Schweinfurt ist die einzige kreisfreie Stadt in Bayern, die bei der Gebietsreform 1972 und 1978 keinen Quadratmeter besiedeltes Gebiet dazubekam. Die Staatsregierung hatte Schweinfurt damals gleichwohl aufgefordert, Vorschläge einzureichen.
Wie aus Berichten hervorgeht, nannte das Rathaus sogar eine ganze Reihe Eingemeindungen, um den Raumbedarf der Stadt „auf lange Zeit sicherzustellen“, wie es im Bericht über eine Stadtratssitzung hieß, in der das Thema diskutiert wurde. Alle in Frage kommenden Gemeinden waren dabei: Niederwerrn, Dittelbrunn, Sennfeld, Bergrheinfeld, Grafenrheinfeld, Zell, Üchtelhausen und Mainberg. Unter „wünschenswert“ liefen Gochsheim und Schwebheim.
Kurt Petzold, damals Bürgermeister, schlug vor, dass im Falle einer Ablehnung als Alternative das Gelände südlich des Gewerbegebiets Süd nach Schweinfurt kommen solle. Wir wissen: Wenigsten das hat geklappt. Die „Umgemarkung“ von vier Quadratkilometern Grafenrheinfelder Grund – der heutige Industriepark Maintal– war das einzige Trostpflaster. Kürzlich im Stadtrat war die somit einzige Eingemeindung im Jahr 1919 von Oberndorf Anlass, wieder Mal an eine Gebietsreform zu denken. Petzold, Oberbürgermeister (1974 bis 1992) in jener Zeit, war zu einem Interview bereit.
Kurt Petzold: Zwar habe ich mir beim Ausscheiden aus dem Amt fest vorgenommen, mich nicht in die aktuelle Kommunalpolitik einzumischen. Ich denke aber, ein paar Hinweise darf ich schon geben. Also: Ganz klar sollte das Hundertjährige im Jahr 2019 würdig gefeiert werden. Nicht nur, weil die Oberndorfer sonst mit Recht sauer wären, sondern auch wegen der weitreichenden Bedeutung für ganz Schweinfurt und sein Umland. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung der damaligen Vorgänge, wie sie Norbert Lenhard angeregt hat, wäre sicher wünschenswert. Sie ist aber nichts, was man schnell mal so nebenbei abliefern könnte.
Petzold: Weil ich mich selber intensiv damit befasst habe. Was wir heute Eingemeindung nennen, war ja beileibe keine Hauruckaktion, sondern zog sich über sage und schreibe 45 Jahre hin. Den Anstoß gab die Notwendigkeit, einen neuen Bahnhof zu bauen, weil das Gelände um den heutigen Stadtbahnhof für die Abzweigung in Richtung Meiningen zu eng war. So entstand 1874 der heutige Hauptbahnhof, auf Oberndorfer Flur, weit draußen vor dem Hoheitsgebiet der Stadt, das etwa entlang der heutigen Landwehrstraße endete.
Oberndorf war damals ein reines Bauerndorf mit knapp 400 Einwohnern. Weniger die Stadt als vielmehr staatliche Stellen verlangten, das Bahnhofsgelände samt Zufahrtsstraße oder gleich das ganze Dorf nach Schweinfurt zu schlagen. Es folgte ein jahrzehntelanges Feilschen, Schachern um Geld und andere Vorteile, seitens der Oberndorfer mit buchstäblich bauernschlauer Hinhaltetaktik betrieben. Befürworter wurden immer deutlicher die Bosse der zahlreichen Industriebetriebe, die sich in Oberndorf angesiedelt hatten. Dennoch zog sich die Sache hin bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs.
Petzold: Weil ich mich intensiv damit befasst habe. Anlass war der 75. Jahrestag. Ich bastelte einen Vortrag, den ich zweimal, im Evangelischen Gemeindehaus in Oberndorf und im Rückert–Bau gehalten habe. Der Historische Verein befand mein Opus immerhin als wert, es 1998 unter dem Titel „Die Eingemeindung Oberndorfs nach Schweinfurt im Jahre 1919 aus historischer, rechtlicher und kommunalpolitischer Sicht“ in voller Länge von 30 Seiten in seiner Festschrift für Horst Ritzmann abzudrucken.
Petzold: Und ob. Die fand ich in Hülle und Fülle im Stadtarchiv und im Bayerischen Staatsarchiv, bis hin zum Wortlaut des umfangreichen Eingemeindungsvertrags und zu dem Telegramm aus München, mit dem der sozialdemokratische Innenminister Endres, der übrigens aus unserer Gegend stammte, die Eingemeindung mit Wirkung zum 1. Dezember 1919 anordnete.
Petzold: Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies zu irgendwas gut sein könnte. Anfang der 1970er, als landesweit die Gebietsreform anlief, wollte die Staatsregierung bekanntlich dem Antrag der Stadt entsprechen und uns Dittelbrunn, Niederwerrn und Sennfeld zuschlagen. Die CSU – nicht die in der Stadt, mit der bestand Einigkeit – verhinderte dies und pfiff den eigenen Innenminister in letzter Sekunde zurück. Anschließende Bemühungen blieben ohne Erfolg. Die Meinung der Bürger interessierte in München nicht.
Petzold: Inzwischen hat Schweinfurt aus der bestehenden Situation das Beste gemacht. Im Nachbarschaftsbereich zu Dittelbrunn, also an der Eselshöhe und der Maibacher Straße, toben keine Grenzgefechte, mit Niederwerrn wurde im Bereich Hainig eine gemeinsame Planung erstellt und verwirklicht und aus dem sogenannten Trostpflaster, den rund vier Quadratkilometern Ackerland aus Grafenrheinfeld, wurde das wachsende und blühende Gewerbegebiet „Maintal“. Wichtiger als kalten Kaffee aufzuwärmen erscheint es mir da, mit dem Landkreis eine gute Partnerschaft auf den uns gemeinsam berührenden Problemfeldern zu finden, wie es ja derzeit der Fall zu sein scheint.
Objektiv betrachtet wäre die Eingemeindung von Dittelbrunn und Niederwerrn kein allzu großer Verlust für den Landkreis. Bedeutende Gewerbebetriebe, die entsprechend viel Steuern in die Kassen spülen, gibt es da nicht. Die Stadt könnte sich wunderbar ausdehnen (unabhängig von den Flächen der ehemaligen US-Kasernen und -Wohngebiete betrachtet).
Schmerzen bereitet das Ganze am Ende nur einer Handvoll Kommunalpolitiker, die ihre beschaulichen Pöstchen (siehe auch Glosse "Aufgegabelt" am vergangenen Samstag in dieser Zeitung) aufgeben müssen. Für die betroffene Bürgerschaft wäre die Eingemeindung per Saldo sicherlich ein Gewinn...