Diese verrückten Österreicher. Kaum kommen sie nach Deutschland, fangen sie an, Publikum um sich zu versammeln, wild zu gestikulieren, Grimassen zu schneiden und politisch zu werden. Aber keine Angst: „Ich wurde nie von einer Akademie abgewiesen“, beruhigt Exil-Wiener Severin Groebner die überschaubare Zahl seiner Anhänger in der Kulturwerkstatt.
„Servus Piefke!“ nennt sich das Programm des Alpenrepublik-Flüchtlings, der zuletzt in Frankfurt gelandet ist: Der Kabarett-Geniestreich über die Auswüchse deutsch-österreichischer Hassliebe gastierte schon mal an der Gutermann-Promenade, als gut besuchte Preziose. Groebner, Jahrgang 1969, ist ein Kind des Wiens der Kaffeehäuser wie des Qualtingerhofs. Ein Wohnviertel, benannt nach dem polternden Kabarettisten Helmut Qualtinger, der noch nicht mal die kleinen Leute leiden konnte. Was in der Disharmonie folgt, sind lebende Cartoons, mit Audiotechnik untermalt, über deutsche Eigenarten – wie zum Beispiel „Autostau“: kleine Plastik- und Blechburgen, die sich wie Wellblechhütten in südamerikanischen Slums aneinanderreihen.
Der Musiker und Politpantomime spielt gestenreich Luftgitarre mit nationaler Befindlichkeit. Was haben Deutsche nicht alles erfunden: Dübel, Otto-Motor, Düsentriebwerk – „aber das klingt doch ein wenig nach innerer Unruhe“. Deutsche Ehrlichkeit? Groebner erinnert an Guttenberg, Schavan, Bioeierproduzenten, und „grüß' sie Gott, Herr Hoeneß, sie weinen ja so schön“. Nach der Zerstörung deutscher Großstädte durch angloamerikanische Architekturkritiker herrscht hier postproletarischer Piefke-Punk, sprich Hässlichkeit.
Trotz alledem liebt der Grenzgänger das Land, wo es „Fleiß-Fleiß-Fleiß“ und Vergangenheitsbewältigung gibt, unübersetzbar in fremde Sprachen: „Past Händling“ klingt wie ein oberbayerisches Bergdorf. Ach ja, die DDR: Der Telefonsex wurde dort erfunden, wo es keine Bananen gab, dafür die Stasi überall lauschen durfte. Österreichs Geschichte schließt bekanntlich sofort nahtlos an die KuK-Monarchie an, das Land wurstelt im gemütvollen Menschenhass zwischen Aluweckerln (Dosenbier) und FPÖ-Triumph vor sich hin. Nationalratswahlen: das Gegenteil von Schwarmintelligenz – „aber da brauchen Sie in Bayern gar nicht so laut zu lachen“. Der Unterschied von Opernball zu Fasching und Oktoberfest? In Wien macht sich die Obrigkeit lächerlich, jenseits der Alpen das Volk selbst, beim Versuch, geordnet in Anarchie abzugleiten.
Zwischen wilder Pantomime bebt diesmal nicht gar so sehr der Schmäh, die Lust am Siechen. Der neue Groebner wirkt selbst piefkeesker als früher – freundlich unterkühlt, sachlich, sprunghaft, idealistisch und präzise, im preußischblauen Managerhemd: Integration ist wichtig in der Bundesrepublik. Nur seine „Krise“, ein anderes Ich voll urwienerischem Abscheu, die ihn verfolgt wie Mr. Hyde den Dr. Jekyll, gemahnt doch an Zuhause. Dort haben sie dem verlorenen Sohn gerade den „Österreichischen Kabarettpreis 2013“ verliehen, völlig zu Recht.
„Servus Piefke!“ ist „Leiwand“, wie der Wiener sagt, keine Wand zum Leihen, sondern Leinwand, Wienerisch für knorke, cool, ganz großes Kino. Uwe Eichler