Karina Blaurock hilft der alten Dame aus dem Bett. Die 21-Jährige trägt blütenweiße Pflegekleidung, kein Unterschied zu den anderen Mitarbeitern auf der Geriatrie-Station im Schweinfurter Krankenhaus St. Josef.
Man könnte meinen, Blaurock würde das später auch als Beruf machen wollen, Alte und Kranke pflegen. Doch tatsächlich will die Dingolshausenerin ihr Berufsleben lieber auf dem Rettungswagen verbringen und Menschen in Notfallsituationen helfen. So wie sie es schon während ihres Bundesfreiwilligendienstes beim Bayerischen Roten Kreuz (BRK) in Schweinfurt gemacht hat.
Dass die junge Frau zurzeit im Krankenhaus arbeitet, ist einem neuen Gesetz geschuldet (siehe Infokasten): Seit Oktober 2015 bildet das BRK Schweinfurt folglich Notfallsanitäter aus. Blaurock ist eine von dreien aus dem ersten Jahrgang. Was bisher unter dem Titel Rettungsassistent firmierte, heißt künftig Notfallsanitäter und bietet mehr Kompetenzen, darunter selbstständiges Infusionenlegen – „das braucht aber auch mehr Zeit zum Üben und Vertiefen“, betont Jürgen Weigand, Ärztlicher Leiter Rettungsdienst im Rettungsdienstbereich Schweinfurt.
Üben und Vertiefen, das macht Karina Blaurock im St.-Josef-Krankenhaus. Ihre beiden Azubi-Kollegen des BRK absolvieren ihren Klinikteil im Leopoldina-Krankenhaus. Die Kooperationen sind langfristig angelegt. „Wir halten das für eine hochwertige Ausbildung“, sagt Werner Hornung, Pflegedienstleiter im St. Josef. Sollte es mit dem Anschlussjob auf der Rettungswache einmal nicht klappen, könnten Notfallsanitäter damit auch als Pfleger in Krankenhäusern unterkommen.
Perspektivenwechsel
Karina Blaurock startete mit dem Klinikteil Ende Februar auf der St.-Josef-Geriatrie. „Auch im Rettungsdienst hat man immer öfter mit älteren Menschen zu tun“, sagt die 21-Jährige. Da schadet die Übung mit Senioren nicht. Nach zwei Wochen wechselt sie in die Notaufnahme. Was sie sich dort erwartet? „Ein bisschen mehr Action“, sagt sie, und grinst. „Und die Übergabe der Patienten auch mal von der anderen Seite zu sehen.“ Das gegenseitige Verständnis zwischen medizinischen Kräften im Krankenhaus und im Rettungswagen zu fördern, das erhofft sich auch Hornung von der neuen Zusammenarbeit in der Ausbildung.
Karina Blaurock hat Abitur. Um Notfallsanitäter zu werden reicht aber auch Mittlere Reife oder ein Hauptschulabschluss mit einer mindestens zweijährigen abgeschlossenen Ausbildung, sagt Florian Biber, Rettungsdienst-Leiter beim BRK Schweinfurt. Für den nächsten Azubi-Jahrgang hätten sie 39 Bewerbungen erhalten. Neun davon dürfen in einem zweitägigen Assessment-Center um die fünf Plätze im unterfrankenweit 25-Personen-Jahrgang konkurrieren.
Der Rettungsassistent stirbt also bis 2021 aus. Oder doch bis 2023? Ab wann genau auf jedem Rettungswagen in Bayern ein Notfallsanitäter mitfahren muss, entscheidet der Landtag noch. Ab dann sollen Notfallsanitäter die bisherigen Rettungsassistenten ersetzen: Manche gehen bis dahin in Ruhestand, andere müssen draufsatteln, um die Anforderungen einer staatlichen Prüfung zu erfüllen. Rund 15 der 20 Rettungsassistenten beim BRK Schweinfurt brauchen diese Ergänzungsprüfung.
Die Weiterqualifizierungen, die Gehälter der Azubis – all das kostet Geld. „Es wird teurer“, sagt Thomas Lindörfer, BRK-Kreisgeschäftsführer. Aber er betont auch: Je besser der Patient im Rettungswagen versorgt werde, desto günstiger werde es hernach im Krankenhaus – für die Krankenkassen. Denn die sind es, die die Mehrkosten durch den neuen Notfallsanitäter-Beruf übernehmen müssen.
Krankenkassen erkennen Mehrkosten an, notgedrungen
Bis vor Kurzem war das noch nicht eindeutig entschieden. Erst Anfang März habe es ein entscheidendes Treffen zwischen Krankenkassen und Rettungsdienstvertretern gegeben, deutet Lindörfer an. Dessen Ergebnis: Die Krankenkassen erkennen die Mehrkosten an, BRK und andere Rettungsdienstanbieter bekommen die zusätzlichen Ausgaben ersetzt. Das bestätigt auf Nachfrage auch eine Sprecherin der Landesgeschäftsstelle des Bayerischen Roten Kreuzes.
Mit immer weniger Ärzten auf dem flachen Land haben die Krankenkassen auch keine andere Wahl, als dem neuen Konzept zuzustimmen. „Das Notarztsystem wird demontiert“, sagt Weigand. Da müssten die Notfallsanitäter in dünn besiedelten Gebieten „nachts schon mal überbrücken“. Bis ein Arzt bereit sei, seien die Patienten bei einem Notfallsanitäter in guten Händen.
Notfallsanitäter
Bisher war der Rettungsassistent die höchste nichtärztliche Qualifikation in der Notfallrettung. An dessen Stelle tritt künftig der Beruf des Notfallsanitäters. Er umfasst drei statt zwei Jahre Ausbildung und hat ein duales Prinzip: Zusätzlich zur Schule (1920 Stunden) und zur Praxis in der Rettungswache (1960 Stunden) machen die Auszubildenden in kleineren Abschnitten über insgesamt 720 Stunden auch in Krankenhäusern Erfahrungen.
Gesetzliche Grundlage ist das vom Bundestag verabschiedete Nofallsanitätergesetz, das zum Jahr 2014 in Kraft getreten ist. Das Bayerische Rettungsdienstgesetz muss entsprechend angepasst werden: Es regelt Organisation und die Durchführung des Rettungsdienstes im Freistaat. Eine Gesetzesnovelle befindet sich derzeit im Landtag.
Bewerbungen für das im Oktober 2016 beginnende Ausbildungsjahr sind beim BRK Schweinfurt (und anderen unterfränkischen Rettungsdiensten) nicht mehr möglich. Unterfrankenweit nimmt die neu gegründete Berufsfachschule in Würzburg 25 pro Jahrgang auf. Auszubildende zum Notfallsanitäter erhalten im ersten Lehrjahr 975, im zweiten 1037 und im dritten 1138 Euro monatlich. Im Unterschied zum Rettungsassistenten: Er hatte seine Schulausbildung selbst bezahlt und ein Praktikantengehalt für die Arbeit auf der Rettungswache bekommen.