Piepschnabel macht keine Anstalten zu gehen. Der Stockente gefällt es bei Familie Drost. Sie bekommt hier alles, was sie für ein bequemes Entenleben braucht. Noch dazu hat sie draußen am Rande der Stadt, in den Nützelbachauen, eine natürliche Umgebung mit viel Auslauf.
Ende April hatte Christina Drost und ihre Tochter Alma drei Eier in einem verlassenen Entennest im öffentlich zugänglichen Kräutergarten gefunden. Nach einiger Zeit des Beobachtens, ob die Entenmutter nicht doch zurückkehrte, nahmen sie die Eier mit nach Hause und fingen an, sie künstlich auszubrüten. Ein Entchen schlüpfte tatsächlich. Das war Anfang Juni.
Seitdem ist das Tier so etwas wie ein Familienmitglied. Aus dem kleinen wolligen Küken ist inzwischen eine fast ausgewachsene Stockente geworden. Aber immer noch folgt das Tier den Drosts auf Schritt und Tritt.
Vor kurzem hat Piepschnabel, der jetzt nicht mehr piept, sondern quakt, erste Flugversuche unternommen. Die Ente überflog dabei auch die Grundstücksgrenze der Drosts, kehrte aber immer zurück.
Die Gastgeberfamilie hat versucht, das Tier mit seinen Artgenossen am Nützelbachsee in Kontakt zu bringen, doch Piepschnabel blieb lieber bei seinen menschlichen Freunden. Als das Küken noch im Heranwachsen war, besorgte Gert Drost zwei Laufenten, weil Piepschnabel etwas Gesellschaft haben sollte. Doch die neuen, körperlich überlegenen Enten „mobbten“ die Kleine fortwährend, so dass Gert Drost die Tiere wieder trennte.
Einen Teil seines Futters bekommt Piepschnabel in Form von Getreide und Enten-Pellets. Den andern Teil besorgt sich die Ente selbst. Sie fängt Insekten und Käfer und knabbert auch mal an einem Salatkopf oder an Beeren im Garten der Drosts.
Über Nacht schläft Piepschnabel jetzt draußen. Gert Drost hat ihm dazu einen sicheren Stall gebaut. Die Umsiedlung aus ihrem ersten Wohnort, einem Käfig, fiel allerdings nicht leicht, denn Piepschnabel wollte immer wieder in seinen gewohnten Lebensraum zurück. Doch jetzt hat er sich an sein neues Schlafzimmer gewöhnt. Immerhin hat es einen Vorteil: Gleich nebenan liegt das Badezimmer in Gestalt eines kleinen Teichs.
Das Grundstück der Drosts im Neubaugebiet am Nützelbach hat sich wohl zur dauerhaften Heimat Piepschnabels entwickelt. Jedes Mal, wenn die Familie mit der Ente in der Nützelbachaue spazieren geht, wird das possierlich Tier schnell, wenn es wieder heimwärts geht. „Dann rennt die Ente wie wild voraus. Sie kennt den Weg“, erzählt Christina Drost.
Als fast erwachsenes Entenweibchen hat Piepschnabel auch einen eigenen Kopf entwickelt. Das Tier lässt sich nicht mehr einfach anfassen oder gar in die Arme nehmen und streicheln. Am ehesten gelingt das noch der kleinen Alma, der fünfjährigen Tochter der Drosts. Alma und die Ente verbringen viel Zeit miteinander. „Ein tolle Erfahrung für unsere Tochter“, sagt Gert Drost.
Auch wenn Besucher ins Haus kommen, wird die früher eher zurückhaltende Ente frech. Am liebsten zwickt sie den Gästen in die Zehen.
Einen Wecker braucht Familie Drost jetzt auch nicht mehr. Pünktlich um 20 nach 6 Uhr fängt sie jeden Morgen an laut zu quaken.
Mit dieser dauerhaften Anhänglichkeit hätte Familie Drost nicht gerechnet. „Ich habe immer gedacht, dass sie irgendwann mal abhaut“, sagt Gert Drost.
Piepschnabels Zukunft bleibt dem Vogel freigestellt. Wenn er wirklich einmal wegfliegen und auch wegbleiben sollte, würde die Familie das akzeptieren. Alma wäre zwar traurig, würde es aber einsehen, wenn die Stockente doch lieber in der freien Wildbahn leben wollte. Doch so lange Piepschnabel bleibt, wird er auch versorgt.
„Die Ente ist ein gewinnendes Tier. Sie ist nicht aufdringlich, aber immer da“, versucht Gert Drost den gefiederten Hausgast zu charakterisieren. Mittlerweile haben ihn auch die Nachbarn lieb gewonnen.
Eine Nachbarin hat sich sogar bereit erklärt, Piepschnabel während eines einwöchigen Urlaubs der Familie Drost zu versorgen. Genau in dieser Woche haben die Drosts gemerkt, dass ihnen etwas fehlen würde, wenn Piepschnabel nicht mehr da wäre.