Lilli Klein und Alina Stöcklein sind zwei selbstbewusste Neuntklässlerinnen an der Gerolzhöfer Realschule. Sie haben schon klare Vorstellungen, was sie nach der Schule machen wollen. Lilli möchte Bankkauffrau werden, Alina Industriekauffrau.
Die beiden Mädchen sitzen mit Berufsberater Friedrich Wolf von der Agentur für Arbeit Schweinfurt in einem ansonsten leeren Klassenzimmer der Ludwig-Derleth-Realschule. Sie üben das Vorstellungsgespräch. Es ist die letzte Veranstaltung einer Serie zur Berufswahl, die die Agentur das ganze Schuljahr über an der Realschule angeboten hat.
Wer zu einem solchen Vorstellungs- oder Bewerbungsgespräch eingeladen wird, hat schon ein Stück auf dem Weg zu einer Ausbildungsstelle geschafft. Denn dann hat die Bewerbung dem Unternehmen gut gefallen, die ein Kandidat abgegeben hat.
Anfang und Ende wichtig
Alina und Lilli merkt man die Nervosität an, obwohl das Gespräch mit Friedrich Wolf nur ein Test ist. Anfang und Ende der Unterhaltung sind die wichtigsten Phasen, erklärt Wolf vorab. In der Tat weiß die Mehrzahl der Personaler in den Betrieben bereits nach 90 Sekunden, ob sie einem Bewerber die Ausbildungsstelle geben werden oder nicht. Am Anfang ist der Handschlag wichtig, das Herstellen des Blickkontakts. Den sollte man auch während des Gesprächs halten.
Bevor die Gespräche beginnen, schaut sich Friedrich Wolf die Bewerbungen an. Eins fällt ihm gleich auf: „Einen Satz in einer Bewerbung beginnt man nie mit dem Wort ,Ich'“, rät er. Generell gilt auch, dass sich Bewerber in den oben genannten Berufen auch ein bisschen in wirtschaftlichen Zusammenhängen auskennen sollten.
Die Drei in Englisch
Alina ist die erste, die mit Friedrich Wolf ins Vorstellungsgespräch einsteigt. Sie erzählt, dass sie daheim auf ihrem Dorf in der Feuerwehr und bei den Ministranten mitmacht und auch sonst gerne da ist, wenn Hilfe gebraucht wird. In der Schule hat sie nur Einser und Zweier, nur in Englisch leider eine Drei. Warum das so ist, ausgerechnet in Englisch, will der Personaler wissen. Das ist eine der typischen Stressfragen, mit denen Bewerber fast in jedem Vorstellungsgespräch konfrontiert werden. Hier wollen Tester prüfen, wie ein Kandidat reagiert, wenn ein Schwachpunkt angesprochen wird. Immer wieder bohrt Friedrich Wolf wegen der Drei in Englisch nach. Alina versucht zu erklären, dass es an der Grammatik liegt, aber nur manchmal. Normalerweise lerne sie schnell. Gut gelöst.
Der Berufsberater stellt immer wieder Fragen, die vermeintlich harmlos sind, deren Antworten aber viel über den Bewerber aussagen. „Wie kommen Sie mit ihren Lehrern zurecht?“ oder „Warum möchten Sie Industriekauffrau werden?“
Wissen über Betrieb kann nicht schaden
Der Personaler will oft auch etwas über den Betrieb wissen, also ob sich ein Bewerber überhaupt für das Unternehmen interessiert, bei dem er arbeiten will. Wie viele Werke hat die Firma, wie viele Beschäftigte? Gibt es auch Werke im Ausland? Wann war die Werksgründung?
„Wo glauben Sie liegen Ihre Stärken?“, lautet die nächste Frage. Alina gibt ihr Organisationstalent an, bei der Feuerwehr und bei den Ministranten. Wieder hakt Friedrich Wolf unnachgiebig nach. Wo denn bei den Ministranten Organisationsarbeit zu leisten sei? Alina schafft auch das. Die Großen müssen die Kleinen anleiten, was sie im Gottesdienst zu tun haben und einen Dienstplan erstellen.
Mit Vorzügen wuchern
Eine weitere knifflige Frage: „Überzeugen Sie mich, warum ich Sie einstellen soll?“ Alina nennt ihre Vorzüge: Ehrgeiz, Pünktlichkeit und noch einmal Organisationstalent.
Jetzt soll Alina selbst fragen. Friedrich Wolf rät, hier zu erkunden, wie die Chancen auf eine Übernahme nach der Ausbildung stehen, wie hoch die Ausbildungsvergütung ist und wie das mit der Berufsschule läuft.
Dann ist das Gespräch beendet und Friedrich Wolf kommt zur Kritik. Alina habe manchmal den Blickkontakt verloren und auf den Tisch geschaut. Das Wort „also“ sei zu häufig in ihrem Vokabular vorgekommen. Ansonsten aber habe Alina sich gut geschlagen, ihre Stärken herausgestellt und auch schön beschrieben, was sie in den Praktika vor der Bewerbung im Haus alles gemacht hat,
Ziele angeben
Jetzt ist Lilli an der Reihe. Das Gespräch läuft ganz ähnlich ab wie bei Alina. Lilli nennt gleich am Anfang ein schulisches Ziel, das sie noch schaffen will. In der 10.Klasse will sie in Mathe auf eine Zwei kommen. Damit kann sie Pluspunkte sammeln. Auch Lilli versucht den Personaler mit Vorzügen zu überzeugen. Sie spielt Handball – und ist damit teamfähig. Auch sie hält viel auf Ordnung und ist organisationsfreudig. Obwohl sie Physik nicht besonders mag, berichtet sie von einem Versuch, bei dem sich zeigt, dass Diesel erst brennt, wenn er zerstäubt wird. Auch mit der Bandbreite ihrer Praktika hat sie etwas vorzuzeigen: Sie war in einer Physotherapie-Praxis, bei der Gemeinde Kolitzheim und in der VR-Bank Gerolzhofen.
Ob sie auch noch etwas anderes außer Bankkauffrau interessieren würde, will der Personaler wissen. Ja, aber dann ebenfalls im Bürosektor, eventuell auch als Industriekauffrau wie Alina. Bei Lilli haben Friedrich Wolf die vielen „Ähs“ nicht gefallen. Dass sie bei der Bank nicht unbedingt in die Kundenberatung, sondern eher in den Service möchte, sollte sie nicht so deutlich formulieren. Das komme nicht so gut an.
Die Schülerinnen bereuen es nicht, dass sie diesen Test unter Echt-Bedingungen mitgemacht haben. So etwas kann nicht schaden.
Friedrich Wolf tritt in Ruhestand
Zwei weitere Schülerinnen wird Friedrich Wolf noch fürs Vorstellungsgespräch fit machen, dann ist zumindest im Bereich Vorstellungsgespräch Schluss für einen Mann, der aus der Berufsberatung der Agentur für Arbeit über viele Jahre hinweg nicht wegzudenken war. Zum 1. September tritt er in den Ruhestand.