Die Attacke in einer Hongkonger Seitenstraße kam völlig überraschend: Ein chinesisches Mütterchen staunte nicht schlecht, als Großmeister Andreas Hoffmann plötzlich einem dunkel verhüllten Angreifer gegenüberstand und ein Kung-Fu-Kampf entbrannte. Kopfschüttelnd ging die ältere Dame weiter. Vermutlich hatte sie da schon die Kamera der fränkischen Filmcrew entdeckt.
Hoffmanns Sparringspartner war Kevin Wloczyk, preisgekrönter Schweinfurter Regisseur, der aktuell einen Dokumentarfilm über "Weng Chun Kung Fu – Shaolins weiche Kraft" dreht. Die ersten Aufnahmen wurden in der Scheune des Hambacher Dorfwirtshauses gedreht. Im Oktober ging es dann zehn Tage lang nach Hongkong zu den alten Meistern einer halbvergessenen, von ebenso sanften wie wehrhaften Mönchen entwickelten Kampfkunst.
Dort, in den 80ern Jahren, ist Andreas Hoffmann in die "sechseinhalb Prinzipien" des Weng Chun eingeweiht worden, die Art, wie die Kräfte eines Kämpfers wirken sollen: Man setzt sie nicht gegen den Gegner ein, man holt sie aus ihm heraus. Das Prinzip Lau oder "Hineinfließen" wird nur halb gezählt, weil es überall zur Hälfte vorhanden ist. Es geht nicht um brachiale Todeskralle, Flugattacke oder Akupressur. Sondern um eine Jahrhunderte alte, daoistische Philosophie, die viel über chinesisches Denken aussagt: "Vermeide Gier, Angst und Verwirrung", "Konzentration auf die Methode ist besser als Härte" oder, das Motto des Films, "Die höchste Kunst des Kämpfens ist, nicht zu kämpfen." Die kreisenden, raumgreifenden Bewegungen wirken fließend und sehr ästhetisch. "Sei wie Wasser" ist eines der höchsten Gebote.
"Superreich oder superarm"
In Hongkong hat Hoffmann das Weng Chun bei Großmeister Wai Yan gelernt. Die Kampfkunst war nach der Kulturrevolution vom Vergessen bedroht. Dass sie an einen jungen Ausländer weitergegeben wurde, ist eine Sensation für sich.
Seit 2005 gibt es in Schweinfurt, heute in der Friedrich-Stein-Straße 18, eine eigene Schule, gegründet vom Hoffmann-Schüler Matthias Cebula. Die wurde unlängst von "Dai Sihing" (Übungsleiter) Wladislaw Weber übernommen, der den Film aktiv unterstützt. In der Schule trainiert auch Kevin Wloczyk, ein bislang mehr fürs Horrorgenre bekannter Filmemacher mit eigenem Label namens Wildscreen-Entertainment. Sichtlich bewegt von der Begegnung mit der "zweiten Menschheit" - wie Altmeister Goethe die Chinesen gesehen hat- zeigt er Bilder der Dreharbeiten. Der "Streetfight" in der Hongkonger Gasse sollte auch Hommage an Martial-Arts-Superstar Bruce Lee und dessen Mentor Ip Man sein.
In der ehemals britischen Kronkolonie herrschte schwülheißes Wetter, das Appartement im Hochhaus war bescheiden und beengt. Die himmelwärts strebende Sieben-Millionen-Einwohner-Metropole ist eine Stadt der Gegensätze, hat Wloczyk festgestellt: "Superreich oder superarm, dazwischen gibt es nichts." Prinzipiell sei Hongkong teuer, das echte "Made in China" dafür Topqualität. Platz ist auf der Halbinsel Mangelware, so findet man eine Kirche schon mal im zehnten Stock.
Die Jugend trainiert wieder
"Sehr offen und liebenswürdig" seien die Chinesen, eine Kultur, die viel mit Respekt zu tun habe, ebenso dem Wunsch, ein guter Mensch zu sein. Miteinander geredet wird vor allem beim Essen, am Drehbuffet. Weng-Chun-Meister Tan plauderte aus dem Nähkästchen: "Er hatte so eine Aura, man hat trotz Dolmetscher erstmal nichts verstanden, aber man hat zugehört." Umringt wurde der Siebzigjährige von Schülern, die ihm die Teetasse gefüllt haben. Kevin Wloczyk hat gerne zu den Stäbchen gegriffen: Sich Zeit lassen, beim authentischen Essen, auch das gehöre zur dortigen Lebenswelt dazu. Der Vegetarier im Team hatte es schwer: "Vegetarisch heißt in China Fisch."
Per Schnellboot ging es ins nahe Macao, wo Hoffmann ebenfalls gelernt hat, zu Jungmeister Hou. Ein großer Sender dokumentierte die Dreharbeiten. Dass sich Deutsche derart intensiv für chinesische Kultur interessieren, sei gut angekommen. Auch die Jugend trainiert wieder. Aber im modernen China ist das philosophische Kämpfen ins Hintertreffen geraten. Das Grab von Ip Man, Großmeister der nicht mit Weng Chun zu verwechselnden Kampfkunst Wing Chun, liegt unscheinbar auf einem zugewucherten Friedhof im Norden von Hongkong.
Dialog der Kulturen
Die Staatsgewalt der Volksrepublik trat kaum in Erscheinung. Nur am Flughafen Peking, vor 15 Stunden Rückflug, sei viel kontrolliert worden, vor allem die High-Tech-Ausrüstung. 2024 soll die 90-Minuten-Doku veröffentlicht werden. Wloczyk schwebt eine Filmszene in einem Schweinfurter Kino vor, im Stil der 70er, als Bruce Lee Kult war. Ebenso wie im polnischen Kattowitz, aus dem Wloczyks Eltern stammen. Schweinfurter Kulturpackt und Kulturstiftung, die Internationale Budo-Vereinigung, Crowdfunding, die Firma Qi Blanco, aber auch Privatspender wie Markus Madeheim oder die Familie Toczek haben das Projekt ermöglicht. Es geht um den Dialog der Kulturen: "Wenn Weng Chun die Welt erreicht, wird sie Frieden haben", zitiert Kevin Wloczyk den Wunsch von Meister Tan.