Nicht vergessen wird Werner Kirchner diesen Einsatz als Rettungsassistent 1972. Er war 18 Jahre alt und kümmerte sich bei einem schweren Autounfall um das fünfjährige Kind der Unfallopfer. Die Eltern waren verletzt und wurden abtransportiert. Polizei, Rettungskräfte, Hubschrauber waren am Unfallort. Der Junge war äußerlich unverletzt. „Dann habe ich den Puls des Kleinen gefühlt und plötzlich war mit klar, es gibt nicht nur die Verletzungen, die man sieht“, erzählt Kirchner.
Heute weiß er: „Die Wunden des Körpers heilen oft schneller als die der Seele.“ 1985 wurde Kirchner zum Diakon geweiht, er tat weiter seinen Rettungsdienst bei den Maltesern, wurde aber immer öfter gerufen, wenn jemand gestorben war. So war es nur folgerichtig, dass er 1994, inzwischen längst katholischer Priester, die Notfallseelsorge der beiden Kirchen für Stadt und Landkreis Schweinfurt mit aus der Taufe hob.
Zurzeit versehen neun Männer und drei Frauen diesen Dienst. Alle sind gläubig, die meisten im kirchlichen Dienst. Sie überbringen gemeinsam mit der Polizei Todesnachrichten und betreuen Angehörige in belastenden Situationen wie Unfällen, Kindstod oder Suizid. Aber sie stehen auch den Rettungskräften nach besonders belastenden Einsätzen als Gesprächspartner zur Verfügung.
80 Einsätze im ersten Halbjahr
Für Kirchner barg der Einsatz als Notfallseelsorger trotz seiner Vorerfahrungen im Rettungsdienst auch etwas Ungewohntes. „Als Rettungsassistent kommst du hin, misst Blutdruck und machst deine Arbeit. Als Seelsorger hast du kein Werkzeug, da stehst du dem Elend einfach gegenüber.“ Und es gibt viel Elend.
Allein im ersten Halbjahr 2017 hatten die Notfallseelsorger schon 80 Einsätze. Dabei geht es vor allem um das Da-Sein. „Das Überstülpen oder Aufbabbeln von religiösen Dingen geht gar nicht“, betont der Notfallseelsorger. Ihm selbst ist sein Glaube Halt, seine Überzeugung, „dass Menschen an ihr Ende kommen können, Gott aber mit dem Menschen an kein Ende kommt“.
Aber im Einsatz gehe es einzig darum, „Beistand zu leisten, das Schweigen auszuhalten und niemandem etwas aufzudrücken, was er nicht will“, sagt Kirchner.
Dabei müssen die Notfallseelsorger lernen, gut auf sich selbst aufzupassen und auch auf ihren Körper zu hören. „Man gewöhnt sich nicht ans Elend“, weiß Kirchner. Und dann sei da immer die Frage: „Hast du auch alles richtig gemacht?“ Manchmal stoßen eben auch die Helfer an ihre Grenzen. Kirchner erinnert sich: „Es gab drei Tote auf der Schnellstraße, ich war sieben Stunden im Einsatz, am Tag darauf hat sich eine 16-Jährige auf die Gleise gestellt, und wieder einen Tag später habe ich einen 60-Jährigen nach Suizid beerdigt. Dann war ich krank.“
Regelmäßige Treffen zur Supervision
Mitfühlen ist wichtig, weiß der Priester, aber mitleiden darf man nach Möglichkeit nicht. Trotzdem gibt es Situationen, die sich in die Erinnerung einbrennen, so beispielsweise der Tod einer hochschwangeren Frau, die noch ihr kleines Kind, ebenfalls tot, im Arm hält. Um solche schlimmen Ereignisse zu bewältigen, ist es wichtig, dass sich die Notfallseelsorger regelmäßig treffen und austauschen und dass sie Supervision haben. Sich selbst Hilfe zu holen, gehört zu einem solchen Dienst dazu.
„Manchmal“, erzählt Kirchner, „haben wir auch den Rettungsdienst vor der Tür stehen, wenn wir eine problematische Todesnachricht überbringen müssen.“ Nach einer ersten Versorgung der Betroffenen ist der Dienst der Notfallseelsorger auch beendet. „Wir sind keine Psychologen“, betont der Pfarrer, im Ernstfall werden die Menschen eben an die Fachleute weiterverwiesen. Das geschieht im Augenblick auch, wenn Flüchtlinge oder Migranten in Situationen kommen, die eine Notfallseelsorge erfordern. „Wir haben einen Stamm von Mittelsmännern und Übersetzern, die verständigen dann notfalls den Imam“, erzählt Kirchner. Positiv betont der Notfallseelsorger, wie gut die Zusammenarbeit mit den Feuerwehren, Rettungsdiensten und der Polizei ist. Selbst ältere und erfahrene Polizisten seien froh, wenn sie Todesnachrichten nicht alleine überbringen müssen.
Trauung auf der Palliativstation
Und selbst ein so schwerer Dienst wie die Notfallseelsorge hat manchmal auch seine humorvollen oder rührenden Aspekte. Kirchner erzählt: „Wir waren einmal bei einem älteren Mann, der völlig dehydriert war. Aber er wollte partout nicht mit ins Krankenhaus und hat geschimpft, da könnten die Rettungskräfte ja gleich den Pfarrer holen. Als der Sanitäter dann sagte: ,Der ist schon da, der hält gerade Ihre Hand‘, ist er so erschrocken, dass er ohne weitere Fragen mit in den Rettungswagen gestiegen ist.“
Er erinnert sich auch an eine Trauung auf einer Palliativstation. Es war der Wunsch des Sterbenden, unbedingt noch getraut zu werden. Also holte die Polizei einen Standesbeamten und er spendete den kirchlichen Trausegen.
Manchmal erlebt man auch beim Überbringen von Todesnachrichten Überraschendes. Kirchner erinnert sich an einen tödlich verunglückten Motorradfahrer. Dessen Mutter fing sich innerhalb von Minuten und erklärte dem Notfallseelsorger, dass ihr Sohn vor 15 Jahren schwerstkrank war und sie dankbar sei, dass sie ihn noch 15 Jahre gehabt habe. Die Schwierigkeiten, mit denen die Notfallseelsorger inzwischen kämpfen, sind Gaffern und Smartphon-Fotografierern geschuldet, die oft vor nichts zurückschrecken.
Es könne passieren, dass man eine Todesnachricht überbringen wolle und die Angehörigen schon über soziale Netzwerke informiert oder mit Fotos „versorgt“ wurden, erzählt Kirchner.
In Zukunft soll der Dienst der Notfallseelsorge erweitert werden. Geplant ist eine Arbeitsgemeinschaft „Psychosoziale Notversorgung (PSNV)“; die Mitarbeiter dort brauchen im Vergleich zur Notfallseelsorge nicht zwingend eine theologische Ausbildung.