Erst wenige Augenblicke steht Leonie Sengenberger auf dem Hof der Erstaufnahmeeinrichtung in den Ledward-Barracks in Schweinfurt. Schon spricht ein Asylbewerber in blauer Jacke die 22-jährige Sozialpädagogin an: „Ich will zu meiner Frau und meinen Kindern“, erklärt er mithilfe eines herbeigeeilten Dolmetschers, ebenfalls ein Asylbewerber.
Der Mann in der blauen Jacke zeigt ihr ein deutsches Dokument, ausgestellt von der Erstaufnahmeeinrichtung in Zirndorf. Dort war seine Familie zuletzt, er möchte zu ihr verlegt werden. „Mal sehn', was wir da tun können“, sagt Sengenberger.
Sie ist eine von vier Asylsozialberatern in der Erstaufnahmeeinrichtung in den Ledward-Barracks. Dort ist für viele Flüchtlinge die erste Station in Deutschland. Die Ankömmlinge werden in der Einrichtung medizinisch untersucht und registriert. Die meisten Asylsuchenden bleiben nur wenige Tagen oder Wochen, bis sie deutschlandweit verteilt werden, um auf den Ausgang ihres Verfahrens zu warten. Caritas und Diakonie haben mit je zwei Vollzeitmitarbeitern einen Beratungsservice in der Unterkunft eingerichtet. Die vier Berater Leonie Sengenberger, Philip Koppenhöfer, Lisa-Marie Schmid und Stefanie Bader sind Ansprechpartner für alle Fragen der derzeit 820 hier untergebrachten Flüchtlinge.
Das Dokument des Mannes in der blauen Jacke, der zu seiner Familie will, ist schon zwei Tage alt, bemerkt der 33-jährige Koppenhöfer. Gut möglich also, dass die Syrer bereits woanders untergebracht sind. „Haben Sie eine genaue Adresse?“, fragt Sengenberger. „Können Sie sie anrufen?“ Der Mann holt sein Handy heraus, ruft bei seiner Frau an. Er reicht das Telefon Sengenberger weiter. So findet die 22-Jährige den Standort der Familie heraus: eine Notunterkunft in Uffenheim. „Wir gehen nach oben und füllen den Antrag auf Umverteilung aus“, sagt Sengenberger und nimmt den Mann mit in ihr Büro.
Entweder kommen die Asylbewerber vormittags dort direkt mit ihren Fragen hin oder sprechen die Sozialarbeiter auf dem Hof an. An diesem Tag ist nicht viel los, viele Menschen kommen und verlassen die Unterkunft an diesem Tag. An manchen Tagen aber sei der Gang vor den vier Sozialbüros voller Menschen, sagt die 28-jährige Stefanie Bader. In der Regel nehmen sie und ihre Kollegen vormittags die Fragen auf, versuchen sie gleich zu klären. Nachmittags gehen sie den ungeklärten Fällen nach, füllen Anträge aus, sind bei Treffen mit der Regierung oder erledigen Organisatorisches.
In ihrem Büro angekommen, gibt Sengenberger die Daten in den Computer ein. „Sind sie alleine hier?“ Der Mann mit der blauen Jacke nickt. Er sei Kurde aus Syrien, erklärt er. Schon ist der Antrag für den Verteilungswunsch ausgefüllt. „Von Schweinfurt nach Uffenheim“, steht dort. Begründung: „Frau und zwei Kinder in Uffenheim untergebracht.“ Im nächsten Schritt wird Sengenberger den Antrag bei der Regierung von Unterfranken einreichen. „Vielleicht dauert es ein bisschen“, erklärt sie dem Syrer. „Thank you“, sagt er und verlässt das Büro.
„Hier kommen sehr unterschiedliche Menschen an“, sagt Sengenberger. Mit manchen rede sie mehr, mit anderen weniger. Einige der Flüchtlinge seien in den ersten Tagen sehr erschöpft, bräuchten vor allem Erholung. Andere, die schon seit ein paar Tagen in Deutschland sind, würden arbeiten und bald ein normales Leben führen wollen. Nach den Fluchtgeschichten der Menschen frage sie nicht, sagt Sengenberger. Wenn sie es von sich aus erzählen würden, wäre das okay. Aber ansonsten stehen in einer Erstaufnahmeeinrichtung andere Dinge im Vordergrund.
Nicht immer geht alles so unkompliziert wie bei dem Mann mit der blauen Jacke. Der nächste Asylbewerber kommt mit seinem kleinen Sohn und einem Dolmetscher in Sengenbergers Büro. Er habe mit Frau und Kindern die vergangene Nacht im Zelt auf dem Hof der Aufnahmeeinrichtung übernachten müssen, erzählt er. Da seine Frau schwanger sei, wolle er schnellstmöglich in ein Zimmer umziehen. Eine weitere Nacht im Zelt halte sie nicht aus. Das Zimmer mit einer anderen Familie zu teilen, wäre kein Problem – es sollte nur schnell gehen. Sengenberger muss den Mann bremsen. Sie könne nichts entscheiden, aber: „Ich werde für Sie fragen.“ Am Nachmittag solle der Mann wieder kommen.
„Wir versuchen zu tun, was wir können“, sagt Koppenhöfer, der erst seit wenigen Tagen in der Einrichtung arbeitet und daher seiner Kollegin Sengenberger bei den beiden Fällen assistiert hat. Mit der Regierung sei es ein gutes Miteinander, sagt der 33-Jährige. Aber alle Wünsche zu erfüllen, sei aus organisatorischen Gründen nicht immer möglich, ergänzt Sengenberger. Ihr mache der Job Spaß, doch müsse man auch mit einer guten Portion Realismus an die Sache herangehen.