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GEROLZHOFEN
Private Blicke auf die eigene Heimat
Die Akteure aus dem großen Ensemble des Kleinen Stadttheaters Gerolzhofen gestalteten den Abend „Neue Heimat – alte Heimat“ mit selbstverfassten Darbietungen: (von links) Scotty Riggins, Silvia Kirchhof, Klaus Vogt, Philip Errington-Zietlow, Alfred Gaiser, Rouhev Osman, Stefanie Lembcke, Achim Roth, Gerdi Mengler, Doris Geisler, Anita Wozniak und Katharina Vrona.
Foto: Anne Bauerfeld | Die Akteure aus dem großen Ensemble des Kleinen Stadttheaters Gerolzhofen gestalteten den Abend „Neue Heimat – alte Heimat“ mit selbstverfassten Darbietungen: (von links) Scotty Riggins, Silvia ...
Von Anne Bauerfeld
 |  aktualisiert: 22.06.2022 09:34 Uhr

Nicht „Was ist Heimat?“, sondern „DAS ist Heimat“ – so könnte das vielfältige und originelle Programm „Neue Heimat – alte Heimat“ im Gerolzhöfer Theaterhaus, das begeistert angenommen wurde, überschrieben sein. Erneut ist dem Kleinen Stadttheater mit und in diesem Abend eine ganz eigene, durch und durch reizvolle Mischung gelungen.

Denn es gab keine starre Rahmenhandlung, es gab nur ein Rahmenstichwort, Heimat, um das herum die elf Akteure ihren ganz eigenen Begriff von Heimat sponnen. Jeder von ihnen hatte seinen Auftritt selbst erdacht und konzipiert – ein Gewinn für den Abend, der so äußerst abwechslungsreich und mit immer neuen Schlaglichtern versehen war.

So stellte Katharina Vrona, die den Abend einläutete, ihr Herkunftsland Polen als eine „Nation der Kämpfer und der Meckerer“ vor, die das Tanzen, Singen und Schlemmen lieben. Augenzwinkernd und sehr unterhaltsam mischte sie gestenreich Polnisch und Deutsch, und weil die polnische Gastfreundschaft einfach ungeschlagen ist, gab es auch gleich eine doppelte Runde Wodka für das gesamte Publikum.

„Goldisch“, das war zwar eigentlich das Stichwort von Doris Geisler und ihrem Frankfurter Gedicht, galt aber durchaus auch für den Auftritt von Anita Wozniak. Aus dem Salzburger Land stammt die Gattin des Bürgermeisters, und sie schilderte ihre Nöte, wenn sie in Gerolzhöfer Läden Dinge wie „vier Deka Gselchtes und an Karfiol“ (400 Gramm Kassler und einen Blumenkohl) kaufen wollte. Großer Beifall und Lachen brandete auf, als sie von ihrer „Millibitschn“ (Milchkanne) und dem munteren Drehen mit der selben berichtete und sang. Es war einfach „goldisch“.

Mit Scotty Riggins übernahm danach ein US-Amerikaner aus Indiana die Bühne und gab dem Begriff Heimat erneut einen ganz neuen Anstrich. Scotty ist als Musiker bekannt in der Region, mit seiner offenen, lustigen, freimütigen Art hatte er das Publikum sofort auf seiner Seite. Es gab nicht nur lustige Geschichten von ihm, nein, natürlich auch jede Menge Musik auf Scheitholt, Banjo, Gitarre und Mundharmonika wie John Denvers bekannte „Country Roads“, die heim in die Heimat führen und das „pretty Fräulein vom Rhein“.

Traurige Facetten

So vielfältig die einzelnen Facetten von Heimat waren, so gab es doch auch immer wieder nachdenklich machende Überschneidungen. Kurz nur streiften Doris Geisler und Alfred Gaiser ihr Aufwachsen in reinen Frauenhaushalten in den armen, tief landwirtschaftlich geprägten Gegenden Spessart und Schwarzwald. Der Krieg hatte alle Männer gefordert und so war es an den Frauen für das Überleben zu sorgen. Keine Einzelschicksale, nein, eine der harten und traurigen Facetten deutscher Heimat.

Jeder der elf Darsteller hätte es verdient, nicht nur erwähnt, sondern ganz ausführlich gewürdigt zu werden für ihren privaten Blick auf die Heimat. Wunderbar, wie Philip Errington-Zietlow, der Mann mit dem englischen Elternhaus in Hessen, seine Regisseurin Silvia Kirchhof glücklich machte: er rezitierte Limericks, kurze, scherzhafte Gedichte in fünf Zeilen. Gerdi Mengler stellte die außerhalb von Hamburg recht unbekannte „Zitronen-Jette“ vor und dar, ein Hamburger Original, „klein, lütt, von schlichtem Gemüt und im Gängeviertel lebend“, schnackte platt, drohte mit Labskaus und Aalsuppe und verabschiedete sich, begleitet von Achim Hofmann am Klavier, mit „In Hamburg sagt man Tschüs“

Achim Roth, das Berliner Original, ließ Heinrich Zille von der Heimat sprechen aus der Zeit vor rund 100 Jahren, von Mietskasernen, Hinterhöfen und Schlafburschen und ließ das Publikum sich vor Lachen ausschütten mit seinem wunderbaren „Lied von der Krummen Lanke“.

Erinnerungen aus Mainz

Steffi Lembcke stellte den Mainzer Carnevals-Dreiklang mit „Weck, Worscht und Woi“ vor und sang gemeinsam mit dem Publikum „Heile, heile Gänsje“. Die Syrerin Rouhev Osman erzählte in hervorragendem Deutsch von kurdischen Hochzeiten, für deren Größe man ein Fußballstadion benötige. Alfred Gaiser verglich seine alte Heimat Schwaben mit seiner neuen Heimat Franken und kam zu einem – für Franken – doch eher ungewöhnlichen Schluss: er freute sich über die große Gesprächigkeit der hiesigen Bevölkerung, denn „wir Schwaben sind der Ansicht, man sollte keine Gelegenheit auslassen, ‘s Maul zu halten“.

Von „ganz weit weg“ kam dann auch der letzte Akteur des Abends, Klaus Vogt, aus „Mellerscht“ (Mellrichstadt), der sich allerdings in den Jahrzehnten, in denen er mit seiner Familie in Gerolzhofen lebt, gut akklimatisiert hat. Dass er sich in seiner ersten Heimat jedoch noch bestens auskennt, bewies er durch perfektes Rezitieren des Aufbaus des Rhöner Straßendorfs Stooge, in dem es noch Hofnamen gibt – und das zur großen Gaudi des Publikums.

Das Publikum – erneut war das Theaterhaus voll ausverkauft – war begeistert, dankte die stets professionelle Arbeit, die gute Atmosphäre des Ensembles untereinander sowie des ganzen Theaterhauses mit reichem Beifall, Lachen und andächtigem Zuhören.

Es war ein wunderbar bunter Bilderbogen, so gelb wie das Obst der Zitronen-Jette, so grün wie der Spessart, so dunkel wie der Krieg, rot wie die (Rosenmontags)Rosen, blau wie die Krumme Lanke, golden wie der Schmuck einer syrischen Braut, lila wie österreichische Melanzani. Es ist gut und schön, dass dieser Abend noch eine weitere Auflage im neuen Jahr erhält. Denn: Es ist eine wundersame kleine Welt hier draußen.

Die Mitwirkenden

Katharina Vrona (Polen), Anita Wozniak (Salzburger Land), Scotty Riggins (Indiana, USA), Doris Geisler (Spessart), Gerdi Mengler (Hamburg), Achim Roth (Berlin), Steffi Lembcke (Mainz), Rouhev Osman (Afrin, Syrien), Alfred Gaiser (Schwarzwald), Philip Errington-Zietlow (Großbritannien), Klaus Vogt (Rhön). Klavier: Achim Hofmann, Technik: Klaus Müller, Regie: Silvia Kirchhof.
Philip Errington-Zietlow (links) brachte Achim Hofmann englische Tischmanieren bei.
Foto: Anne Bauerfeld | Philip Errington-Zietlow (links) brachte Achim Hofmann englische Tischmanieren bei.
Schwabe Alfred Gaiser hat es an den Steigerwald verschlagen.
Foto: Anne Bauerfeld | Schwabe Alfred Gaiser hat es an den Steigerwald verschlagen.
Stefanie Lembcke erzählte von Kindheitserinnerung.
Foto: Anne Bauerfeld | Stefanie Lembcke erzählte von Kindheitserinnerung.
 
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