zurück
Schweinfurt
Poetry Slam in Schweinfurt zum Krieg in der Ukraine: "Der Finger ist noch am Abzug"
Sieger des Poetry Slam in Schweinfurt in der Applauswertung: Matti Linke aus Hannover.
Foto: Uwe Eichler | Sieger des Poetry Slam in Schweinfurt in der Applauswertung: Matti Linke aus Hannover.
Uwe Eichler
 |  aktualisiert: 09.09.2022 02:40 Uhr

Der erste Künstler des Abends heißt Aristoteles. "Es reicht nicht aus, einen Krieg zu gewinnen, es ist wichtiger, den Frieden zu organisieren", wusste schon der griechische Philosoph. Manfred Manger, Organisator der Schweinfurter Poetry Slams, eröffnet den Kampf um die goldene Dichterschlachtschüssel mit einem Zitat.

Später stellt sich heraus, dass der britische General Montgomery ähnliches gesagt hat. Es ist der 1. September, Tag des Kriegsbeginns 1939, seit 1957 Antikriegstag. Entsprechend haben auch DGB und Deutsche Friedensgesellschaft in den gut besuchten Rathausinnenhof eingeladen, im Rahmen des Kultursommers.

"Krieg und Frieden" ist das Dichter-Open-Air überschrieben, frei nach Tolstois "Woina i mir", "Krieg und Frieden". Gewerkschaftler Martin Schmidl erinnert an 80 Millionen Opfer der beiden Weltkriege, an den russischen Überfall auf die Ukraine, an das Afghanistanchaos im letzten September, an Kriege im Nahen Osten und Afrika. Er fordert Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit. Im Publikum sitzt auch Bürgermeisterin Ayfer Rethschulte.

Tolstoi ist schwere Kost – und der Krieg wieder ein Thema

Tolstoi ist schwere Kost. Fest steht, dass sich "der Krieg" heute wieder für uns interessiert, die wir uns lange nicht mehr um ihn kümmern wollten. Manfred Manger beginnt außer Konkurrenz, mit einer "zwischenmenschlichen Dämmerung". Das Warm Up bietet eine poetische Collage zum Thema Völkerverständigung: Landkarten sind keine Landschaften, Rucksäcke sollten mit gemeinsamem Proviant, nicht mit Bomben gefüllt werden.

Knüppelhart der Einstieg von Benno Brockmann aus Freiburg, der dreimal "Opa ist tot" hören musste. Zwei seiner Großväter waren in Kriegsgefangenschaft. Der dritte Opa, Ernst, hat sich als alter Mann erhängt. Mit 17 hatte er Arbeitsdienst geleistet, im KZ Bergen-Belsen, wo mehr als 52.000 Tote gestapelt wurden, die Nacht für Nacht zu ihm zurückgekehrt sind, in seinen Träumen. Die Jury gibt 25 von 30 möglichen Punkten.

19 Punkte für den Schweinfurter Slammer Felix Eckstein

Felix Eckstein aus Schweinfurt geht in "Das Versteck". In einem Kriegsgebiet wartet Andras darauf, bei einer Hausdurchsuchung erschossen zu werden. Er zittert, späht, bangt: Der Feind hat den Finger noch immer am Abzug. Es ist unklar, wo genau die Szene spielt, sie kommt einem allzu bekannt vor. Am Ende sagt der Soldat "Nyn". 19 Punkte.

Wer gewinnt am Ende den Frieden? Beim Poetry Slam im Rathausinnenhof wurde  mit Worten gekämpft.
Foto: Uwe Eichler | Wer gewinnt am Ende den Frieden? Beim Poetry Slam im Rathausinnenhof wurde mit Worten gekämpft.

Für die Tübingerin Tonia Krupinski beginnen Krieg und Frieden in der Familie. Ein "Schneehäschen" endet nach verkorkster Kindheit als koksendes Wrack (27 Punkte). Es darf auch mal gelacht werden, angesichts von Tolstois (viel zu?) hohen Erwartungen an die Menschheit. Der Konstanzer Marvin Suckut hat die Hoffnung auf Besserung längst aufgegeben. Aber das mit Wortwitz und Stil, was mit einer 30er Wertung belohnt wird.

Der Gewinner der Goldenen Schlachtschüssel kommt aus Hannover

Der Hannoveraner Matti Linke erzählt vom Mail-Freund aus Russland, Jevgeni, der als weltoffener Geologiestudent mit dem Angriff seines Landes auf die Ukraine konfrontiert ist. Nun verbrennt er sein sprichwörtliches Mitternachtsöl, im Chat, dort, wo Birken bis April schneebedeckt sind und Kakerlaken, ganz ohne Propaganda, zu den Mitbewohnern einer Studentenbude zählen. Wer gewinnt am Ende den Frieden? Jevgenis Wunsch: "Hasst den Krieg, aber nicht das ganze Land" (30 Punkte). "Ihr seid alle großartig", stellt Gregor Biberacher fest. Der Freiburger will inneren Frieden stiften, aus dem sich alles andere erst ergibt: 24 Punkte.

Beim Dreierfinale ist das Thema dann offen. Marvin Suckut steuert Stabreime bei, zu den ewigen Aufregern Sex und Bundesbahn. Bei Tonia Krupinski geht es um Konfetti im Haar und Trauer um die verlorene Liebe. Matti Linke rechnet mit dem Konformitätsdruck der Schule ab – und gewinnt die goldene Schlachtschüssel, in der Dezibelwertung beim Applaus. Den Kontrapunkt des Abends setzt DJ Lisa Smaragd am Mischpult. Keine Reime ohne passende Rhythmen, kein Ruhm ohne Liebe. Ein starker Slam.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Schweinfurt
Uwe Eichler
Aristoteles
Kriegsbeginn
Kriegsgefangenschaft
Kriegsschauplätze
Völkerverständigung
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top