An einem Wettbewerb teilzunehmen, noch dazu in der südchinesischen Stadt Quanzhou, wäre Hans-Ulrich Wolkenstein nicht in den Sinn gekommen. Für ihn ist Taijiquan zuallererst eine alte chinesische meditative Bewegungstechnik, eine medizinische Heilbehandlung. Und mit Qigong schult er die innere Ruhe und pflegt die Kunst der Energieentwicklung. Aber sein chinesischer Lehrer forderte den Theilheimer auf, sich im Juli mit 1500 anderen Könnern aus aller Welt zu messen.
„Das ist eine große Ehre“, weiß der 59-jährige Hans-Ulrich Wolkenstein. „Normalerweise müsste ich meinen Lehrer fragen.“ Sein Trainer und Lehrer ist der Chinese Zhang Xiao Ping, der diese Künste in Südchina studierte und an der Universität für traditionelle Chinesische Medizin der Provinz Fujian auch lehrte. Seit 25 Jahren betreibt er in Wien eine Schule für Wushu, das sind äußere Kampfkünste wie Kung Fu, und für innere Kampfkünste wie Taijiquan – auch Tai Chi Quan geschrieben – und für Qigong. Mehrmals im Jahr fährt Wolkenstein zu seinen Kursen, seit vielen Jahren. Und hat einen hohen Grad an Perfektion erreicht, der Zhangs Ansprüchen genügt.
„Mindestens acht Jahre dauert eine klassische Ausbildung des Taiji“, erzählt der Theilheimer, der zudem seit 30 Jahren Qigong praktiziert. Als junger Mann pflegte er die japanische Kampfkunst Aikido, sein Interesse an fernöstlicher friedlicher Kampf- und Bewegungskunst wurde also schon früh geweckt.
Als studierter Diplom-Sozialpädagoge verdiente er bis vor knapp zehn Jahren sein Geld, absolvierte zudem eine dreijährige Heilpraktiker-Ausbildung. Nachdem er arbeitslos wurde, machte er sich selbstständig und hält heute als zertifizierter Taiji- und Qigong-Lehrer des DTB (Deutscher Taichi-Bund) Kurse und Seminare. Darin macht er die Konzepte der chinesischen Körperarbeit mit westlichen Begriffen und Erkenntnissen der Wissenschaft verständlich und für den Alltag praktisch nachvollziehbar. „Die Chinesen trennen nicht Körper, Geist und Seele“, erklärt Wolkenstein. „Was bei uns heute oft unter Achtsamkeit verstanden und leider wie eine heilige Kuh behandelt wird, ist bei den Chinesen ganz handfest, nichts Abgehobenes.“
Es ist die Pflege, die Arbeit mit der eigenen Lebensenergie. Die beginnt bei der eigenen Körperwahrnehmung und der Gefühlswahrnehmung. „Ich will zeigen, wie man mit Gedanken und Gefühlen arbeitet und die Selbstheilungskräfte aktiviert, wenn man den Körper mitnimmt“, sagt der Experte. In der Chinesischen Medizin sei das ganz normal.
Taijiquan hat seine Wurzeln im Kung Fu, der Selbstverteidigung, erklärt der groß gewachsene Theilheimer. Es ist die innere Kampfkunst, bei der mit geschmeidigen und sanften Bewegungen die Kraft des Gegners aufgenommen und neutralisiert beziehungsweise ab- und umgelenkt wird.
Bei der sportlichen Komponente und dem 10. Internationalen Süd-Shaolin - Kampfkunst - Wettbewerb im Juli in Quanzhou geht es nun darum, in einer bestimmten Zeit präzise aussagekräftige Figuren zu zeigen. Diese werden von Punktrichtern bewertet.
Es gibt eine Unmenge von Stilen und Figuren im Taijiquan, die bekanntesten sind Yang und Chen, klärt Wolkenstein auf. „Ich möchte in drei Taiji- und zwei Qigong-Disziplinen antreten.“ Aber das letzte Wort hat dabei der Trainer. In Taiji will der Theilheimer den 24-Yang-Stil zeigen, der aus den 1950er-Jahren stammt, also nach der Kulturrevolution. Außerdem den 48-Yang-Stil, einen der fünf großen Familienstile.
Als Waffe wählt Wolkenstein den 42-Yang-Fächer. „Der Fächer war früher die Waffe der Frauen, dann haben ihn die Männer entdeckt und mit Stahlspitzen versehen“, erklärt Wolkenstein. Sein Fächer, den er mit einem lauten „Ratsch“ schlagartig öffnet, hat diese natürlich nicht.
„Ich muss beim Wettbewerb in vier Minuten verschiedene Figuren aus 48 möglichen Figuren zeigen“, erläutert Wolkenstein seine Aufgabe. Normalerweise dauere dies 20 Minuten. Deshalb müsse er im Wettkampf die aussagekräftigsten darstellen, und dies so exakt wie möglich.
Wenn er mit seinem Lehrer Zhang und weiteren zehn österreichischen und deutschen Schülern nach Südchina reist, um vom 28. bis 31. Juli den Wettkampf zu bestreiten, geht es aber nicht nur um den Vergleich mit anderen, sondern auch um Selbstbestätigung zu.
Vor allem aber fiebert Wolkenstein den vielen Begegnungen mit anderen Kämpfern entgegen, dem Austausch unter 1500 Gleichgesinnten aus aller Welt und den besonderen Erfahrungen.