
Sonntagsdienst in der Redaktion. Da bietet sich als schnelles Mittagessen ein Döner an, bevor es weiter geht. Der Weg zum Imbiss führt über den Marktplatz in die Marktstraße. Aus den Ausgängen der Stadtpfarrkirche drängen gerade festlich gekleidete Menschen. Der Konfirmationsgottesdienst der evangelischen Gemeinde ist zu Ende. Schnell sind der Marktplatz und der Teil der Marktstraße vor dem Hauptportal des Steigerwalddoms voll von Menschen. Viele bleiben draußen stehen, um noch einen Plausch zu halten.
Drinnen in der Döner-Stube wundert sich die türkische Frau, die heute Dienst hat, über die vielen Leute. „Ist das eine Hochzeit?“, fragt sie. Ich verneine und erkläre ihr, dass das die Konfirmation ist, allerdings mit der Besonderheit, dass die evangelischen Christen das Fest schon seit vielen Jahren in der katholischen Kirche feiern.
Das finde sie echt gut, sagt die Frau. Doch die erkennbare Freude in ihrem Gesicht weicht plötzlich der Traurigkeit. „Bei uns daheim ist das leider nicht so“, erklärt sie und fügt an, dass sie Alevitin ist. Ungefähr 15 Prozent der türkischen Bevölkerung gehören dieser Glaubensrichtung an, die einiges mit dem schiitischen Islam zu tun hat, aber auch geprägt ist durch eine humanistische Ausrichtung. Alevitische Frauen sind nicht verschleiert, es herrscht mehr Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau.
Seit langem unterdrückt die sunnitische Mehrheit in der Türkei die Aleviten, wo es nur geht. Ihre Glaubensfeste werden verboten oder bestenfalls als Folkloreveranstaltungen gestattet. In der Regierungszeit von Präsident Recep Tayyip Erdogan hat das noch zugenommen.
Viel erzählt die Frau nicht davon. Vielleicht glaubt sie, das würde mich nicht interessieren. Sie sagt nur, das alles sei ganz schlimm und würde das Leben schwer machen. Unwillkürlich fällt mir das Wandeltheater „Du musst dran glauben“ ein, das gezeigt hat, wie sich die christlichen Konfessionen vor 500 Jahren bis weit ins 20. Jahrhundert hinein in abgrundtiefer Feindschaft gegenüberstanden.
Mein Blick schweift wieder nach draußen, wo sich die Menschen langsam verlaufen. Kaum einer wird einen Gedanken daran verschwenden, dass sie gerade ein hohes Fest der Protestanten in einem katholischen Gotteshaus gefeiert haben. Für sie ist schon selbstverständlich geworden, was anderswo noch unvorstellbar ist. Die alevitische Frau hat es mir gerade erklärt.
Euer Gerolzhöfer Moisle