Man stelle sich eine Zwiebel vor und schäle diese Stück für Stück. Kommt da etwas zum Vorschein, ein Kern, oder ist es am Ende nur Hülle, die übrigbleibt? Diese und andere Gedanken beschäftigen die Hauptfigur Peer Gynt im Schlussakt des Schauspiels von Henrik Ibsen bei der vom Publikum gefeierten Aufführung im Theater im Gemeindehaus in Schweinfurt.
Mit diesem Klassiker der norwegischen Literatur ist unweigerlich der Komponist Edvard Grieg verbunden. Die Opernwerkstatt am Rhein geht jedoch eigene Wege, arrangiert die Musik neu, setzt auf bekannte Rock- und Popsongs, die von der großartigen Band live eingespielt werden. Auch Griegs Klassiker wie "Morgenstimmung" und "In der Halle des Bergkönigs" gibt es, Auszüge dieser Stücke werden von den fünf Musikern immer wieder geschickt in das Geschehen auf der Bühne eingespielt.
Doch wie steht es um den Kern im Innern von Peer Gynt? Besitzt der Antiheld etwa kein eigenes Ich, weil er im Leben zu viele Rollen spielt? Er ist Träumer, Lüstling, Taugenichts, Größenwahnsinniger und Lügner (man wird ihn gegen Ende "Bad Liar" von den Imagine Dragons singen hören). Julian Karow als Peer Gynt meistert diese Odyssee der Gefühle mit Bravour. Er steckt voller Leidenschaft, sucht ständig Liebe und Anerkennung und springt dem Tod mehrmals von der Schippe.
Der Sensenmann kommt als liebliche Frauengestalt
Apropos Tod: Gevatter Tod kommt nicht wie gewohnt als Sensenmann daher, sondern lieblich anmutend in Frauengestalt mit weißem Kleid, langen Haaren und Zylinder. Verkörpert wird diese Figur in beeindruckender Weise von Anastasia Hille. Als Tod ist sie ständig präsent, aber irgendwie nicht greifbar, und hat immer eine Hand an Peer Gynt, um ihn zu sich ins Jenseits zu holen.
Der ist alles andere als moralisch einwandfrei. Zu heißen R&B-Klängen von den Pussycat Dolls gibt er sich erotischen Abenteuern mit Anitra und den Wüstentänzerrinnen hin. Einzig die Begegnung mit Solveig scheint in ihm etwas zu verändern. Ein magischer Moment, wenn beide im Duett die Ballade "Shallow" von Lady Gaga und Bradley Cooper singen. Solveig wird ihn eines Tages retten, so viel steht schon einmal fest.
Vorher landet Peer noch bei den Trollen, wo er sich entscheiden muss, Troll oder Mensch zu sein. Er flieht und es folgt eine der irrwitzigsten Szenen des Abends: Ein wunderbar durchchoreographierter Tanz der Trolle zur Musik von The Cures "Love Cats", im Stück umgedichtet zu "Love Pigs". Der Protagonist gelangt schließlich zu zweifelhaftem Reichtum, sein Größenwahn jedoch wird ihm zum Verhängnis. Peer Gynt hat scheinbar nichts gelernt.
Anspielungen auf die Gegenwart
Bevor er die Heimreise antritt, verirrt er sich noch zu einer Horde von Verrückten - glänzend gespielt. Die Szene ist mit Anspielungen aus der Gegenwart gespickt. Solveig rettet ihn am Ende tatsächlich. Nach all den Jahren steht fest: "Still loving you". Ana Ramirez singt den Song mit viel Gefühl, wie alle ihre Lieder. Und wie steht es um Peer? Hat er den Kern im Innern seiner selbst gefunden? Das soll jeder am besten selbst herausfinden.
Regisseur Sascha von Donat gelingt es eindrucksvoll, ein visuell betörendes Stück für Jung und Alt auf die Beine zu stellen, in dem das Ensemble in Gesang und Schauspiel glänzt. Die Wechsel von der Sprache in Versform hin zum Gesang und umgekehrt sind erfrischend, Bühnenbild und Kostüme durchdacht und die Musik wirkt nie aufdringlich.