
Schockstarre. Wie anders hätte man reagieren können angesichts der Wucht, mit der "Aus dem Nichts", ein Politthriller mit Bezug zum NSU-Komplex, im Theater zuschlug. Nach dem gleichnamigen Film von Fatih Akin hat Regisseur Miraz Bezar für das Euro-Studio Landgraf eine Bühnenfassung erstellt, die ihre drei Kapitel mit "Wahrheit", "Gerechtigkeit" sowie "Wahrheit und Politik" überschreibt.
Damit ist in knappe Worte gefasst, welch schier unglaubliche Geschehnisse sieben grandiose Schauspielerinnen und Schauspieler erzählen. Sie schlüpfen dafür in die Rollen von achtzehn Identitäten und loten deren Charaktere bis in die letzten Tiefen aus. Bei einem Nagelbombenanschlag in einer Straße mit türkischen Läden, Büros und Kanzleien kommen Katjas Mann Nuri und ihr kleiner Sohn Rocco ums Leben. Kriminalpolizei und Staatsschutz ermitteln – oder auch nicht: "Auf dem rechten Auge blind", so eine Zuschauerin, richtet sich das Augenmerk des Staatsschutzes sehr zügig darauf, die Opfer ins Milieu organisierter Kriminalität zu rücken, ja sogar zu Tätern zu machen.
Alles ist hier schief: Katjas Welt ist gekippt, der Rechtsstaat hat gewaltig Schlagseite. Das Bühnenbild greift zur Symbolik eines überdimensionalen schrägen Bilderrahmens, der, ergänzt durch entsprechendes Mobiliar und Requisiten, mal zum Wohnungsbestandteil, mal zum Gerichtssaal, mal zur Projektionsfläche für Videosequenzen wird.
Anna Schäfer als Katja reißt die Zuschauer unmittelbar in eine Welt aus unendlichem Schmerz, Fassungslosigkeit, Hilflosigkeit, Wut und Rache. Authentisch und intensiv bis in die letzte Faser, schafft sie es, den Publikumsblick aufs Geschehen als eine Nachricht unter vielen in eigene Betroffenheit zu verwandeln. Carolin Fink, unter anderem als ihre Mutter, blickt durch den Filter der Medien auf ihre kleine Welt – Schubladen für alles stehen da bereit, selbst wenn es um den eigenen Schwiegersohn geht.
Christian Meyer als aalglatter Verteidiger des angeklagten Neonazipaares hebelt fleißig an den Pfeilern der Gerechtigkeit und bedient sich dabei sämtlicher legaler Tricks und Argumente. Als Staatssekretär knallt er dem Untersuchungsausschuss um die Ohren, dass das Recht der Politik zu folgen habe, nicht umgekehrt, und dass das Staatswohl Vorrang vor Aufklärung habe.
Mathias Kopetzki, Martin Molitor, Constanze Aimée Feulner und Philip Wilhelmi in den weiteren Rollen liefern alle Facetten, die diesem Abend nachhaltige Wirkung verleihen. Exemplarische Verknappung, die zum Nachdenken bringt und aufrüttelt: Die Schockstarre im Publikum löste sich in anhaltend rhythmischem Applaus im Stehen.