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„O Herr, wir sind verloren“ - Als die Bomben fielen
Im Keller dieses Hauses in Grafenrheinfeld starben neun Menschen: der Onkel von Maria Rösch mit seiner gesamten Familie.
Foto: Repro Ursula Lux | Im Keller dieses Hauses in Grafenrheinfeld starben neun Menschen: der Onkel von Maria Rösch mit seiner gesamten Familie.
Von unserer Mitarbeiterin Ursula Lux
 |  aktualisiert: 24.02.2009 21:38 Uhr

Der Kalender zeigt den 24. Februar 1944. Bomben fallen auf Grafenrheinfeld, Sennfeld und Schwebheim. Dreimal schießt die Flak in die Luft, da wissen die Schwebheimer, dass ein Angriff bevorsteht. Der 15-jährige Richard Ludwig rennt in die Heide – nach Hause. Als er die Haustür öffnen will, fällt er buchstäblich mit der Tür ins Haus, die Druckwelle einer Bombe drückt die Tür nach innen und wirft ihn die Kellertreppe hinunter.

Zur gleichen Zeit in der Ortsmitte: Der zwölfjährige Fritz Roßteuscher hält die Küchentür, sein Vater versucht die Haustür festzuhalten. Von der Judengasse bis zum Schlossgarten fallen drei Bomben. In Grafenrheinfeld sitzt Maria Rösch mit 22 Menschen im Keller. Plötzlich hören sie, wie draußen Tiere in die Gasse rennen. „Jetzt brennt's!“, ruft der Vater und die Zwölfjährige muss mit den anderen den Keller verlassen.

Doppelschlag gegen Schweinfurt

Sechs Zeitzeugen hat Günter Birkle, der Vorsitzende des Ortsgeschichtlichen Arbeitskreises, eingeladen. Sie beschreiben mit eindringlichen Worten, was vor 65 Jahren in der Nacht vom 24. auf den 25. Februar geschah. Die alliierten Luftstreitkräfte führen einen Doppelschlag gegen Schweinfurt. Am Nachmittag greifen US-Bomber an, in der Nacht die britische Royal Air Force. Die Kugellagerstadt ist eine der am stärksten verteidigten Städte des Reiches. Irreführende Markierungssignale, die sogenannten falschen Christbäume, und brennende künstliche Scheinstädte lenken viele der Bomben auf umliegende Äcker – aber auch auf die Dörfer. Am schlimmsten trifft es Grafenrheinfeld.

Eine der Stabbrandbomben hat Fritz Roßteuscher aufgehoben.
Foto: FOTO Ursula Lux | Eine der Stabbrandbomben hat Fritz Roßteuscher aufgehoben.

Maria Rösch erinnert sich, als wäre es erst gestern gewesen. „Wir haben alles stehen und liegen gelassen und sind in den Keller gerannt. Die Babys haben geschrien. Auf einmal hat uns eine Druckwelle im Keller auf den Boden geworfen.“ Auch für Lotte Becker aus Sennfeld ist die Erinnerung an die Bombennacht im Keller lebendig. „Wir saßen auf den Rüben. Die Menschen haben geschrien, geweint, gebetet.“ Sie erinnert sich an die Nachbarin, die unentwegt rief: „O Herr, wir sind verloren!“ „Hör dir das mal eine Stunde an, da wirst du verrückt“, sagt sie noch heute.

In Sennfeld fallen die Bomben erst später, erinnert sich Adolf Ludwig. Während der Angriffe war er 16 Jahre alt und weiß noch, wie der Kopf des Denkmals 200 Meter weit in einen Garten flog und wie die Leute vor einem kleinen Loch standen. Dieses Loch hat eine Luftmine geschlagen: der Druck, der nach oben entwich, zerstört den Plan. Auch die Kirche liegt in Schutt und Asche.

Mit zynischen Worten würdigt der Gauleiter die Opfer der Bombennacht in Grafenrheinfeld, die während einer Gedenkfeier beigesetzt wurden.
Foto: Repro lux | Mit zynischen Worten würdigt der Gauleiter die Opfer der Bombennacht in Grafenrheinfeld, die während einer Gedenkfeier beigesetzt wurden.
Heinz Jakob ist zwölf, als die Bomben fallen. Eigentlich hätte er seine Kleidung vor dem Schlafengehen ordentlich hinlegen sollen, aber nachdem die Bomber bereits am Nachmittag über Schwebheim geflogen sind, rechnet keiner mehr mit einem Nachtangriff. So hat er Schwierigkeiten, in seine Kleider zu kommen, als der Alarm losheult. Mit Mutter, Großmutter und vier kleineren Geschwistern muss er in den Keller. Vorher holen sie das Nötigste aus dem Haus.

Fritz Roßteuscher zeigt eine Stabbrandbombe: „Mit den Dingern haben wir als Buben gespielt“, erinnert er sich. „Das war Abenteuer pur, wir haben mit Stecken draufgehauen, bis das Feuer spritzte.“ Auch Richard Ludwig erinnert sich an eine Stabbrandbombe, die durch Dach und Bodendecke seines Elternhauses geschlagen ist und auf der Kellertreppe explodiert. Noch bevor sie in Brand geraten kann, greift sein Vater beherzt zu und wirft sie aus dem Haus.

Neun Leichen im Keller

Eine besonders bittere Erinnerung für die Grafenrheinfelderin Maria Rösch ist die an ihren Onkel, der mit seiner Familie im Keller seines Hauses verbrannt ist. Drei Tage liegen dort die neun Leichen, dann werden sie von der Hitlerjugend „entsorgt“. Maria Rösch: „Schlimmer als ein Stück Vieh wurden sie ins Leichenschauhaus geschmissen.“ Die vermeintlich hehren Abschiedsworte des Nazi-Gauleiters beim „Heldenbegräbnis“ entsetzen Günter Birkle. „Erst Gräber schaffen Heimat, erst unsere Toten geben uns Licht“, hieß es. Und noch kurz vor Kriegsende bezeichnet der Gauleiter die „schweren Wunden dieses Krieges als Meilensteine auf dem Weg zum Ziel“, wie es in der Mainfränkischen Zeitung vom 3. März 1944 nachzulesen ist.

Bei den Zeitzeugen haben sich die Erlebnisse in das Innerste eingegraben. Maria Rösch und Lotte Becker: „Wenn ich heute Sirenen höre, das geht mir durch und durch.“

Daten & Fakten

Luftangriffe am 24. Februar 1944 266 Bomber griffen Schweinfurt und die Umgebung am Nachmittag an, 660 Bomber flogen in der Nacht. Sie warfen Sprengbomben, Luftminen und Brandbomben ab. In Grafenrheinfeld starben 32 Menschen, in Schwebheim zwei. Weitere Opfer erlagen später den Folgen ihrer Verletzungen. 

 
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