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„Offen mit Problemen umgehen“
Oliver Schikora
 |  aktualisiert: 11.12.2019 18:50 Uhr

Am 22. November liest der Braunschweiger Kriminaldirektor Ulf Küch aus seinem Buch „Soko Asyl“ um 19.30 Uhr in der Stadtbücherei im Ebracher Hof und am Vormittag im Celtis-Gymnasium. Kripo-Chef Küch richtete im Sommer 2015 eine Sonderkommission für Flüchtlingskriminalität ein. Im Interview betont er, dass nicht Kriegsflüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan Probleme machen und wie die Polizei in Braunschweig die Bürger aktiv mit einband.

Frage: Herr Küch, sie stellen am 22. November ihr Buch „Soko Asyl“ in Schweinfurt vor. Einmal im Celtis-Gymnasium, einmal in der Stadtbücherei. Gehen Schüler mit dem Thema anders um?

Ulf Küch: Ich hoffe es. Ich denke, mittlerweile hat sich die Aufgeregtheit Gott sei Dank ein bisschen gelegt und es ist ein wenig sachlicher geworden. Letztes Jahr ist die Diskussion teilweise vollkommen aus dem Ruder gelaufen, was die Kriminellen unter den Flüchtlingen betrifft. Ich bin gespannt, wie die Lesung vor den Schülern ist. Je jünger die Leute werden, desto mehr hören sie auch zu. Wir hatten Veranstaltungen mit AfD-Leuten, da war keine Diskussion möglich, wurde auf Meinungen bestanden, die keine Meinungen sind, sondern Phrasen nachgeplappert.

Bei Ihren Untersuchungen haben Sie herausgefunden, dass in Braunschweig der Anteil von Kriminellen unter den Flüchtlingen nicht höher ist als der in der deutschen Bevölkerung. Hat Sie das überrascht?

Küch: Überhaupt nicht. Das sind ganz normale kriminalistische Erkenntnisse, die sind 100 Jahre alt. Sie haben in jeder Gesellschaft einen bestimmten Bodensatz an Kriminalität, aber es gibt keine kriminellen Gesellschaften. Es gibt kriminelle Staaten, aber auch die Menschen, die dort leben, haben so etwas wie Moral und Ehre. Die Zehn Gebote, auch wenn sie überall anders heißen, gibt es auf der ganzen Welt. Was mich geärgert hat war die Diskussion über die ganzen Menschen, die hierher gekommen sind. 99,5 Prozent von ihnen kamen hierher, weil sie geflüchtet sind. Schauen Sie sich Aleppo an, wie es da aussieht. Die haben nur ihr blankes Leben gerettet und dann stellen sich hier einige hin und bezeichnen sie als Kriminelle und Sozialschmarotzer. Mein Gott, das sind arme Menschen, das sind Flüchtlinge.

Was war die Intention des Buches?

Küch: Ich wäre selber gar nicht auf die Idee gekommen. Ein befreundeter Journalist sagte, ihr habt dieses Jahr so viel Ärger gehabt, dass ihr versucht habt, das Thema anzugehen und differenziert zu berichten, schreibt doch mal auf, was ihr so erlebt habt. Es ist sicher nicht der Pulitzer-Preis, mehr ein Werkstatt-Bericht über eine Situation, in die wir als Polizei zugegebenermaßen sehr überraschend hineingekommen sind.

Wie haben Sie die Probleme bei sich gelöst und wie erklären Sie sich, dass trotzdem ein Gefühl der ständigen Bedrohung durch Flüchtlinge in der Bevölkerung herrscht?

Küch: Wir sind offen mit dem Problem umgegangen und haben einen sehr guten Kontakt zwischen Stadtverwaltung und Polizei. Wir haben gesagt, wir haben hier ein Problem, die Bevölkerung hat den Eindruck, dass die vielen Menschen, die hier sind, sie bedrohen. Da kann man nicht einfach sagen, das ist so nicht, sondern muss mit der Bevölkerung reden. Wir haben ein Präventionsprogramm aufgelegt, sind mit Infowagen zwei Mal die Woche in dem Stadtteil gewesen, haben Straftaten, die passiert sind, offen diskutiert.

Auch mit Nennung der Herkunftsländer der Täter?

Küch: Ja, natürlich, alles andere macht doch gar keinen Sinn. Wir haben immer darauf hingewiesen, dass man die Täter nicht am Flüchtlingsstrom festmachen kann. Die, die uns Probleme bereiten, sind nicht die Menschen aus Syrien, Irak oder Afghanistan, sondern häufig Menschen aus Nordafrika, Zentralafrika und die sind schon seit vielen Jahren hier, teils über eine total löchrige Außengrenze eingereist. Die Vorfälle in der Silvesternacht in Köln hatten mit den Flüchtlingen ja nur wenig zu tun, das sind fast alles Leute aus Nordafrika gewesen. Bei uns in Braunschweig hat es das nicht gegeben, wir hatten vier Sexualstraftaten bei uns, wir haben alle Täter gefasst. Es war polizeilich nichts Außergewöhnliches. Wir hatten vorher hochpreisige Ladendiebstähle in Braunschweig, da haben wir uns gefragt, warum sollten Syrer oder Afghanen hochwertige Parfums klauen? Als wir genauer drauf geschaut haben, haben wir festgestellt, dass es Gruppen waren, die wir seit Jahren hier haben, aus Georgien, aus dem Kosovo, aus Nordafrika. Diese Info haben wir weitergegeben und zu den Menschen gesagt, lasst euren Frust nicht an den Flüchtlingen aus, die haben mit Kriminalität nichts am Hut.

Ich bin sicher kein Sozialromantiker, bin seit 42 Jahren Kriminalbeamter und leite die zweitgrößte Kripo in Niedersachsen, Mord und Totschlag ist mir nicht fremd. Aber man muss die Kirche im Dorf lassen, darum ging es.

Wie stehen Sie zur CSU-Forderung nach einer Obergrenze für Flüchtlinge?

Küch: Das ist eine politische Geschichte, aus polizeilicher Sicht ist es schwer, etwas dazu zu sagen. Eines ist klar, wir können nur eine bestimmte Anzahl Menschen aufnehmen. So viel Wasser in einen Eimer reinpasst, wenn sie mehr reingießen, läuft er über. Wir haben eine gewisse Grenze, das ist auch nicht das Problem. Das Problem war letztes Jahr, dass wir die Flüchtlinge nicht richtig registriert haben.

Sie verstanden Ihr Buch als Beitrag, das Schweigen zu brechen, teils abstruse Behauptungen über Flüchtlinge zu entkräften. Funktioniert das?

Küch: Als es ruchbar wurde, dass wir das Buch herausgeben, wurden wir von den Rechten gefeiert. Als sie es gelesen hatten, war ich plötzlich ein Linker. Noch mal: Ich bin kein Sozialromantiker. Es ist meine Aufgabe als Kriminalist und Polizeibeamter Dinge zu differenzieren, da wo etwas ist, den Finger zu heben und einzugreifen, aber da, wo nichts ist, auch aufklärend zu wirken und zu sagen, Leute, tut diesen Menschen nicht Unrecht.

Kritiker sagen, die Befunde in Ihrem Buch seien nicht repräsentativ, und Straftaten von seit Jahren in Deutschland lebenden Migranten würden ignoriert.

Küch: Bei konstruktiven Kritikern bin ich dabei. Ich bin auch als stellvertretender Vorsitzender des Bundes deutscher Kriminalbeamter daran interessiert, dass wir diese Sachen beim Namen nennt. Wir haben in der Vergangenheit in Deutschland Fehler gemacht. Die erste Migranten-Generation, die nach dem Libanon-Krieg Ende der 1980er Jahre eingereist ist, hat man vollkommen sich selbst überlassen. Da muss man sich nicht wundern, wenn es Clan-Kriminalität gibt. Ich habe jahrelang im Bereich Organisierter Kriminalität gearbeitet, ich weiß wovon ich rede. Es waren Fehlentwicklungen, die jetzt nicht wieder passieren dürfen. Ich bin sehr kritisch bei Menschen, die man einfach so ihrem Schicksal überlässt und wo man auch nicht sagt, ihr seid in der Bundesrepublik Deutschland und da gilt unsere Verfassung und der habt ihr euch zu unterwerfen und sonst nichts. Da bin ich kompromisslos.

Ein neues Phänomen sind Rockerbanden, was hat sich da hinter den Kulissen entwickelt, was wir nicht wahrgenommen haben? Motorrad-Romantik ist es nicht.

Küch: In Braunschweig gab es das Phänomen, dass wir Zeuge der unverfrorensten Unverfrorenheit geworden sind, dass sich ein deutscher Rechtsanwalt und Notar hinstellt und die Banditos und die Hells Angels an einen Tisch holt und man die Bundesrepublik aufteilt. Das ist für mich genauso eine Parallelgesellschaft wie Clan-Kriminalität oder die Reichsbürger. Als demokratischer Staat muss man dagegen vorgehen, wir dürfen keine Parallelgesellschaften dulden.

Karten im Vorverkauf für 10 Euro in der Stadtbücherei im Ebracher Hof oder 12 Euro an der Abendkasse. Mit Leihkarte der Stadtbücherei gibt es 1 Euro Ermäßigung. Schüler/Studenten mit Ausweis zahlen 5 Euro.

 
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