Als Natascha Göb sich Ende März auf den Weg in ihren Heimatort Dobrotiv im Westen der Ukraine gemacht hat, wusste sie, dass es es eine beschwerliche Reise werden würde. Beschwerlich in doppelter Hinsicht. Denn vor ihr lagen nicht nur knapp 1400 Straßenkilometer. Göb, die seit 20 Jahren in Deutschland und seit fünf Jahren in Frankenwinheim lebt, wusste, dass sie in ein Land fuhr, in dem seit gut einem Jahr Krieg herrscht.
Doch dass es ihr dann so schwer fallen wird, die Eindrücke und Erlebnisse zu verarbeiten, die sie während ihres knapp vierwöchigen Aufenthalts in der Ukraine gewonnen hat, das hat sie nicht geahnt. Es war das erste Mal seit Kriegsbeginn, dass sie in ihr Geburtsland gefahren ist. Der Krieg, die Angst der Menschen bei Luftalarmen und die vielen Kriegsopfer waren dort allgegenwärtig für sie. "Das kann man nicht beschreiben", sagt Göb im Gespräch mit dieser Redaktion, zwei Tage nach ihrer Rückkehr. Auch sie selbst brauche jetzt erst einmal Zeit, um alles zu sortieren.
Wie berichtet, war Göb nicht mit leeren Händen in die Ortschaft gefahren, wo sie aufgewachsen war. Diese liegt gut 250 Kilometer südlich von Lwiw (Lemberg). Knapp 140 Spenden-Päckchen hatte sie mit im Gepäck. Um diese finanzieren zu können, hatte sie in Gerolzhofen und bei sich zuhause in Frankenwinheim eine private Spendenaktion ins Leben gerufen. Dabei haben sie auch die Gerolzhöfer Kinderhäuser St. Martin und St. Regiswind und das Modehaus Iff unterstützt.
Spenden gingen an die Bedürftigsten
Obwohl nur eine Woche Zeit war, hatte sie es geschafft, circa 1100 Euro zu sammeln. Mit dem Geld hat sie Dinge gekauft, um den Menschen in ihrer Heimat eine Freude zu bereiten. Darunter waren nicht nur Süßigkeiten für Kinder, sondern auch Butter, die in der Ukraine traditionell zu Ostern in der Kirche geweiht wird, Käse sowie Osterkerzen. Dazu gab sie eigenen Angaben nach 3000 Euro aus der eigenen Tasche, um wenigstens so viele Geschenktüten packen zu können, damit sie die Bedürftigsten in ihrem Heimatort beschenken konnte.
In der Woche vor Ostern hat sie die Tüten verteilt. Die Dankbarkeit der Menschen sei überwältigend gewesen, schildert Göb. Sie hatte auch Hilfspakete für die Menschen organisiert, die direkt an der Front im Osten der Ukraine sind und dort auch als Soldaten kämpfen.
Obwohl die Front 1000 Kilometer oder noch weiter von Dobrotiv entfernt ist, ist der Krieg auch weit im Westen des Landes gegenwärtig. Während ihrer ersten vier Tage habe sie dort keinen einzigen Luftalarm miterlebt, sagt Göb. Doch dann gingen die Luftschutzsirenen täglich, "einmal, zweimal oder noch öfter", berichtet sie. "Als ich eine etwas größere Stadt besucht habe, liefen die Sirenen alle drei Stunden. Die waren schrecklich laut."
So viele Tote und Trauernde
Was ihr mit am meisten unter die Haut ging, war ihr Aufenthalt in Nadwirna, einem Städtchen in der Größe Gerolzhofens, wie Göb erzählt. Dort hatte sie früher sieben Jahre gelebt. "Doch jetzt gibt es dort so viele Tote zu beklagen, so viele Menschen trauern."
Auf einem Platz kam sie an 48 Plakaten vorbei. Doch diese trugen nicht – wie bei uns üblich – irgendwelche Werbung. Jedes Plakat zeigte das Gesicht eines ukrainischen Mannes, der im Krieg gefallen war. Deren Alter reichte von Anfang 20 bis Ende 50. Manche der Gesichter kannte Göb noch von früher. Darunter war auch der Sohn einer Bekannten. Er wurde nur 27 Jahre alt.
Auch der 52-jährige Mann einer Cousine von Göb ist unter den Gefallenen. Er hinterlässt neben seiner Frau vier Kinder. Was Göb ebenfalls nach ihrer Rückkehr weiter beschäftigt, ist der Umstand, dass sie keinen ihrer Neffen sehen konnte. Sie befinden sich an der Front.