Es war im Winter vor drei Jahren. Das Moisle fuhr im Zug von Bayrischzell nach München. Haltestelle Miesbach. Eine hochgewachsene, blonde, sehr attraktive Frau steigt zu und setzt sich nach freundlicher Anfrage, ob hier ein Platz frei wäre, ausgerechnet zum grauen Moisle.
Sie holt nicht wie die meisten anderen jungen Menschen als Erstes Handy oder Smartphone aus der Tasche, um sich für den Rest der Zugfahrt aus der Wirklichkeit zu verabschieden. Nein, sie kramt ein voluminöses Bündel von Autogrammkarten mit ihrem Konterfei hervor, dazu einen dicken Filzstift und beginnt eine Karte nach der anderen sorgfältig mit ihrem Namenzug zu beschreiben.
Das Moisle indes überlegt verzweifelt, wo es dieses Gesicht schon einmal gesehen hat. Filmbranche, Sängerin, Schauspielerin, Model? Alles Fehlanzeige. Den Namen der Schönen kann das Moisle nicht entziffern, weil er aus seiner Sicht auf dem Kopf steht.
Also bleibt nur das direkte Gespräch. „Sie müssen ja ganz schön bekannt sein, wenn Sie so viele Autogramme geben“, versucht das Moisle den Einstieg. „Naja, geht so, ich habe bei der letzten Olympiade die Bronzemedaille geholt.“ Das weitere Gespräch bringt es ans Tageslicht. Die junge Frau heißt Natalie Geisenberger und ist Rennrodlerin. Neben Bronze bei den Winterspielen im kanadischen Vancouver 2010 hatte sie mit ihren damals knapp 23 Jahren schon die Mannschaftsweltmeisterschaft geholt und war Vizeweltmeisterin der Jahre 2008 und 2009.
Auch während der Unterhaltung signiert Natalie Geisenberger weiter eifrig Autogrammkarten. Die muss sie in München bei einer PR-Veranstaltung des Bob- und Schlittenverbands für Deutschland bereithalten, sagt sie. Nach der vielleicht hundertsten Karte bricht sie unvermittelt in Klagen aus, warum ausgerechnet sie einen so langen Namen haben muss.
Bei der Bundespolizei in Bad Endorf sei sie Polizeimeisteranwärterin, erzählt sie noch. Dort habe sie alle Freiheiten zum Trainieren für das große Ziel – Sotschi 2014. In drei Jahren soll es wieder Edelmetall geben, wenn's geht sogar wertvolleres als Bronze, sagt die junge Frau.
Der Zug ist in München Hauptbahnhof angekommen. Natalie Geisenberger verabschiedet sich höflich, dankt für das Gespräch und drückt dem Moisle noch eine ihrer unterschriebenen Autogrammkarten ins Pfötchen. Dann ist sie schnell im Gewimmel des Bahnhofs untergetaucht.
Fast genau drei Jahre später hat das Moisle Natalie Geisenberger wiedergesehen. Nicht im Zug von Bayrischzell nach München, sondern im Fernsehen. Als Olympiasiegerin von Sotschi im Einsitzer-Rennrodeln. Ihren langen Namen wird sie nun wohl noch öfter schreiben müssen als damals im Zug, glaubt Euer Gerolzhöfer Moisle