In der Dunkelheit stand er da und konnte nicht anders. Martin Luther, die Bronzefigur auf dem gleichnamigen Platz vor der St. Johannis Kirche in Schweinfurt, bewegte die Lippen und erzählte in 13 Akten aus seinem Leben.
Die frappierend lebensecht wirkende Installation von Sandro Padoan war der erste Hingucker, bevor die 5. „Nacht der offenen Kirchen“ mit der Begrüßung durch Dekan Oliver Bruckmann, Zweite Bürgermeisterin Sorya Lippert und Pfarrer Joachim Morgenroth in der Evangelischen Hauptkirche begann.
Einen Vorgeschmack hatten Familien und Kinder schon in St. Michael sammeln können, wo sie markante Objekte durch ein Sehrohr fokussieren und mit Händen begreifen durften. Unter dem Motto „Aufgemacht – Aufgewacht“ schickten die Drei die trotz des nieselig nasskalten Abends zahlreichen Besucher in die Nacht.
An vierzehn Orten waren fast bis Mitternacht vielfältige Eindrücke zu sammeln: Musik, Lesungen, Installationen, Mitmachstationen, viel Licht und jede Menge sinnlicher Erfahrungen regten an und gaben Raum zum Nachdenken und Genießen. Alle Sinne waren angesprochen.
Das wurde eigens thematisiert in St. Anton, wo eine Sinnesreise durch die Weltreligionen angetreten werden konnte. Das P-Seminar – Religion des Alexander von Humboldt-Gymnasiums hatte interaktive Stationen entworfen. Aus bunten Gläsern strömte verführerischer Duft: Weihrauch und Myrrhe, Kreuzkümmel und Zedernholz konnten zunächst erschnuppert werden, die dann den Zusammenhang mit den Weltreligionen preisgaben. Hätten Sie gewusst, dass bei Matthäus im 23. Kapitel von Minze, Dill und Kümmel zu lesen ist?
Beim Griff in dunkle Kästchen ließen sich Kippa und Gebetsriemen, Rosenkranz und Misbaha, Madonnen- und Ganeshafiguren ertasten. Süße und herzhafte Köstlichkeiten wurden angeboten, Hummus und Gewürzschnitten entführten in entfernte Regionen und ließen erahnen, wie es schmeckt, wo andere Religionen gelebt werden. Gleich unterhalb der St. Anton-Kirche ging es durch einen dunklen Gang in die Griechisch-Orthodoxe Kirche, wo der reich ausgeschmückte Raum in die frühe byzantinische Zeit entführte. Weihrauch hing schwer in der Luft, der liturgische Gesang prägte den Eindruck.
Kino-Kirche im CVJM-Haus, Lesung mit hebräischen Liedern in der St. Salvator-Kirche, moderne Lieder bei der Worship-Night bei der Biblischen Gemeinde, Gespräche über den Verlust immaterieller Güter und Diskussion über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Islam und Christentum im Dekantatszentrum – bei den Angeboten war für jeden Geschmack das Richtige dabei. Nicht immer musste man aktiv mitmachen, Ruhe und Stille waren gleichermaßen zu finden.
Ob eine Verschnaufpause im „Zelt der Stille“, Meditation und Entspannung in der Kapelle des Krankenhauses St. Josef oder die Vertiefung in die Aquarelle des Vaterunser-Zyklus „Gottesnähe“ von Andreas Felger in der Evangelisch-Methodistischen Kirche.
Jung, wild und fromm präsentierte sich die Young Art Church in St. Johannis. Eine Fotoausstellung griff die Aktion „Reformation Reloaded“ der Evangelischen Jugend zum Thesenanschlag auf, eigene musikalische Kreationen, Improtheater und ein fetziges Klavierbattle zwischen Kevin Pfister und Jan-Peter Itze brachten Schwung in das ehrwürdige Gotteshaus.
Doch sogleich machten sich die Berichterstatterin und Fotografin auf zur Seelen-Kunst in der Licht-Kirche. Bei der Jugendkirche kross drehte sich der Abend um die Seele. Wo sitzt sie? Zeigt sie sich in der Handwerkskunst, die mit Leib und Seele schaffen? Der Rapper Felix Eckstein kam in den Flow seines rhythmischen Sprechgesangs, im tanzenden Licht sann er laut über Flucht und Menschen nach. Hennatatoos konnte man sich auf die Hand malen lassen, ein Schönheitschirurg erzählte davon, wie er mit seinem Tun den Menschen zu mehr Zufriedenheit in einem schöneren Körper verhilft.
Kunst und Musik standen im Mittelpunkt in Hl. Geist. Während von Orgel (Martin Seiwert), Marimbaphon und Schlagwerk (Fabian Kawohl) Filmmusik „Star Wars“ erklang, konnte man Bilder der Künstlergruppe Schweinfurter Oberland betrachten. Den krönenden Abschluss bildeten „himmlische Klänge“, ein fünfsätziges Chorwerk von Morten Lauridsen, das das Vokalensemble Heilig Geist von der Orgelempore sang. Ein goldfarbener Himmel spannte sich im Altarraum über die rot und blau angestrahlte Apsis.
Das vielfältige Angebot in dieser Nacht der Offenen Kirchen hätte für viele Nächte gereicht. Eine überlegte Wegplanung nach den eigenen Vorlieben war Voraussetzung für einen genussvollen Abend ohne Zeitdruck. Das hieß aber auch, auf Vieles zu verzichten. Zu wünschen ist, dass die mannigfaltigen Ideen während des Jahresprogramms der Religionsgemeinschaften wieder aufgegriffen werden.
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