Martin Luther und die Reformation vor 500 Jahren haben die christliche Welt verändert. Aber war Luther nur ein Spielball des Kaufmanns Jakob Fugger und dessen finanzieller Interessen? Schon 1970 war das Theaterstück „Martin Luther & 'Thomas Münzer oder die Einführung der Buchhaltung“ von Dieter Forte bei seiner Uraufführung in Basel umstritten. Die Linke und die Studentenbewegung der 1970er-Jahre feierten ihn wegen seiner Darstellung von Thomas Münzer, der das unterdrückte Volk im Bauernkrieg anführte und 1525 hingerichtet wurde. Konservative hingegen warfen Forte Geschichtsfälschung vor.
500 Jahre nach Luthers Thesenanschlag ist die Reformation 2017 wieder in aller Munde. Es ist eine gute Idee, dieses auf 40 Bühnen in zehn Ländern gezeigte, aber heute selten gespielte Stück neu aufleben zu lassen. Gleichwohl, die von den Schauspielbühnen in Stuttgart und dem Euro-Studio Landgraf Titisee-Neustadt in Schweinfurt präsentierte Produktion von Regisseur Manfred Langner überzeugt nicht restlos.
Zum einen hat das vor nicht ausverkauftem Haus gezeigte Schauspiel mit über zwei Stunden Spielzeit Potenzial, deutlich gekürzt zu werden; zum anderen hat es dramaturgische Schwächen, wie die Figur der Journalistin aus der Neuzeit, die immer wieder auftaucht, um in Fuggers Gemächern, beim Reichstag oder im privaten Gespräch mit Martin Luther dessen Beweggründe zu ergründen. Unnütz.
Geld regiert die Welt
Religion, Macht, Geld, das ist Fortes Thema. Vor 500 Jahren wie heute. Und, dass wohlhabende Menschen in hundert Jahren das Weltgeschehen eher beeinflussen könnten als das Prekariat, ist keine allzu gewagte Prognose. Spannend anzusehen ist das Machtgeflecht mit Jakob Fugger als Puppenspieler, der alle Fäden in der Hand hält und Papst, Kaiser, Landesfürsten und natürlich Martin Luther selbst in seinem Sinne manipuliert allemal.
Die Mechanismen der Macht, die Jakob Fugger in einer von Grund auf in Bewegung geratenen Zeit anwendet – im Stück wird Luthers Wirken zwischen 1514 und 1525 in einem größeren historischen Rahmen gespiegelt – sind uns allzu bekannt: Die Intrigen, die die Fürsten spinnen, um ihren geliebten Ablasshandel aufrechtzuerhalten, die der Papst spinnt, um Kaiser Karl zu verhindern, die der Kaiser spinnt, um Luther zu benutzen; es ist eine Dauerschleife über fünf Jahrhunderte bis ins Zeitalter der Fake News und des Rechtspopulismus.
Regisseur Manfred Langner lässt die historischen Figuren entlang der von Forte vorgegebenen Entwicklungslinien spielen. Martin Luther (wortmächtig von Thomas Henniger von Wallersbrunn gespielt) ist ein gottesgläubiger, zynischer, abergläubischer und herrischer Mann. Und wohl käuflich. Sein „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ schreibt er für seinen Kurfürsten, damit dieser den Ablasshandel des Erzbischofs von Mainz stoppen und er sich die Kirchengüter einverleiben kann. Da nimmt Luther nur eine neue Mönchskutte, später findet er nichts dabei, sich zehntausende Gulden pro Jahr für seine Tätigkeit als Professor zahlen zu lassen.
Er ist Spielball der Politik. Ob er sich dessen bewusst ist, bleibt offen. Für seine Predigten wider den Bauernkrieg und Thomas Münzer bekommt er Geld und Güter, am Ende ist Luther ein durch Wohlstand korrumpierter Bürger wie die, die er eigentlich kritisiert hat.
Als Spielball der monetären Interessen Jakob Fuggers werden Thomas Münzer (Jorg Pauly), Kurfürst Friedrich von Sachsen (Marcus Born), Papst Leo X. (Reinhard Froboess) und Kaiser Karl V. (Richard Erben) inszeniert. Im Zentrum steht Jakob Fugger, ein eigentlich abstoßender und doch merkwürdig anziehender Großkapitalist und Egomane par excellence.
Ob Fortes Theorie, Fugger sei der Dreh- und Angelpunkt gewesen, historisch richtig ist, sei dahingestellt. Sie gibt dem Stück aber seine Zeitlosigkeit, insbesondere in der Schlussszene, als im Hintergrund Thomas Münzer geköpft wird und im Vordergrund Fugger in seine Buchhaltung blickt, 1000 Prozent Gewinn verzeichnet und ein Gebet auf den Mammon spricht: „Gelobt sei das Kapital, oh Kapital, du Anfang und Ende aller Dinge.“