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SCHWEINFURT
Nora Gomringer: Die Agentin der Literatur
Helga Fella
 |  aktualisiert: 02.04.2014 16:11 Uhr

Ganz in Schwarz, ernster, zurückgenommener als erwartet, aber dennoch immens intensiv und faszinierend. So gestaltet Nora Gomringer ihre Lesung im Bayernkolleg.

Nora Gomringer, die Chefin und Hausherrin der Villa Concordia in Bamberg, die dort Kunst-Organisatorin in Diensten des Freistaats ist, stellt sich zunächst lyrisch vor, mit dem facettenreichen „Ursprungsalphabet“. Und schon hier legt sie breit ihre Klaviatur bloß: Ihre Stimme führt die Zuhörer vielseitig und pointenreich, wandlungsstark und mit Wucht durch den Text, bis hin zum Deklamieren, zum Singen. Nora Gomringer ist eine glänzende Selbstinterpretin. Eine gewiefte Agentin von Literatur, ihrer Literatur in ihren Vielschichtigkeiten.

Zwischen den angenehm schlanken Textgebäuden flaniert sie elegant deutend, manchmal scharf kommentierend, manchmal elegisch im Ton und verblüfft mit viel Anekdotischem, das effektsicher gesetzt wird. Dass sie in Baden-Württemberg Abitur-Thema war und von einer verzweifelten Schülerinterpretin angerufen worden ist, dass sie ihre Singstimme unfreiwillig aus der Sopranlage in den Alt wechseln lassen musste, schleichend geschehen nach dem 11. September 2001, wo sie im Nordtower „zur falschen Zeit am falschen Ort war“. Dass sie, als Nesthäkchen auf den Spuren des großen Vaters Eugen Gomringer sieben Brüder vor allem als Echohall in der Familie erlebte.

Überhaupt die Familie, die „family things“. Sie bilden einen Kristallisationspunkt der spannungsreichen Lesung. Nora Gomringer sinniert über ihre „Anlagen“, hellt die Familiengeschichte auf, die Wohnung als Textfeld konkreter Poesie, sie legt ihre Roots in den historischen Imprägnierungen frei. Ganz präsent: Die Mutter – eine Familienforscherin und Feuchtwanger-Kennerin. Der Mut der Eltern, Langeweile und Einsamkeit als Wirkfaktoren für die begabte Tochter zuzulassen. Das dörfliche Umfeld. Aber auch der liberale Vater, der sie in einem Feld machen ließ, wo er es zur Meisterschaft gebracht hatte.

Ein zweiter thematischer Schwerpunkt, ein Gedicht-Triptychon kreist um Auschwitz. Die Autorin, die ihre „Sprechtexte wie Theatertexte“ erlebt wissen will, trägt diese Texte in ihren repetitiven Teilen kühl bis eindringlich ans Auditorium heran. Der Perspektivenwechsel, der erst die Opferseite ansieht, später die Mitläuferphrasen in einem weiteren Gedicht, schafft Distanz und erreicht doch zugleich alle im Raum.

Über ein Brücken-„Transplantationsgedicht“, das ganz neu über das so vielbesungene Herz spricht, gelangt Nora Gomringer, die Heine-Verehrerin, zum Thema Liebe. Später dann zum 2013 erschienenen Band „Monster Poems“. Hier kommt in einer Bild-Text-Auswahl ein verblüffender, erweiterter Scheusal- und Ungeheuerbegriff auf die Zuhörer zu. Themen wie Demenz und Depression werden dort als Monster unserer Zeit verhandelt, aber auch Klassiker des Schauerfilms und der Schauerliteratur neu gesehen.

Ihr letztes Gedicht, schon die Zugabe für das bestrickte, meist junge Publikum, wird präzise geflüstert und ausgehaucht. Nora Gomringer ist auch und vor allem eine begnadete Dramaturgin, Arrangeurin ihres Textmaterials. Sehr langer, sehr herzlicher Applaus – für ein besonderes und einprägsames Zuhörerlebnis. Foto: Bayernkolleg

 
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