gehe oft nur um Kostensenkung. Vor zwei Jahren war er in der Sicherheitszone, hat Geistersiedlungen und zu Halden aufgetürmte, kontaminierte Erde unter Plastikplanen gesehen. In Deutschland empfiehlt die Strahlenschutzkommission nun 20 statt zehn Kilometer Radius als Evakuierungszone. „Illusorisch“, findet der Diplom-Geograf, man habe nicht wirklich aus Fukushima gelernt, wo sich die Radioaktivität aufgrund der Wetter- und nicht der Geländeverhältnisse ausgedehnt habe.
Babs Günther verweist auf ein Experiment: am KKG gestartete Luftballons landeten schon nach eineinhalb Stunden im 50 Kilometer entfernten Hafenlohrtal. Die offizielle Sicherheitszone sei nur ein „Placebo“. Edo Günther spricht von „chaotisch drehenden Windrichtungen“ als Hauptproblem. Im Ernstfall wäre jede betroffene Gegend „auf immer und ewig“ verseucht. Würde man 170 Kilometer, wie von Kritikern gefordert, als Schutzzone um alle deutsche AKWs ansetzen, bliebe kaum noch Freiraum übrig.
Dass E.ON mit Verweis auf die Brennelementesteuer erwäge, das KKG früher abzuschalten als Ende 2015 und der Meiler dann als steuersubventioniertes Notkraftwerk bereitgehalten werden könnte, empört die Kernkraftgegner: „Der Millionenpoker um die Abschaltung hat begonnen“, so der BN-Landesbeauftragte, gemäß Gutachten könne Grafenrheinfeld sofort abgeschaltet werden, ohne die Stromversorgung zu gefährden. Nur bringe jedes laufende AKW den Konzernen Rendite.
Für Edo Günther haben die vier Großkonzerne schon vor Jahren falsche Investitions- und Managemententscheidungen getroffen, den künftigen Anteil der erneuerbaren Energien unterschätzt, 35 Prozent seien es heute in Bayern. Gefordert wird die sofortige KKG-Abschaltung, mit Verweis auf erhöhte Krebsraten bei Kleinkindern, auf tonnenweise Atommüll sowie 232 meldepflichtige Ereignisse, Störungen und Störfälle im ältesten AKW der Republik. Um Fukushima selbst steigen die Leukämiefälle, berichtet Yoshida, viele Familien würden gerne wegziehen, hätten aber kein Geld für den Neuanfang.