
Rund 20 Millionen Menschen mussten zwischen 1933 und 1945 Zwangsarbeit für das Deutsche Reich leisten. Ihr Einsatz war kein Geheimnis. Dennoch fand das Thema nach dem Krieg bis in die 1990er Jahre hinein keine bis wenig Beachtung, sowohl in der öffentlichen Diskussion wie auch in der wissenschaftlichen Forschung.
Mit den Gründen für diese „vergessene Geschichte“ hat sich nun die Schweinfurterin Paula Mangold in ihrer Bachelor-Arbeit beschäftigt. Die 25-Jährige studiert an der Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie am Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig. Sie setzt ihr Studium derzeit mit dem Master fort.
Mit ein Grund für die Themenauswahl ist die Arbeit der Schweinfurter Initiative gegen das Vergessen, die Paula Mangold sehr nah erlebte. In Leipzig absolvierte sie in der Gedenkstätte für Zwangsarbeit ein Praktikum. Darin suchte sie im Stadtteil Leipzig Lindenau, in dem sie selbst auch wohnt, nach den Spuren der Zwangsarbeit und erstellte daraus einen Stadtrundgang, den die junge Schweinfurterin einmal im Monat anbietet. Eine von der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora konzipierte und im Jüdischen Museum Berlin 2010 gezeigte Ausstellung zum Thema Zwangsarbeit war ein Anstoß für die Bachelorarbeit über dieses Phänomen.
Unterschiedliche Bedingungen
Mangold schildert in ihrer Arbeit eingängig die Gründe für die von Fritz Sauckel, von Hitler zum „Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz“ gemacht, organisierte Verschleppung von Millionen ausländischer Zwangsarbeiter. Fritz Sauckels biografische Wurzeln liegen übrigens in Haßfurt und Schweinfurt.
Sie geht auch auf die unterschiedliche Behandlung und Lebensbedingungen ein, die sich „stark an der rassistischen Ideologie des nationalsozialistischen Systems ausrichteten“. Die „Ostarbeiter“ wurden massiv schlechter behandelt.
Die Autorin erklärt weiter detailliert, warum große Teile der Bevölkerung von der Zwangsarbeit gewusst haben: Sie habe allein wegen der Größenordnung „in der Mitte der Gesellschaft stattgefunden“ und „einen Teil der Normalität“ dargestellt. Nach dem Krieg habe die deutsche Zivilbevölkerung das Thema aber komplett verdrängt.
Warum? Man habe sich als „hilflose Verführte“ gesehen, die von Hitler und einer kleinen Führungselite in die Irre geleitet worden sei. Zwangsarbeit sei dabei verharmlost und als „gewöhnliche Folge eines Krieges“ gesehen worden. Sie sei als unter den gegebenen Umständen „unumgängliche Maßnahme des kriegsbedingten Mangels an Arbeitskräften“ gesehen worden, zitiert Mangold Historiker. Über 50 Bücher zur Thematik und sehr viel Fachliteratur hat sie gelesen.
Große Aufklärungsarbeit zu leisten, lag auch nicht im Interesse der Firmen, die zum Teil in enormer Zahl Zwangsarbeiter beschäftigten und von der Zwangsarbeit profitierten. Und wenn von Gräueltaten in den Betrieben die Rede war, seien das nur die 150-prozentigen Nazis gewesen, nie der deutsche Kollege aus der Fabrik.
Der Aufarbeitungsprozess begann, so Mangold in ihrer Arbeit „NS-Zwangsarbeit im kollektiven Gedächtnis“, erst ab Mitte der 1980er Jahre. Einen Schub bekam die Debatte mit der Wende, die erstmals möglich gewordene Zeitzeugenbefragung im Osten und die von osteuropäischen Ländern geforderten Reparationszahlungen.
Eine Rolle spielte auch die vom Bundesverfassungsgericht 1996 bestätigte Möglichkeit, dass Klagen ehemaliger Zwangsarbeiter, die diese direkt an deutsche Unternehmen gerichtet hatten, zulässig seien.
Mehr und mehr gerieten zeitgleich auch einige Unternehmen in die öffentliche Kritik. Mangold schildert, dass der mediale Druck Firmen wie Mercedes Benz oder VW dazu veranlasste, ihre Archive zu öffnen und namhafte Historiker damit beauftragten, die Unternehmensgeschichte auch in diesem bisherigen Tabu zu beleuchten.
Die entscheidende Rolle aber spielten die vor allem in den USA angestrengten Sammelklagen gegen deutsche Firmen. Folge war, dass sich im Dezember 1999 zunächst 20 Unternehmen zu einer Stiftungsinitiative zusammenfanden, bis 2002 traten 6540 weitere Firmen bei. Im August 2000 wurde die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung. Zukunft“ gegründet, Staat und Industrie stellten jeweils fünf Milliarden Euro für die Entschädigung von Zwangsarbeitern zur Verfügung.
Paula Mangold zitiert in ihrer Arbeit den Historiker Matthias Arning, der meint, dass ohne die Sammelklagen und die damit drohenden Imageschäden die Wirtschaft „niemals zu dieser Geste moralischer Verantwortung bereit gewesen wäre“. Sie selbst sieht das auch so. Eine wichtige Rolle hätten freilich auch Geschichtswerksstätten wie die Schweinfurter Initiative gegen das Vergessen gespielt.
Das Thema Zwangsarbeit habe heute trotz allem „auf vielen Ebenen Eingang in das kollektive Gedächtnis gefunden“, so das Fazit Mangolds. Zwangsarbeit dieser Prägung existiere zwar nicht mehr. Gleichwohl stellt die Autorin abschließend die Frage, ob „wirtschaftliche Zwänge heute nicht strukturell ähnliche Ausbeutungsverhältnisse zur Folge haben“.
Sie macht das an polnischen Erntehelferinnen fest, die mit Niedrigstlöhnen abgespeist würden, vor allem aber diskriminierenden Vorurteilen ausgesetzt seien, „die die Ausbeutung legitimieren“.