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SCHWEINFURT/GRAFENRHEINFELD
Nicht einverstanden mit dem „Restrisiko“
Von unserem Redaktionsmitglied Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 13.11.2012 11:58 Uhr

Das Vorhaben wird fast beiläufig bekannt: Im Juli 1969 ist in einer Gemeinderatssitzung in Grafenrheinfeld, über die das Schweinfurter Tagblatt berichtet, die Rede davon, dass die Bayernwerk AG, Energieversorger im Besitz des Freistaats, im Maintal ein Kernkraftwerk bauen will. Im Land draußen sind gerade ganz andere Themen aktuell. Die 68er-Bewegung ist in vollem Gange, die Jugend fordert von ihren Eltern Rechenschaft über deren Verhalten in der Zeit des Nationalsozialismus und Mitbestimmung nicht nur an den Universitäten. Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis die Ökobewegung sich formiert, bis die Partei der Grünen entsteht.

In Schweinfurt und Umgebung aber beschäftigt diejenigen, die nicht alle Entscheidungen der großen Politik einfach so hinzunehmen wollen, vor allem eines: das Atomkraftwerk. 1972 gründet sich die „Bürgeraktion Umwelt- und Lebensschutz“. Bürgerinitiativen gibt es bereits. Die aber stehen im Ruf, eher chaotisch zu sein. Deshalb wählt man den Namen „Bürgeraktion“. Seit 1986, seit der Vereinigung mit der „Bürgerinitiative gegen Atomanlagen“, heißt die Anti-Atom-Initiative BA-BI (siehe Infokasten).

Der Widerstand beginnt fast beschaulich: „Wir sind damals erstmal zum geplanten Bauplatz gegangen. Das Gelände lag wunderschön eingebettet im Naturschutzgebiet, und es war für uns unvorstellbar, dass man hier so eine Anlage errichten wollte“, sagt Peter Fuchs, der von Anfang an dabei war und seit vielen Jahren Kassier der BA-BI ist.

Kurz Petzold (SPD) kam Mitte 1970 nach siebenjähriger berufsbedingter Abwesenheit zurück nach Schweinfurt. Er kann sich an ein Plakat von damals erinnern, auf dem stand „Das größte Atomkraftwerk der Welt in Grafenrheinfeld?“ Wer von den Gegnern ihn damals angesprochen hat, weiß Petzold nicht mehr, „aber ich war sehr schnell mittendrin“, sagt er. „Ich habe Satzungen entworfen und bin treppauf, treppab gezogen, um Unterschriften gegen das Atomkraftwerk zu sammeln.“

Es wurden 36 000, die Petzold dann mit einer Delegation der Bürgeraktion dem damaligen Umweltminister Max Streibl überreichte. „Die Sache juckte ihn wenig“, erzählt Petzold. „Die rote Stadt Schweinfurt hatte man eh längst abgeschrieben, und man ging davon aus, dass die Leute auf dem Land ihr Kreuz schon weiterhin an der richtigen Stelle machen würden, auch wenn sie vielleicht gegen das Atomkraftwerk waren. Und so kam es dann ja auch.“

Der Bergrheinfelder Hubert Lutz, heute BA-BI-Vorsitzender, war 1972 15 Jahre alt. Er hat damals vor allem mitbekommen, wie sich Persönlichkeiten wie Petzold, der Stadtrat Karl Riederer (FDP), Karl Nierbauer, später erster Kreisvorsitzender der Schweinfurter Grünen, der Schwebheimer Bürgermeister Fritz Roßteuscher oder der Bergrheinfelder Bürgermeister Karl Hussy gegen das Bauprojekt einsetzten. „Wir haben uns informiert, haben Bücher für und gegen Atomkraft gelesen“, erzählt Lutz. „Das Thema wurde bei den Leuten intensiv diskutiert, und irgendwann hat man sich dann seine Meinung gebildet. In Bergrheinfeld, so mein Eindruck, war eine große Mehrheit dagegen. Die haben sich Sorgen gemacht und das für gefährlich gehalten.“

Demonstrationskultur gab es damals noch keine. Viele Menschen setzten schlicht ihre Hoffnungen auf den Einfluss der prominenten Gegner. Als 1974 die erste Großdemo anstand, war Lutz 17. Sein Vater verbot ihm ausdrücklich, hinzugehen – man werde ihn nur verhaften. „Ich bin aber trotzdem hin, und verhaftet wurde ich auch nicht“, erzählt Lutz. „Aber wir mussten alle erst unsere eigenen Erfahrungen machen.“ Und die Schweinfurter Anti-Atom-Aktivisten der ersten Stunde machten unterschiedliche Erfahrungen. Kurt Petzold, von 1974 bis 1992 Schweinfurter Oberbürgermeister, erinnert sich an großen Zuspruch bei der (Stadt-)Bevölkerung. Aber junge Leute wie Hubert Lutz galten wohl vor allem auf dem Land eher als Spinner.

Ökologie war in den ersten Jahren der Bürgeraktion ein Orchideenthema. Wenn damals in der Republik demonstriert wurde, dann für ganz andere Anliegen. „Das war auch ein Generationenproblem. Wenn man damals etwas längere Haare hatte, galt man schon als Gammler“, erzählt der Arzt Rainer Pliess, Ehrenmitglied der BA-BI und lange für die Grünen Mitglied im Schweinfurter Kreistag. „Man hat anfangs versucht, uns in die gewalttätige Ecke zu stellen – der Störfall war immer der Mensch, nicht die Atomenergie.“

In Schweinfurt und Umgebung zog sich die Ablehnung durch alle Parteien. So gehörte der CSU-Stadtrat German Cramer zu den Mitgliedern des ersten Vorstands der Bürgeraktion. Konrad Wirner, heute Schriftführer, war damals „ziemlich radikaler Jungsozialist“, wie er sagt. Schon in einer der ersten Versammlungen rief der zu Demonstrationen auf. Um Himmels Willen, keine Emotionen, wir gehen den Rechtsweg, habe es dagegen auf der konservativen Seite geheißen, berichtet er. „Da war ich schon ziemlich entsetzt.“ Die Demonstrationen kamen, aber der Widerstand blieb immer gewaltfrei und – verglichen etwa mit den späteren Aktionen in Brokdorf und Wackersdorf – undramatisch. Das brachte der Bürgeraktion gelegentlich den Vorwurf ein, zu brav zu sein. Kurt Petzold glaubt dennoch nicht, dass ein drastischeres Vorgehen Grafenrheinfeld verhindert hätte: „Das hätte nur Hass geschürt.“

Seine Ablehnung war deshalb nicht weniger dezidiert: „Der Staat selbst gab uns die entscheidenden Argumente an die Hand. Da war die Rede von einem Restrisiko, das die Bürger halt hinzunehmen hätten. Selbst die Gerichte stellten sich auf diesen Standpunkt. Und: Die gleiche Staatsregierung, die den Betrieb des Monsters durchsetzte, zwang uns einen Katastrophenschutzplan auf. Danach sollte – in der letzten Fassung – im Ernstfall binnen weniger Stunden ganz Schweinfurt evakuiert werden – ein völlig aussichtsloses, weltfremdes Unterfangen.“

Bedeutende Physiker hatten auf die Risiken hingewiesen, und im Bewusstsein vieler Menschen, so der Eindruck im Gespräch mit den Aktivisten der ersten Stunde, war die Verbindung zwischen Atombombe und Atomenergie stark ausgeprägt. Selbst die – bis heute ungelöste – Frage der Endlagerung tauchte bereits auf. Da mussten Handlungsanweisungen, wie sie etwa Konrad Wirner bei der Bundeswehr bekam, wie Hohn wirken: „Uns haben sie gesagt, man kann sich schützen, wenn man die Aktentasche über den Kopf hält.“

Mitunter auch waren es Persönlichkeiten, die die Menschen mobilsierten. Gregor Schömig, Jahrgang 1930, etwa, der dann zehn Jahre für die Grünen im Schweinfurter Stadtrat saß und heute Ehrenmitglied der Bayerischen Grünen ist. 1978 erlebte er einen Auftritt des – damals noch – CDU-Politikers Herbert Gruhl im überfüllten Evangelischen Gemeindehaus. Gruhl war erster Bundesvorsitzender des BUND, überwarf sich wegen Fragen der Umweltpolitik mit seiner Partei und wurde so zu einem der Gründungsmitglieder der Grünen. „Ich konnte danach die ganze Nacht nicht schlafen, und am nächsten Morgen war ich dabei. Und bin es bis heute“, sagt Gregor Schömig.

Gaby Gehrold, geboren auf den Tag genau zehn Jahre nach Abwurf der Hiroshima-Bombe, war in der Anfangszeit vor allem mit der Gründung ihrer Familie beschäftigt. Sie war zwar bei Greenpeace aktiv. „Aber aufgewacht bin ich tatsächlich erst 1986, als Tschernobyl passiert ist. Da hatte ich zwei kleine Kinder, die mitten im Fallout über den Rasen gerobbt sind. Diese Unsicherheit und die Sorge um die Kinder sind bis heute mit die schlimmsten Erlebnisse in meinem Leben.“

Nun ist – unter dem Eindruck von Fukushima – der Atomausstieg beschlossen. Dennoch sah es viele Jahre so aus, als würden die Atomkraftgegner auf Granit beißen. Wie man dennoch 40 Jahre lang durchhält, erklärt Hubert Lutz kurz und bündig: „Wenn man einmal begriffen hat, was alles passieren kann, muss man etwas dagegen tun. Da kann man dann nicht einfach aufhören.“


40 Jahre BA-BI – wie alles begann

Im Juli 1969 wurde bekannt, dass die Staatsregierung plante, in Grafenrheinfeld ein Atomkraftwerk zu errichten. Das löste eine öffentliche Diskussion aus. Im Juni 1972 standen nähere Informationen über das Vorhaben in der Zeitung, und am 18. Juli kamen in der Stadthalle über 800 Personen zusammen, von denen sich 343 in eine vorläufige Mitgliederliste zur Gründung einer Bürgerinitiative eintrugen. Am 11. August fand dann die formelle Gründungsversammlung der „Bürgeraktion Umwelt- und Lebensschutz“ statt. Sie veranstaltete Informations- und Diskussionsveranstaltungen, Unterschriftensammlungen und Demonstrationen, schrieb Briefe an Politiker, machte Eingaben an Parlamente. Der – 1983 erfolglos beendete – juristische Klageweg gegen das KKG bildete einen Schwerpunkt in der Zusammenarbeit mit der Stadt Schweinfurt. Durch die Katastrophe vom Tschernobyl am 26. April 1986 wurden viele Bürger wieder aufgeschreckt. Nachdem die Bürgeraktion nicht mehr sehr aktiv gewesen war, gründetet sich im Mai 1986 eine neue Initiative, die „Bürgerinitiative gegen Atomanlagen“. Im Juni vereinigten sich beide Initiativen zur „Bürgeraktion Umwelt und Lebensschutz – Bürgerinitiative gegen Atomanlagen“. Aktuell beschäftigt sich die BA-BI vor allem mit der Frage der Gefährdung durch den mittlerweile ältesten Atomreaktor der Bundesrepublik, mit Fragen der Energiewende und der Frage der Entsorgung des atomaren Abfalles.

Kurt Petzold: „Der Staat selbst gab uns die entscheidenden Argumente an die Hand. Da war die Rede von einem Restrisiko, das die Bürger halt hinzunehmen hätten.“
Foto: PorträtWaltraud Fuchs-Mauder | Kurt Petzold: „Der Staat selbst gab uns die entscheidenden Argumente an die Hand. Da war die Rede von einem Restrisiko, das die Bürger halt hinzunehmen hätten.“
Gregor Schömig: „Ich konnte danach die ganze Nacht nicht schlafen, und am nächsten Morgen war ich dabei. Und bin es bis heute.“ (Nach einem Auftritt des CDU-Politikers und späteren Grünen Herbert Gruhl 1978).
| Gregor Schömig: „Ich konnte danach die ganze Nacht nicht schlafen, und am nächsten Morgen war ich dabei. Und bin es bis heute.“ (Nach einem Auftritt des CDU-Politikers und späteren Grünen Herbert Gruhl 1978).
Konrad Wirner: „Ich war damals ein ziemlich radikaler Jungsozialist und habe schon in einer der ersten Versammlungen zu Demonstrationen aufgerufen.“
| Konrad Wirner: „Ich war damals ein ziemlich radikaler Jungsozialist und habe schon in einer der ersten Versammlungen zu Demonstrationen aufgerufen.“
Rainer Pliess: „Wenn man damals etwas längere Haare hatte, galt man schon als Gammler. Der Störfall war immer der Mensch, nicht die Atomenergie.“
| Rainer Pliess: „Wenn man damals etwas längere Haare hatte, galt man schon als Gammler. Der Störfall war immer der Mensch, nicht die Atomenergie.“
Peter Fuchs: „Wir sind damals erstmal zum geplanten Bauplatz gegangen. Das Gelände lag wunderschön eingebettet im Naturschutzgebiet, und es war für uns unvorstellbar, dass man hier so eine Anlage errichten wollte.“
| Peter Fuchs: „Wir sind damals erstmal zum geplanten Bauplatz gegangen. Das Gelände lag wunderschön eingebettet im Naturschutzgebiet, und es war für uns unvorstellbar, dass man hier so eine Anlage errichten ...
Die zweite große Demonstration gegen den Bau des Atomkraftwerks: Am 19. April 1975 beteiligten sich 10 000 Menschen an einem Protestmarsch.
Foto: Hans Rost | Die zweite große Demonstration gegen den Bau des Atomkraftwerks: Am 19. April 1975 beteiligten sich 10 000 Menschen an einem Protestmarsch.
 
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  • Du_di_ned_oo
    Die Realität hat gezeigt daß ihre Kritik fundiert und völlig richtig ist.
    Das Atomkraft ist nicht nur gefährlich sondern auch unwirtschaftlich ist,
    zeigen die Entscheidungen der Unternehmen die mit über 180 Mrd. gefördert
    wurden selbst am besten. RWE und E.ON verkaufen ihre Atomtocher und steigen aus laufenden AKW-Projekten weltweit aus.

    Für den Atommüll ist damit jedoch keine Lösung gefunden.
    Asse säuft ab und der Atommüll kann wohl entgegen allen Beteuerungen z.B. auch unserer Ex-Umweltministerin Merkel nicht zurückgeholt werden.
    Zudem ist bekannt daß dort sehr viel mehr und gefährlicher plutoniumhaltiger Müll aus AKWs vergraben wurde. Wo genau weiß man nicht mehr...

    Würde man allein die den Bürgern aufgeladenen Risiken versichern
    so würde eine derartige Haftpflichtpolice 72 Mrd. Euro jährlich kosten.
    Der Schaden je AKW könnte sechs Billionen Euro betragen.
    Die Folge: der Strompreis kletterte auf das Zwanzigfache.
    [Daten Quelle Managermagazin]
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